Heidenheimer Zeitung

„Eher graduelles Aufstocken“

Aus Sicht des Experten Ed Arnold hat die erwartete russische Großoffens­ive in der Ukraine noch nicht begonnen.

- Jacqueline Westermann

London. Dass eine weitere russische Offensive in der Ukraine bevorsteht, scheint unbestritt­en. Berichte häufen sich, dass die Operation begonnen hat. Der Sicherheit­sexperte Ed Arnold vom Royal United Services Institute in London hat daran Zweifel.

Das Institut für Kriegsstud­ien hat in den letzten Tagen einen deutlichen Zuwachs an Militärope­rationen im Luhansker Gebiet bestätigt. Ist das die erwartete russische Offensive? Ed Arnold:

Beurteilt man die nachrichte­ndienstlic­hen Berichte, gehe ich eher von einem graduellen Aufstocken aus. Russland hat mehr Truppen in das Gebiet geschickt, aber es bleibt unklar, ob es sich um eine Großoffens­ive handelt. Die russische Seite müsste auch signifikan­t ihr Tempo der Militärope­rationen erhöhen, wenn die Offensive erfolgreic­h sein soll. Nach den letzten sechs eher erfolglose­n Monaten im Osten bräuchte es eine viel stärkere Kampfkraft, um große Teile des Gebiets zurückzuer­obern.

Auf Russisch heißt sie „Rasputitsa“, auf Ukrainisch „Bezdorozhi­e“, die Zeit ohne Wege, also die Schlammzei­t vor und nach dem Winter. Inwiefern kann der Matsch die Offensive torpediere­n?

Nun, der Schlamm kann gepanzerte Fahrzeuge verlangsam­en und natürlich gerade bei der Logistik für Belastunge­n sorgen. Vor allem, wenn die Truppen sich dadurch nur auf befestigte­n Straßen fortbewege­n können und so ein leichteres Ziel werden. Generell ist der Matsch ein Faktor, den es einzurechn­en gilt, er kann Dinge verhindern. Er wird meiner Meinung nach aber zu sehr hochgescha­ukelt. Auch, weil die Russen den Fokus weniger auf gepanzerte Fahrzeuge legen, die potenziell stecken bleiben könnten, sondern auf abgesessen­e Infanterie, also Soldaten, die zu Fuß an die Front geschickt werden. Meiner Meinung nach wird das Wetter für die Russen nicht so entscheide­nd sein wie die Moral, Führung und Fähigkeite­n, eine Offensive umzusetzen. Vor allem nach Monaten,

in denen sie einen hohen Preis für marginale Gewinne bezahlen mussten.

Und könnten die Panzer, die die westlichen Verbündete­n der Ukraine liefern wollen, überhaupt einen Unterschie­d in der kommenden Frühlingso­ffensive machen?

Der Westen hat sich viel zu lange Zeit gelassen mit der Entscheidu­ng, Panzer zu liefern, als dass das in der Frühjahrso­ffensive noch entscheide­nd wäre. Wenn man aber in die Zukunft blickt, dann könnten sie im Laufe einen ordentlich­en Unterschie­d in der Kampffähig­keit machen. Die wichtigste Frage wird dann sein, wie und wo die Ukrainer sie einsetzen wollen. Ich würde jetzt dazu raten, sie noch zurückzuha­lten, die Soldaten ordentlich an ihnen zu trainieren und sie dann in bestehende Verbände zu integriere­n. Es wäre zu riskant, sie im aktuellen Kampf einzusetze­n und somit ihr offensives Potenzial zu verschenke­n.

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