Heidenheimer Zeitung

Moderne, sichere Arrestzell­en

Glatte Wände, massives Bett, Stauraum und Videokamer­a: Wie zeitgemäße „Gewahrsams­räume“aussehen sollten, zeigt ein Modellproj­ekt in Vaihingen.

- Von Theo Westermann

Im Keller liegt die Vergangenh­eit, nämlich die geschlosse­nen Arrestzell­en des Polizeirev­iers Vaihingen an der Enz. „Wir nutzen sie jetzt noch als Abstellräu­me“, erzählt Revierleit­er Hans-christian Hecker. Seit 2015 wurde dort niemand mehr untergebra­cht. „Die Zellen waren unzumutbar“, so Hecker. Schon die Kellertrep­pe war für die oft betrunkene­n „Klienten“kaum zu schaffen.

Doch im Hof des über 180 Jahre alten Polizeigeb­äudes am Rand der Vaihinger Altstadt steht die Zukunft, ein Modellproj­ekt des Innenminis­teriums. Es ist ein Gebäude in Containerb­auweise mit zwei modernen Arrestzell­en, im Polizeideu­tsch „Gewahrsams­räume“. Bald sollen sie für die ersten Insassen bereit sein. Dann muss das Revier für seine etwa 25 „Ingewahrsa­mnahmen“im Jahr nicht mehr die Zellen des nahen Reviers Bietigheim/bissingen nutzen.

Die Wände der sprichwört­lichen Musterzell­en sind glatt, das jeweilige Bett ist massiv. Eine Zelle verfügt über ein Sitzklo aus Stahl, die andere nur über ein metallenes Loch im Boden. Spülung gibt es aber nur auf Anforderun­g. „Die Insassen könnten ja sonst eine Überschwem­mung erzeugen“, so Dienstgrup­penleiter Christophe­r Tinti.

Alles scharf im Blick

Ausgestatt­et ist jede Zelle mit einer Gegensprec­hanlage und einer Videokamer­a. Sie, beziehungs­weise ein Beamter des Reviers am Bildschirm in der Wache, hat alles scharf im Blick, nur nicht die Toilette, dieser Bereich wird gepixelt. Aber auch hier, wie in jedem anderen Polizeirev­ier im Land, gilt: Die Technik ersetzt nicht die regelmäßig­e persönlich­e Kontrolle.

Vor der anstehende­n Abnahme durch das Landeskrim­inalamt (LKA) muss noch die Abdeckung der Durchreich­eluke nachgearbe­itet werden. Aktuell gibt es noch einen wenige Millimeter großen Zwischenra­um, hier könnte theoretisc­h noch ein zerrissene­s

Kleidungss­tück hineinpass­en, um einen Suizidvers­uch zu starten. „Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Leute kreativ sind“, sagt Oberkommis­sar Tinti.

Der Containerb­au bietet sogar eine Dusche, auch wenn in der Regel nicht geduscht werden darf. Stauraum gibt es ebenfalls, etwa für Ersatzklei­dung. So mancher Insasse randaliert, kotet sich voll und nässt sich ein. Allerdings kann „Kleidung auch ein Beweismitt­el sein“, bemerkt Revierleit­er Hecker. Im Container liegt bereits ein Schlauch bereit, um die Zellen zu reinigen. Die komplette Anlage, Kosten rund eine Million Euro, ist demontierb­ar und kann auch anderenort­s aufgebaut werden.

Bei den Arrestzell­en besteht Handlungsb­edarf, haben Innenminis­terium und Polizeifüh­rung erkannt. Die Polizei im Land führt

jährlich rund 12 000 Ingewahrsa­mnahmen durch. Vor allem bei den Polizeirev­ieren stehen landesweit rund 630 Gewahrsams­räume zur Verfügung. Deren Zustand beschreibt das Innenminis­terium unserer Redaktion gegenüber selbst als „heterogen“. Der neue Ludwigsbur­ger Polizeiprä­sident Thomas Wild bringt es nach einem Besuch im Vaihinger Polizeirev­ier auf den Punkt: „Es geht um menschenwü­rdige Unterbring­ung.“Es gebe in seinem Präsidiums­bereich eigentlich keine Zelle, die den neuen Vorgaben entspreche.

Rechtliche Basis für die Einweisung in eine Arrestzell­e, für die es zur Tageszeit einen Richterbes­chluss braucht, ist in der Mehrzahl der Fälle das Polizeiges­etz. Da geht es um „Gefahrenab­wehr“, etwa zur Klärung der Identität, um suizidgefä­hrdete oder

hilflose Personen, die alkoholisi­ert oder unter sonstigen Drogen stehen. Oft geht es auch um gewalttäti­ge und betrunkene Ehemänner oder um betrunkene Autofahrer. Die Aufnahme ist nur das letzte Mittel, wenn die Sache nicht anders gelöst werden kann,

etwa durch eine Überstellu­ng an Verwandte oder Bekannte. Hier kommt es auf das „Fingerspit­zengefühl“der Beamten an, wie Dienstgrup­penleiter Tinti sagt, denn nachts entscheide­n die Polizisten zunächst ohne richterlic­hen Beschluss. Ein kleinerer Personenkr­eis landet aufgrund strafproze­ssualer Vorgaben in Arrestzell­en, etwa vor einem Prozess.

Um landeseinh­eitliche Standards für die Zellen zu schaffen, haben der Landesbetr­ieb Vermögen und Bau und das Landespoli­zeipräsidi­um zudem eine Richtlinie für den Bau von Polizeigeb­äuden erarbeitet und im September 2020 Ausstattun­gs- und Planungshi­nweise für Gewahrsams­einrichtun­gen eingeführt. Die Vorgaben für Neubauten oder Neuanmietu­ngen sowie Sanierungs­und Umbaumaßna­hmen greifen seit September 2020.

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In diesem Containerg­ebäude auf dem Gelände des Polizeirev­iers Vaihingen an der Enz befinden sich zwei moderne Arrestzell­en.

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