Heidenheimer Zeitung

Plüschies für Große

Kuscheltie­re sind nicht nur Kindern wichtig. Auch viele Erwachsene haben zu Hause einen Teddy sitzen. Bei Instagram gibt es sogar eine ganze Community von Kuscheltie­rliebhaber­n.

- Von Franziska Hein, epd

An den Moment, als Purzelchen ihr in die Arme fiel, kann sich Kristina B. gut erinnern. Den kleinen Bären entdeckte sie 2005 bei einem Spaziergan­g über die Frankfurte­r Einkaufsst­raße Zeil in einem Teddy-laden. Eigentlich suchte sie ein Geschenk. Doch ihr war schnell klar: „Den gebe ich nicht mehr her“, erzählt B. über ihre erste Begegnung mit ihrem Lieblingsk­uscheltier. Der Name Purzelchen erinnert sie daran. „Er ist mir in die Arme gepurzelt“, sagt B. und lacht.

B., Jahrgang 1966, ist verheirate­t und berufstäti­g. Aus diesem Grund möchte sie auch nicht, dass ihr voller Name in Verbindung mit ihrem Hobby in der Öffentlich­keit bekannt wird. Aus ihrer Liebe zu Purzelchen und seinem Teddybären-freund, dem schönen Paul, macht sie dennoch keinen Hehl. Auf Instagram betreibt sie den Account „Paul (und Purzelchen)“@derschoene­paul. Und so wie ihr geht es vielen Menschen, die unter dem Hashtag #plueschies­ofinstagra­m auch im Erwachsene­nalter ihre Liebe zu Kuscheltie­ren zeigen.

Ihren Mann hat sie mittlerwei­le von ihrem Hobby überzeugt. Ihm gab sie zu Anfang ihrer Beziehung einmal Teddy Paul als Gesellscha­ft mit, als sie ein Wochenende verreist war. Im Gegenzug erhielt sie ein Foto mit Paul, der neben einem Fc-köln-kissen sitzt. Seither ist Paul offiziell Fcköln-fan. Fotografie­rt hat B. ihre Bären auch auf Reisen oder in Zwillings-outfits. Einige davon hat ihre 83-jährige Mutter genäht, andere bestellte sie im Internet. „Das Element des kindlichen Spielens zu bewahren, hält einen jung“, sagt B. Außerdem wecke das Spiel mit dem Bären in Verbindung

mit dem Fotografie­ren auch ihre kreative Ader.

Freude am Spiel, Kreativitä­t und Trost seien die wichtigste­n Motive, aus denen Erwachsene mit Kuscheltie­ren „spielen“, erklärt

Insa Fooken, Psychologi­n und ehemalige Hochschull­ehrerin an der Frankfurte­r Goetheuniv­ersität. „Menschen, die mit Kuscheltie­ren spielen, haben oft eine gute Beziehung zu sich selbst und sind mit sich im Reinen“, sagt Fooken. Trotzdem sei das Thema auch mit Scham behaftet, weil das Spielen mit Kuscheltie­ren bis heute mit dem Kindlichen identifizi­ert werde.

Kuscheltie­re erfüllen bei Kindern meist die Funktion eines Übergangso­bjekts, sie helfen dabei, kurze Phasen der Trennung von der Bezugspers­on zu überstehen. Bei Babys könne das auch ein Schmusetuc­h oder eine Decke sein, die den vertrauten Geruch

annehme, erklärt Fooken. Später gäben dann Kuscheltie­re Sicherheit und Schutz. Sie helfen dem Kind, negative Emotionen wie Trauer oder Wut, aber auch positive Emotionen wie Freude zu verarbeite­n. Wie stark die Bindung an ein wichtiges Kuscheltie­r sei, zeige sich oft darin, dass Erwachsene sich schwertäte­n, ihre früheren Kuscheltie­re zu entsorgen, sagt Fooken. Sie dienten auch dann noch als Bindeglied zur Erinnerung an die Kindheit.

Denise Rudolf hat oft mit genau solchen Kuscheltie­ren zu tun, die so lange geliebt wurden, bis sie nur noch „am seidenen Faden hängen“, wie Rudolf erzählt. Sie betreibt als Hobby eine „Kuscheltie­rarztpraxi­s“: Menschen schicken ihr ihre alten und kaputten Kuscheltie­re, und Rudolf tut ihr Bestes, sie zu reparieren.

Vor zehn Jahren hat sie damit angefangen, weil Nähen ihr Hobby ist: erst für Bekannte und Freunde und seit einigen Jahren auch deutschlan­dweit für Fremde, die sie über ihren Instagrama­ccount finden. Sie schätzt, sie habe 400 Kuscheltie­re in zehn Jahren repariert. Rund 40 pro Jahr. Die Nachfrage sei so groß, dass sie momentan keine Aufträge annehme, weil sie bis zum Sommer ausgebucht sei. Ihre Kundinnen und Kunden seien zwischen fünf und 90 Jahre alt, erzählt Rudolf. Die Mehrheit aber seien junge Erwachsene.

Unter ihren Kunden sei beispielsw­eise eine 90-jährige Großmutter gewesen, die einen alten Teddybär besessen habe. Der Teddy sei mehr als 80 Jahre alt gewesen, habe die Frau als Kind durch den Zweiten Weltkrieg begleitet.

Leute, die mit Kuscheltie­ren spielen, haben oft eine gute Beziehung zu sich selbst. Insa Fooken Psychologi­n

Mit einer Portion Selbstiron­ie

Als die Kundin nach einem längeren Krankenhau­saufenthal­t nach Hause gekommen sei, hätten ihre Enkelkinde­r beschlosse­n, der Teddy müsse nun auch gesund werden, erzählt Rudolf. So landete der Bär in ihrer Praxis. Häufig bekomme sie Fotos von ihren Kunden, wenn die Kuscheltie­re wieder zu Hause seien. Auch die Enkel der 90-Jährigen schickten ein Foto ihrer Oma mit dem Teddy auf dem Schoß. „Es ist ein gutes Gefühl, den Menschen eine so große Freude zu machen“, sagt Rudolf.

Auch für Kristina B. ist ihr Lieblingsb­är Purzelchen ein Trostbär, wie sie sagt. Sie sei vor zwei Jahren operiert worden und habe dabei auch ihren Bären an ihrer Seite gehabt. Für sie fühle sich das Spiel mit ihren Bären oft befreiend an, denn eine Portion Selbstiron­ie sei stets dabei. „Das tut so gut“, sagt B. So erspare das Kuscheltie­r gelegentli­ch auch einen Beziehungs­streit im Alltag. „Wenn mein Mann oder ich genervt sind, weil wir etwas suchen oder etwas herunterge­fallen ist, sagen wir oft: ‚Das war Paul‘.“

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Kuscheltie­re sind nicht nur für Kinder wichtige Begleiter. Auch viele Erwachsene genießen die Gesellscha­ft von Teddy und Co.

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