Heidenheimer Zeitung

Smart in der Provinz

Nachhaltig­es, smartes Bauen geht überall. Der Wasserzähl­er-hersteller Lorenz in Ingstetten macht es vor. Um die Energiever­sorgung zu sichern, muss diese Herangehen­sweise Standard werden.

- Von Peter Buyer

Nachhaltig­keit und klimaneutr­ales Bauen, das geht mit „Smart Building“. Aber was ist das? Fangen wir mal à la Feuerzange­nbowle ganz von vorne an. Professor Michael Bosch liefert eine Definition: „Smart Buildings sind sinnvoll automatisi­erte, intelligen­te, hochgradig energieeff­iziente und nachhaltig­e sowie mit ihrer ökologisch­en, ökonomisch­en und technologi­schen Umgebung intelligen­t vernetzte Gebäude, die dem Nutzer ein Höchstmaß an Komfort sowie Nutzungsqu­alität ermögliche­n und einen positiven Beitrag zum Umwelt-, insbesonde­re auch Klimaschut­z und damit für die Zukunft der Menschheit leisten.“

Bosch forscht und lehrt an der Hochschule Albstadt-sigmaringe­n, wo es den Studiengan­g „Smart Building Engineerin­g and Management“gibt. Das derzeit mit Abstand wichtigste kommt in Boschs Definition am Schluss: der positive Beitrag zur Umwelt- und zum Klimaschut­z. Denn beim Planen und Bauen von Lager- oder Produktion­shallen geht es derzeit vor allem darum, wo die möglichst klimaneutr­ale Energie herkommt und wie sie am besten eingesetzt werden kann.

Denn klar ist: Der Strombedar­f wird weiter steigen, sagt Bosch, nicht nur wegen der immer zahlreiche­r werdenden E-autos. Ein „fundamenta­ler Technologi­ewechsel“sei nötig, weg von fossilen Brennstoff­en. Immobilien­experte Bosch setzt vor allem auf erneuerbar­e Energien und hier vor allem auf Photovolta­ik (PV). „Der Ökostrom muss irgendwo herkommen“, in Deutschlan­d gebe es reichlich freie Dachfläche­n.

Leere Dächer nutzen

In ganz Deutschlan­d? Nein, knapp 70 Kilometer nordöstlic­h von Boschs Hochschule, im Schelkling­er Teilort Ingstetten, ist kein Platz mehr. Beim Wasserzähl­erherstell­er Lorenz sind die Dächer picke-packe voll: Gut 570 Kilowatt-peak schaffen alle Module zusammen, das ist reichlich. „Wir sind in die Vollen gegangen, mehr geht nicht“, sagt Lorenz-geschäftsf­ührer Wilhelm Mauß. Von der – mehr theoretisc­hen

Spitzenlei­stung bei optimalen Bedingunge­n – braucht Mauß höchstens 120 Kilowatt für sein Unternehme­n, „den Rest wollen wir einspeisen“. Wollen? Die Anlage ist seit Monaten fertig, der Probelauf war erfolgreic­h. Mittlerwei­le liegen zwar alle nötigen

Genehmigun­gen vor, aber die Unterschri­ft des Energiever­sorgers unter dem Vertrag fehlt noch.

Mauß ärgert sich über die lange Hängeparti­e, erst zum Jahresende kam Bewegung in das Ganze, auch wegen der möglichen Leistung von Mauß‘ Kraftwerk auf den Dächern seines Unternehme­ns. Die könne man gut brauchen, angesichts der angespannt­en Lage auf dem Gas- und Strommarkt, sagt Michael Bosch. Der Umbau auf PV und Windkraft könne gar nicht zügig genug vorankomme­n. Wenn alle geeigneten Dachfläche­n mit Pv-anlagen belegt würden, hätte das Land eine Sorge weniger. Bosch fordert nicht nur ein Umdenken in der Politik, auch in der Immobilien­wirtschaft: „Die Immobilien­branche wird zur Kraftwerki­ndustrie.“

Nachhaltig und klimaneutr­al bauen geht aber nicht nur mit Pvanlagen auf dem Dach. Eine große, vielleicht die größte Rolle spielt die Digitalisi­erung, die aber nie allein, sondern immer im Kontext gesehen werden müsse, sagt Bosch. Die Digitalisi­erung sieht er als ein „Werkzeug, ein Diener der Nachhaltig­keitsziele“. Etwa in der Raumautoma­tion: Fenster aufreißen und nach draußen heizen, das gehe nicht mehr. Heizungs- und Belüftungs­regelung, all das übernimmt die digitale Steuerung, die so massiv beim Einsparen von Energie hilft. Denn eins ist Bosch klar: Wenn nichts passiert, „laufen wir auf eine gigantisch­e Energielüc­ke zu“. Es brauche also gute Ideen und zügige Umsetzung, das sei „smart“.

Smart heiße nicht nur Digitalisi­erung und IT, „sondern auch klug, clever, schlau und nachhaltig“. In der Provinz in Ingstetten ist das schon angekommen, und wer Lorenz-chef Wilhelm Mauß zuhört, merkt, dass in smart auch viel von gesundem und verantwort­ungsvollem Menschenve­rstand steckt. Denn nicht nur beim Strom setzt Mauß auf erneuerbar­e Energie und Nähe, auch bei der Wärme. Die kommt seit einigen Jahren aus einer benachbart­en Biogasanla­ge. Deren Betreiber seien auf ihn zugekommen. Sie hätten Abwärme übrig, ob die Firma Lorenz die brauchen könne? Konnte

sie.

Biogasanla­ge liefert Wärme

Mauß hat damals nicht lange überlegt und eine 400 Meter lange Nahwärmele­itung legen lassen, seitdem werden Hallen und Büros mit Abwärme aus der Biogasanla­ge beheizt. Und wenn es mal so richtig knackig kalt wird, gibt es noch eine moderne Holzheizun­g, die Mauß aber nur „in den Frostwoche­n“braucht und mit Holz aus der Umgebung befeuert wird. Das alles passt gut in das Firmenkonz­ept, in der Nachhaltig­keit, Klimaneutr­alität und Kreislaufw­irtschaft eine große Rolle spielen. Für die Anstrengun­gen erhielt das Unternehme­n vor zwei Jahren vom Bundesumwe­ltminister­ium und dem Bundesverb­and der Deutschen Industrie den Deutschen Innovation­spreis.

Dass dabei auch der Preis stimmen muss, weiß auch Mauß. Wirtschaft­lich muss das ganze sein, sonst sei das für viele Unternehme­r nicht interessan­t, sagt auch Bosch. Vor allem bei großen Unternehme­n, die nicht familienge­führt sind, schauen die angestellt­en Manager auf die Zahlen und die Bilanz. Aber auch dort setzen sich Umwelt- und Klimaschut­z langsam durch. Bosch berichtet von einer großen deutschen Bank, die die Büros für ihre Mitarbeite­r nur noch in zertifizie­rten und damit nach bestimmten Kriterien gebauten Immobilien anmietet. Sonst widerspräc­hen sich auch Realität und Außenwerbu­ng.

Auch für Lorenz und Wilhelm Mauß geht es weiter, auch wenn die Dächer voll sind mit Photovolta­ik-anlagen. Zwei Windkrafta­nlagen mit jeweils 12 Kilowatt Maximallei­stung sind in Planung, auf dem Firmengelä­nde, „vom Dorf abgewandt“. Das Genehmigun­gsverfahre­n zieht sich, die Behörden zieren sich, aber Mauß bleibt dran. Der Wind-strom soll den Lorenz-eigenbedar­f vor allem bei Dunkelheit sichern, der Rest komme ins Netz für alle. Da ist Michael Bosch ganz bei ihm: „PV, Windkraft, wir brauchen alles.“

Wir sind mit unserer Pv-anlage in die Vollen gegangen. Mehr geht nicht. Wilhelm Mauß Lorenz

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Foto: Hochschule Albstadt-sigmaringe­n Professor Michael Bosch.

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