Ohne Anmeldung, unter Polizeigeleit
Seit mehr als einem Jahr ziehen sogenannte Montagsspaziergänger durch die Innenstadt. Die Stadtverwaltung lässt die Menschen laufen, auch wenn die Versammlung nicht ordnungsgemäß ist.
Die unwirtlichen Temperaturen schrecken die Spaziergänger nicht ab. Immer wieder montags zieht eine ansehnliche Menschenmenge für rund eineinhalb Stunden durch die Heidenheimer Innenstadt. Straßen werden dafür kurzzeitig gesperrt. Mal sind es geschätzt rund 100 Menschen, mal mehr als 150. Egal, ob es stürmt, regnet oder eiskalt ist wie in diesen Tagen. Oder schwülheiß wie im Sommer. Der harte Kern ist immer da, man kennt sich, begrüßt sich, nennt sich größtenteils beim Namen.
Um was geht es den Menschen?
Einst aus der Bewegung von Impfgegnern, Corona-leugnern und Lockdown-kritikern entstanden, hat sich der Inhalt des Protests geändert. Die Menschen tragen Plakate mit diversen Botschaften mit sich. Sie sind gegen – ja, gegen was eigentlich? So ganz genau lässt es sich nicht fassen. Immer wieder ist in roter Schrift ein fettes „Nein“zu lesen, „Nein zur Spaltung, zur Inflation, zur Preisexplosion“. Auf den Rückseiten stehen Sprüche wie „Nur Bares ist Wahres, wir werden verarscht, Rente statt Rüstung“.
Unter eine einzige Überschrift fassen lasst sich der Unmut nicht. Aber der Unmut gegen „die da oben“vereint. Die einen sind überzeugt, dass „einige Bonzen uns alle benutzen und verarschen“. Viel Beachtung von außen findet der Marsch nicht, Passanten schauen kurz auf, ziehen dann aber schnell weiter. So, als wollten sie nicht in Verbindung mit den Protestlern gebracht werden. „Ich weiß, dass das nichts bringt, aber ich halte es nicht aus, ich muss hier mitlaufen“, sagt eine Frau. Was genau sie nicht aushält und welches ihre konkreten Verbesserungswünsche sind, lässt sie im Vagen. Sie wissen aber, dass „die da oben“keine Ahnung von „uns da unten“haben.
Der Grund für den Polizeieinsatz
Polizisten geleiten die Spaziergänger jede Woche aufs Neue durch die Stadt – Begründung: damit ihnen und anderen nichts passiert. Ebenso mit dabei sind Mitarbeiter des Ordnungsdienstes der Stadt. Dass der Protestzug nicht angemeldet ist, spielt für die Polizei keine Rolle: „Wir sind da zum Schutz und um das Versammlungsrecht durchzusetzen, ob angemeldet oder nicht,“sagt Polizeisprecherin Andrea Wagner.
Angemeldet war der Protestzug nur in ganz wenigen Ausnahmen. Die Stadtverwaltung lässt das durchgehen. Doch warum eigentlich, wenn auf der anderen Seite jeder noch so kleine Infostand und auch jede Versammlung unter freiem Himmel angemeldet werden muss? Ungeachtet der Tatsache, dass man sich angesichts der Versammlungs
und Meinungsfreiheit in Deutschland auch versammeln und dabei Meinungen äußern darf.
Warum schreitet Stadt nicht ein?
Die Antwort vonseiten der Stadt: Die Spaziergänge montags würden nach wie vor aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht aufgelöst. Die Spaziergänge, bislang etwa 60 an der Zahl, verliefen friedlich. Zwar komme es auf Straßen zu Verkehrsbehinderungen. „Nach unserer Einschätzung kann hier allerdings nicht von einer
massiven Störung des fließenden Verkehrs gesprochen werden“, schreibt Pressesprecher Stefan Bentele in seiner Antwort. Diese Einschätzung teilt auch die Polizei, die bestätigt, dass aus dem vergangenen halben Jahr keine nennenswerten Zwischenfälle bekannt seien.
Nichtsdestotrotz bewegen sich die Spaziergänge in einer Grauzone und werden geduldet. Stefan Bentele weist darauf hin: „Gemäß Versammlungsgesetz sind derartige Versammlungen
und Kundgebungen anzumelden. Die Stadtverwaltung genehmigt diese in aller Regel auch, allenfalls mit Auflagen, um etwa Rettungswege offen zu halten und die Sicherheit der Beteiligten wie auch der Unbeteiligten zu gewährleisten.“Von den Montagsspaziergängen sei bislang kein einziger angemeldet gewesen.
Fest im Terminplan stehen sie auch ohne Anmeldung: Immer sind zwei Mitarbeitende des kommunalen Ordnungsdienstes sowie der Leiter der Versammlungsbehörde
abgestellt.
Seit November 2021 regelmäßig
Auch die Polizei ist in der Regel mit zwei Streifen vor Ort, sperrt Straßen ab und bildet auch die Nachhut des Zugs. Über der Zeit hat sich ein großes Arbeitspensum angesammelt. Die polizeilichen Protokolle besagen: Am Montag, 6. Februar 2023, fand in Heidenheim die 67. Demonstration ausgehend von der Coronapandemie statt. Einige wenige Ausnahmen gab es.
Drei der Versammlungen im Jahr 2022 seien angemeldet gewesen: am 6. Januar, 17. Januar und am 7. März.
In der Regel treffen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gegen 18 Uhr am Rathausplatz an der Grabenstraße, laufen eine Viertelstunde später los durch die Fußgängerzone und einen Rundweg erst Richtung Westen und dann wieder Richtung Osten durch die Innenstadt, um gegen 19.30 Uhr zum Rathaus zurückzukehren. Danach löst sich die Gruppe meist schnell wieder auf.