Heidenheimer Zeitung

Berechtigt­e Sorge

- Guido Bohsem zu den Folgen der Spionage-ballon-affäre leitartike­l@swp.de

Die USA spionieren in China. China spioniert in Europa. Die Europäer spionieren in Russland. Russland spioniert in den USA. Die ganze Welt hört einander ab, beobachtet sich gegenseiti­g, wertet Dokumente aus, bricht in Server ein, kontrollie­rt Mails und soziale Netzwerke. Da erscheint es als ganz normal, zumindest aber als nicht ungewöhnli­ch, dass die chinesisch­e Regierung auf die Idee kommt, einen 61 Meter hohen Ballon über die USA treiben zu lassen, um damit Kommunikat­ionsdaten zu sammeln. Nach Einschätzu­ng des Us-außenminis­teriums betreibt Peking eine ganze Flotte solcher Luftschiff­e – über insgesamt 40 Ländern. Wer bei gutem Wetter in den Himmel schaut, könnte durchaus einen entdecken.

Cosi fan tutte – so machen es alle. Was also ist nun so besonders an diesem chinesisch­en Spionage-ballon, der ein paar Tage lang über der USA schwebte und dann vom Us-militär abgeschoss­en wurde? Der wesentlich­e Unterschie­d ist, dass Spionage und Gegen-spionage in der Regel im Geheimen bleiben. Wenn die Sache allerdings auffliegt und der Öffentlich­keit bekannt wird, ist die Aufregung und die Empörung groß.

Dass Us-präsident Joe Biden den Chinesen nun eine Verletzung des Völkerrech­ts vorwirft, gehört genauso zum Spiel wie die lautstarke Verteidigu­ng Chinas, es habe sich doch nur um einen verirrten Wetterball­on gehandelt, den die USA keinesfall­s hätten abschießen dürfen. Und doch steckt hinter der weltweiten Aufregung über den Ballon eine berechtigt­e Sorge, die angesichts des Abschusses zweier weiterer unbekannte­r Flugobjekt­e über Alaska und Kanada am Wochenende noch befeuert wird.

Die Spannungen zwischen den beiden größten Wirtschaft­smächten der

Welt nehmen von Woche zu Woche zu. Die USA haben den chinesisch­en Aufstieg lange Zeit wohlwollen­d begleitet und davon profitiert, sind aber inzwischen zum Schluss gekommen, dass sie ihren Kurs Peking gegenüber ändern müssen. Das geschieht aus wirtschaft­lichen, kulturelle­n und militärisc­hen Gründen. Pekings Wirtschaft­smacht bedroht inzwischen die amerikanis­che Vormachtst­ellung in einem hohen Maß. China macht zudem immer deutlicher, dass es die westliche Vorstellun­g einer repräsenta­tiven Demokratie nicht akzeptiert, sondern das eigene Modell eines autoritäre­n Manchester-kommunismu­s

Mit einem gigantisch­en Waffenarse­nal im Rücken steckt das Land seine Gebietsans­prüche ab.

für überlegen hält – und es in die Welt exportiere­n möchte, wie die Einflussna­hme in Afrika zeigt.

Das größte Kopfzerbre­chen bereitet den Experten in der Regierung und den Think-tanks Washington­s allerdings die militärisc­he Aufrüstung des fernöstlic­hen Rivalen. Mit einem gigantisch­en Waffenarse­nal im Rücken steckt das Land seine Gebietsans­prüche nicht nur in Richtung Taiwan ab. Dass die chinesisch­e Regierung ihre enormen Rüstungsau­sgaben jedoch vor allem damit rechtferti­gt, sie müsse sich gegen den Us-imperialis­mus schützen, macht die Lage nicht leichter. Die scheinbare Posse um den Ballon ist deshalb auch mehr als nur eine Episode in der Spionagege­schichte. Sie mutet wie ein Omen vor dem anstehende­n Konflikt an.

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