Smart in der Provinz
Nachhaltiges, smartes Bauen geht überall. Der Wasserzähler-hersteller Lorenz in Ingstetten macht es vor. Um die Energieversorgung zu sichern, muss diese Herangehensweise Standard werden.
Nachhaltigkeit und klimaneutrales Bauen, das geht mit „Smart Building“. Aber was ist das? Fangen wir mal à la Feuerzangenbowle ganz von vorne an. Professor Michael Bosch liefert eine Definition: „Smart Buildings sind sinnvoll automatisierte, intelligente, hochgradig energieeffiziente und nachhaltige sowie mit ihrer ökologischen, ökonomischen und technologischen Umgebung intelligent vernetzte Gebäude, die dem Nutzer ein Höchstmaß an Komfort sowie Nutzungsqualität ermöglichen und einen positiven Beitrag zum Umwelt-, insbesondere auch Klimaschutz und damit für die Zukunft der Menschheit leisten.“
Bosch forscht und lehrt an der Hochschule Albstadt-sigmaringen, wo es den Studiengang „Smart Building Engineering and Management“gibt. Das derzeit mit Abstand wichtigste kommt in Boschs Definition am Schluss: der positive Beitrag zur Umwelt- und zum Klimaschutz. Denn beim Planen und Bauen von Lager- oder Produktionshallen geht es derzeit vor allem darum, wo die möglichst klimaneutrale Energie herkommt und wie sie am besten eingesetzt werden kann.
Denn klar ist: Der Strombedarf wird weiter steigen, sagt Bosch, nicht nur wegen der immer zahlreicher werdenden E-autos. Ein „fundamentaler Technologiewechsel“sei nötig, weg von fossilen Brennstoffen. Immobilienexperte Bosch setzt vor allem auf erneuerbare Energien und hier vor allem auf Photovoltaik (PV). „Der Ökostrom muss irgendwo herkommen“, in Deutschland gebe es reichlich freie Dachflächen.
Leere Dächer nutzen
In ganz Deutschland? Nein, knapp 70 Kilometer nordöstlich von Boschs Hochschule, im Schelklinger Teilort Ingstetten, ist kein Platz mehr. Beim Wasserzählerhersteller Lorenz sind die Dächer picke-packe voll: Gut 570 Kilowatt-peak schaffen alle Module zusammen, das ist reichlich. „Wir sind in die Vollen gegangen, mehr geht nicht“, sagt Lorenz-geschäftsführer Wilhelm Mauß. Von der – mehr theoretischen
Spitzenleistung bei optimalen Bedingungen – braucht Mauß höchstens 120 Kilowatt für sein Unternehmen, „den Rest wollen wir einspeisen“. Wollen? Die Anlage ist seit Monaten fertig, der Probelauf war erfolgreich. Mittlerweile liegen zwar alle nötigen
Genehmigungen vor, aber die Unterschrift des Energieversorgers unter dem Vertrag fehlt noch.
Mauß ärgert sich über die lange Hängepartie, erst zum Jahresende kam Bewegung in das Ganze, auch wegen der möglichen Leistung von Mauß‘ Kraftwerk auf den Dächern seines Unternehmens. Die könne man gut brauchen, angesichts der angespannten Lage auf dem Gas- und Strommarkt, sagt Michael Bosch. Der Umbau auf PV und Windkraft könne gar nicht zügig genug vorankommen. Wenn alle geeigneten Dachflächen mit Pv-anlagen belegt würden, hätte das Land eine Sorge weniger. Bosch fordert nicht nur ein Umdenken in der Politik, auch in der Immobilienwirtschaft: „Die Immobilienbranche wird zur Kraftwerkindustrie.“
Nachhaltig und klimaneutral bauen geht aber nicht nur mit Pvanlagen auf dem Dach. Eine große, vielleicht die größte Rolle spielt die Digitalisierung, die aber nie allein, sondern immer im Kontext gesehen werden müsse, sagt Bosch. Die Digitalisierung sieht er als ein „Werkzeug, ein Diener der Nachhaltigkeitsziele“. Etwa in der Raumautomation: Fenster aufreißen und nach draußen heizen, das gehe nicht mehr. Heizungs- und Belüftungsregelung, all das übernimmt die digitale Steuerung, die so massiv beim Einsparen von Energie hilft. Denn eins ist Bosch klar: Wenn nichts passiert, „laufen wir auf eine gigantische Energielücke zu“. Es brauche also gute Ideen und zügige Umsetzung, das sei „smart“.
Smart heiße nicht nur Digitalisierung und IT, „sondern auch klug, clever, schlau und nachhaltig“. In der Provinz in Ingstetten ist das schon angekommen, und wer Lorenz-chef Wilhelm Mauß zuhört, merkt, dass in smart auch viel von gesundem und verantwortungsvollem Menschenverstand steckt. Denn nicht nur beim Strom setzt Mauß auf erneuerbare Energie und Nähe, auch bei der Wärme. Die kommt seit einigen Jahren aus einer benachbarten Biogasanlage. Deren Betreiber seien auf ihn zugekommen. Sie hätten Abwärme übrig, ob die Firma Lorenz die brauchen könne? Konnte
sie.
Biogasanlage liefert Wärme
Mauß hat damals nicht lange überlegt und eine 400 Meter lange Nahwärmeleitung legen lassen, seitdem werden Hallen und Büros mit Abwärme aus der Biogasanlage beheizt. Und wenn es mal so richtig knackig kalt wird, gibt es noch eine moderne Holzheizung, die Mauß aber nur „in den Frostwochen“braucht und mit Holz aus der Umgebung befeuert wird. Das alles passt gut in das Firmenkonzept, in der Nachhaltigkeit, Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft eine große Rolle spielen. Für die Anstrengungen erhielt das Unternehmen vor zwei Jahren vom Bundesumweltministerium und dem Bundesverband der Deutschen Industrie den Deutschen Innovationspreis.
Dass dabei auch der Preis stimmen muss, weiß auch Mauß. Wirtschaftlich muss das ganze sein, sonst sei das für viele Unternehmer nicht interessant, sagt auch Bosch. Vor allem bei großen Unternehmen, die nicht familiengeführt sind, schauen die angestellten Manager auf die Zahlen und die Bilanz. Aber auch dort setzen sich Umwelt- und Klimaschutz langsam durch. Bosch berichtet von einer großen deutschen Bank, die die Büros für ihre Mitarbeiter nur noch in zertifizierten und damit nach bestimmten Kriterien gebauten Immobilien anmietet. Sonst widersprächen sich auch Realität und Außenwerbung.
Auch für Lorenz und Wilhelm Mauß geht es weiter, auch wenn die Dächer voll sind mit Photovoltaik-anlagen. Zwei Windkraftanlagen mit jeweils 12 Kilowatt Maximalleistung sind in Planung, auf dem Firmengelände, „vom Dorf abgewandt“. Das Genehmigungsverfahren zieht sich, die Behörden zieren sich, aber Mauß bleibt dran. Der Wind-strom soll den Lorenz-eigenbedarf vor allem bei Dunkelheit sichern, der Rest komme ins Netz für alle. Da ist Michael Bosch ganz bei ihm: „PV, Windkraft, wir brauchen alles.“
Wir sind mit unserer Pv-anlage in die Vollen gegangen. Mehr geht nicht. Wilhelm Mauß Lorenz