Köhlern 2.0
Die Dischinger Firma Carbon Technik Schuster will mit Karbonisierungsanlagen in Serie gehen und damit Kohlenstoff und Energie produzieren. Zwei der Systeme sind bereits in Betrieb.
Die Köhlerei ist ein seit Jahrhunderten betriebenes Handwerk: Holz wird durch Hitze in reinen Kohlenstoff umgewandelt. Um ein paar Schritte weitergedacht, könnte diese Technologie dazu beitragen, dem Klimawandel entgegenzuwirken, praktisch Köhlern 2.0. Dabei will die Firma Carbon Technik Schuster (CTS) aus Dischingen ganz vorne mitmischen.
An einen sorgfältig aufgeschichteten Kohlenmeiler erinnert das, was das Unternehmen mit Firmensitz direkt neben der Pfarrkirche St. Johannes Baptist entwickelt und vertreibt, überhaupt nicht. Die Referenzanlage, im August 2022 in Darmstadt in Betrieb genommen, besteht aus Containern, siloartigen Türmen, Rohrleitungen und einem Kamin, alles ungefähr auf der Grundfläche eines größeren Wohnhauses. Aber es raucht nicht und riecht nicht, und am Ende des Prozesses kommt nicht nur reiner Kohlenstoff heraus – der Betreiber kann auch Energie gewinnen und nutzen.
Leuchtturm-technologie
„Das ist unser Leuchtturmprojekt“, sagt Nabil Linke, bei CTS zuständig für Entwicklung und Marketing. Die kleinste Einheit der Karbonisierungsanlage aus Dischingen kann Linke zufolge jährlich bis zu 800 Tonnen Pflanzenkohle erzeugen. Dieser Kohlenstoff ist, anders als etwa Grillkohle, nicht zum Verbrennen gedacht. Er wird der Atmosphäre somit dauerhaft entzogen. Weil bei diesem Karbonisierungsverfahren außerdem mehr Energie entsteht, als für den Prozess zugeführt werden muss, hat die Anlage einen positiven Effekt auf die Atmosphäre: Sie fungiert als sogenannte Kohlenstoffsenke. Linke geht davon aus, dass bei der Herstellung von 1000 Tonnen Kohle 3000 Tonnen Kohlenstoffdioxid gebunden werden.
Gefüttert werden solche Anlagen in der Regel mit holzigen Pflanzenresten. Diese können, erklärt Linke, etwa in städtischen Betrieben beim Baumschnitt anfallen,
auch Reste aus der Kompostierung oder aus der Forstwirtschaft sind geeignet. Feuchtes Material kann vor der Verschwelung mit Abwärme der Anlage getrocknet werden. Linke geht davon aus, dass allein in Deutschland jährlich 60 Millionen Tonnen geeigneten Materials anfallen. Bislang wird dieser Rohstoff meist verbrannt. „Er ist aber viel zu schade zum Verbrennen“, sagt der Cts-entwickler.
Nachhaltige Anwendungen
Die Hauptanwendungsgebiete für hochwertige Pflanzenkohle liegen in der Landwirtschaft, dort kann sie als Stalleinstreu und als Futterzusatz
dienen, der den Stoffwechsel von Nutztieren entlastet. Dass diese Form des Kohlenstoffs auch zur Bodenverbesserung dient, ist außerdem in manchen Regionen der Erde seit langem bekannt. Unter dem Begriff „terra preta“(„schwarze Erde“) ist das Konzept mit Kohle angereicherter Erde seit einigen Jahren auch in Europa angekommen. In Kläranlagen soll der reine Kohlenstoff mit seiner riesigen inneren Oberfläche in der Lage sein, Mikroplastik und Medikamentenrückstände aus dem Wasser zu filtern.
Zwar ist die aus Pflanzenresten gewonnene Kohle ein attraktives Material, das Branchenkollegen wie die in Giengen ansässigen Carbonauten beispielsweise für industrielle Zwecke nutzen wollen. Die Firma CTS setzt aber im mindestens gleichen Maße auf die Energiegewinnung. Beim Karbonisierungsprozess entstehen nämlich in großen Mengen Gase, die in einem eigens entwickelten Verfahren aus dem senkrecht stehenden Meiler abgesaugt und direkt in einer Turbine verbrannt und verstromt werden können. Denkbar sei auch, die entstehende Wärmeenergie in Nahwärmenetze einzuspeisen, so Nabil Linke.
Ersatz für fossile Brennstoffe
Außerdem fallen beim Verschwelen sogenannte Pyrolyseöle an, deren Energiegehalt laut Linke in etwa halb so hoch ist wie bei Heizöl. „Damit könnten wir speicherbare Energie gewinnen und von fossiler Energie stärker unabhängig werden“, so Linke. In Dischingen arbeitet man mit Hochdruck daran, diese ergänzende Technologie weiterzuentwickeln. Am Bedarf für solche Angebote zweifelt man bei CTS jedenfalls nicht. Die politische Weltlage trage dazu bei, dass das Thema Aufwind erlebe, sagt Nabil Linke.
Die erste Referenzanlage von CTS ist seit 2019 in der Oberpfalz in Betrieb, eine weitere ist dort im Bau. Die komplexen Anlagen bekommen in Dischingen ihr „Gehirn“, also ihre Steuerungselektronik, ohnehin die Kernkompetenz des mittelständischen Unternehmens. Den Großteil aller anderen Bauteile bezieht CTS von Zulieferern, die überwiegend aus Baden-württemberg stammen.
Dass diese Idee in Dischingen umgesetzt wird, ist kein Zufall. Firmengründer und Geschäftsführer Reimund Schuster arbeitete bereits vor etwa 20 Jahren zusammen mit Dr. Bernd Schottdorf an der Entwicklung einer Karbonisierungsanlage. Der mittlerweile verstorbene Laborunternehmer und Besitzer von Schloss Duttenstein hatte eigens eine Versuchsanlage errichten lassen, die zum Bau von rund einem Dutzend Prototypen führte. Schuster steuerte das Know-how bei, um die Anlagen elektronisch zu regeln, um alle Prozessparameter exakt einstellen zu können. Die Kinderkrankheiten, die Schottdorfs Prototyp noch hatte, wurden so nach und nach beseitigt. 2016 gründete Schuster schließlich die CTS.
Schottdorf hatte früh im Blick, dass Pflanzenkohle die Landwirtschaft weniger abhängig von industriell hergestellten Düngemitteln machen könnte. Auch die Landbevölkerung in ärmeren Regionen der Erde sollte so stärker selbstbestimmt wirtschaften können, so Schottdorf damals gegenüber der HZ.
Anlage für Ostwürttemberg?
Wie geht es weiter? „Wir haben ein Produkt, das in die Serienfertigung gehen kann“, stellt Nabil Linke fest. „Unsere Referenzanlage schnurrt wie ein Kätzchen.“Daher hofft man in Dischingen, auch in der Region Ostwürttemberg eine Anlage bauen zu dürfen, idealerweise mit Anbindung an eine Stadt oder Gemeinde, um zu belegen, dass die Kombination zum „Vorzeigeprojekt“werden kann. Noch seien Investoren aber zurückhaltend, weil CTS eben ein junges Unternehmen sei.