Von Flächenverbrauch bis Bürokratismus
Bei der Bauernversammlung im Rahmen des Herbrechtinger Lichtmessmarkts herrschte viel Gesprächsbedarf. Die Landwirte sparten bei der gut besuchten Veranstaltung am Samstag nicht mit Kritik.
Zwei Mal musste der Lichtmessmarkt in Herbrechtingen pandemiebedingt entfallen – und damit auch die traditionelle Bauernversammlung im Hotel Grüner Baum. Dieses Jahr war es wieder soweit. Glücklicherweise hatte das Wetter kurz zuvor noch umgeschlagen und hielt statt vorhergesagtem Regen bisweilen Sonnenschein bereit. Während an den Marktständen draußen in der Langen Straße immer mehr Betrieb herrschte, füllte sich auch der Saal im Gasthaus. Es mussten sogar Stühle dazugestellt werden. Offensichtlich hatte sich bei den hiesigen Landwirten in den zurückliegenden Jahren viel Gesprächsbedarf angesammelt, der bei dieser Veranstaltung in gewohnter Weise gegenüber den Vertretern der Verwaltung und der Politik angesprochen und diskutiert wurde.
Hochkarätig besetztes Podium
Eine Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen sollte, denn in Herbrechtingen finde die am hochkarätigsten besetzte Bauernversammlung statt – zumindest wenn man Hubert Kucher, Vorsitzender des Bauernverbands Ostalb-heidenheim, fragt. Kucher vertrat am Tisch der Redner gemeinsam mit Hans Ott vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter sowie Bauernobmann und Stadtrat Günter Thierer (Freie Wähler) die Seite der Landwirte. Für die Verwaltung nahmen Stadtrat Martin Müller (Freie Wähler) in seiner Funktion als stellvertretender Bürgermeister und Landrat Peter Polta Platz. Von den Politikern fanden Cdubundestagsabgeordneter Roderich Kiesewetter, die Landtagsabgeordneten Andreas Stoch (SPD) und Martin Grath (Grüne) den Weg in die Stadt unterm Buigen.
In seiner Begrüßung verwies Thierer auf den noch jungen Herbrechtinger Verein „IG Flächenverbrauch stoppen, Lebensgrundlagen erhalten“, in dem er sich selbst engagiert, und brachte seine Enttäuschung über die grüne Landesregierung zum Ausdruck, die zugelassen habe, dass der Flächenverbrauch entgegen ihrer Zielsetzung nicht gesunken, sondern
gestiegen sei. Immer mehr gute Böden würden versiegelt und damit für die Landwirtschaft unbrauchbar gemacht. „Doch was passiert, wenn wir neben unserer Energieversorgung auch mit unserer Ernährung autark werden müssen?“, stellte er die Frage in den Raum.
Auch Kucher rief zu einem sensibleren Umgang mit Flächen auf. Ihm zufolge würden in Deutschland täglich 60 Hektar zugebaut, was zu einer immer größeren Abhängigkeit von Lebensmittelimporten führe. Baden-württemberg beziehe beispielsweise 60 Prozent der Kartoffeln und jeweils 40 Prozent Eier und Schweinefleisch aus dem Ausland. „Wir müssen Flächen künftig mehrfach, also in mehreren Ebenen nutzen.“Das könnte etwa so aussehen: Unten Parkplätze, darüber Produktion und oben oder an den Außenwänden Grün oder Photovoltaik (PV). Dann würde der Strom dort erzeugt werden, wo er auch verbraucht würde, was das Stromnetz entlasten würde – im Gegensatz zu Agri- oder Freiflächen-pv-anlagen.
Grath sei zwar kein Freund von Freiflächen-pv, diese könnten bei Bedarf aber relativ einfach wieder zurückgebaut werden. Ohnehin müssten die Netze intensiv ausgebaut werden. Stoch ist der
Meinung, solange es noch Parkplätze oder Logistikhallen ohne PV gebe, dürfe man damit nicht auf freie Flächen. Kiesewetter bedauert, dass es etwa bei Amazon in Heidenheim nicht gelungen sei, den Grundstücksverkauf an Auflagen, die erneuerbare Energien betreffen, zu koppeln.
Innenverdichtung vorrangig
Für die Stadt Herbrechtingen habe das Bauen im Innenbereich oberste Priorität, so der stellvertretende Bürgermeister Martin Müller, Stichwort Liegelindareal. Da sich viele unbebaute oder ungenutzte Grundstücke jedoch in privatem Besitz befänden,
sei die Stadt auf die Mithilfe der Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Nichtsdestotrotz werde es nicht möglich sein, ohne Neubaugebiete die Einwohnerzahl und damit die Nutzung der Bildungsund Freizeiteinrichtungen vor Ort aufrechtzuerhalten. Daraufhin wollte Landwirt Hans Bosch aus Eselsburg wissen, warum man das System nicht für weniger Einwohner anpassen könne. Dies sei ein weit verbreiteter Irrtum, entgegnete Stoch: „Wir werden zwar älter, aber insgesamt nicht weniger. Wir brauchen mehr Flächen für immer mehr Menschen.“
Neben dem Flächenverbrauch zählte der Bürokratismus zu den
vorherrschenden Anliegen der Bauern. Zu Wort meldete sich ein Landwirt, der angab, dass sein Berufsstand schon seit Jahren in der Bauernversammlung klagt, im Papier zu ersticken droht, und forderte von der Verwaltung und der Politik nun endlich „Tabula rasa“zu machen. Auf diesen Zug sprang Bauernverbandsvorsitzender Hubert Kucher auf: „Wir brauchen nicht immer noch mehr Auflagen und noch mehr Labels, sondern mehr Vertrauen. Schließlich werden wir doch vom Staat ausgebildet.“
Laut Landrat Peter Polta leiden auch seine Mitarbeiter im zuständigen Landwirtschaftsamt unter den gesetzlichen Vorgaben, er versprach aber, dass sein Team künftig besser unterstützen und informieren werde. Der Fachbereich sei personell verstärkt worden und es würden wieder persönliche Termine angeboten.
Höhere Erzeugerpreise 2022
Hans Ott vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter findet es bedenklich, dass erst infolge von Krisen faire Erzeugerpreise zustandekommen. Vor dem Ukraine-krieg seien 60 Cent für den Liter Milch unvorstellbar gewesen, die brauche es jedoch, um kostendeckend arbeiten und leben zu können und nicht, um davon
reich zu werden. Die Zahlen sprechen für sich: Ott zufolge haben 2022 maximal 50 Betriebe aufgegeben, 2016 waren es noch 1000 Betriebe. Seit Januar 2023 brechen die Preise aufgrund gestiegener Milchproduktion wieder ein. Ott drängt daher auf eine krisensichere Sektorstrategie seitens der Politik.
In Deutschland gebe es nun mal die soziale Marktwirtschaft, in der nicht der Staat, sondern der freie Handel die Preise regelt, so der Spd-landtagsabgeordnete. „Wie können wir trotzdem Lebensmittelsicherheit organisieren? Unter anderem, indem wir uns unabhängig von fossilen Brennstoffen machen.“
Einigkeit dürfte darin bestanden haben, dass die Herausforderungen groß sind und die Zeit bis zur nächsten Versammlung kurz ist.