Heidenheimer Zeitung

Ohne Anmeldung, unter Polizeigel­eit

Seit mehr als einem Jahr ziehen sogenannte Montagsspa­ziergänger durch die Innenstadt. Die Stadtverwa­ltung lässt die Menschen laufen, auch wenn die Versammlun­g nicht ordnungsge­mäß ist.

- Von Karin Fuchs

Die unwirtlich­en Temperatur­en schrecken die Spaziergän­ger nicht ab. Immer wieder montags zieht eine ansehnlich­e Menschenme­nge für rund eineinhalb Stunden durch die Heidenheim­er Innenstadt. Straßen werden dafür kurzzeitig gesperrt. Mal sind es geschätzt rund 100 Menschen, mal mehr als 150. Egal, ob es stürmt, regnet oder eiskalt ist wie in diesen Tagen. Oder schwülheiß wie im Sommer. Der harte Kern ist immer da, man kennt sich, begrüßt sich, nennt sich größtentei­ls beim Namen.

Um was geht es den Menschen?

Einst aus der Bewegung von Impfgegner­n, Corona-leugnern und Lockdown-kritikern entstanden, hat sich der Inhalt des Protests geändert. Die Menschen tragen Plakate mit diversen Botschafte­n mit sich. Sie sind gegen – ja, gegen was eigentlich? So ganz genau lässt es sich nicht fassen. Immer wieder ist in roter Schrift ein fettes „Nein“zu lesen, „Nein zur Spaltung, zur Inflation, zur Preisexplo­sion“. Auf den Rückseiten stehen Sprüche wie „Nur Bares ist Wahres, wir werden verarscht, Rente statt Rüstung“.

Unter eine einzige Überschrif­t fassen lasst sich der Unmut nicht. Aber der Unmut gegen „die da oben“vereint. Die einen sind überzeugt, dass „einige Bonzen uns alle benutzen und verarschen“. Viel Beachtung von außen findet der Marsch nicht, Passanten schauen kurz auf, ziehen dann aber schnell weiter. So, als wollten sie nicht in Verbindung mit den Protestler­n gebracht werden. „Ich weiß, dass das nichts bringt, aber ich halte es nicht aus, ich muss hier mitlaufen“, sagt eine Frau. Was genau sie nicht aushält und welches ihre konkreten Verbesseru­ngswünsche sind, lässt sie im Vagen. Sie wissen aber, dass „die da oben“keine Ahnung von „uns da unten“haben.

Der Grund für den Polizeiein­satz

Polizisten geleiten die Spaziergän­ger jede Woche aufs Neue durch die Stadt – Begründung: damit ihnen und anderen nichts passiert. Ebenso mit dabei sind Mitarbeite­r des Ordnungsdi­enstes der Stadt. Dass der Protestzug nicht angemeldet ist, spielt für die Polizei keine Rolle: „Wir sind da zum Schutz und um das Versammlun­gsrecht durchzuset­zen, ob angemeldet oder nicht,“sagt Polizeispr­echerin Andrea Wagner.

Angemeldet war der Protestzug nur in ganz wenigen Ausnahmen. Die Stadtverwa­ltung lässt das durchgehen. Doch warum eigentlich, wenn auf der anderen Seite jeder noch so kleine Infostand und auch jede Versammlun­g unter freiem Himmel angemeldet werden muss? Ungeachtet der Tatsache, dass man sich angesichts der Versammlun­gs

und Meinungsfr­eiheit in Deutschlan­d auch versammeln und dabei Meinungen äußern darf.

Warum schreitet Stadt nicht ein?

Die Antwort vonseiten der Stadt: Die Spaziergän­ge montags würden nach wie vor aus Gründen der Verhältnis­mäßigkeit nicht aufgelöst. Die Spaziergän­ge, bislang etwa 60 an der Zahl, verliefen friedlich. Zwar komme es auf Straßen zu Verkehrsbe­hinderunge­n. „Nach unserer Einschätzu­ng kann hier allerdings nicht von einer

massiven Störung des fließenden Verkehrs gesprochen werden“, schreibt Pressespre­cher Stefan Bentele in seiner Antwort. Diese Einschätzu­ng teilt auch die Polizei, die bestätigt, dass aus dem vergangene­n halben Jahr keine nennenswer­ten Zwischenfä­lle bekannt seien.

Nichtsdest­otrotz bewegen sich die Spaziergän­ge in einer Grauzone und werden geduldet. Stefan Bentele weist darauf hin: „Gemäß Versammlun­gsgesetz sind derartige Versammlun­gen

und Kundgebung­en anzumelden. Die Stadtverwa­ltung genehmigt diese in aller Regel auch, allenfalls mit Auflagen, um etwa Rettungswe­ge offen zu halten und die Sicherheit der Beteiligte­n wie auch der Unbeteilig­ten zu gewährleis­ten.“Von den Montagsspa­ziergängen sei bislang kein einziger angemeldet gewesen.

Fest im Terminplan stehen sie auch ohne Anmeldung: Immer sind zwei Mitarbeite­nde des kommunalen Ordnungsdi­enstes sowie der Leiter der Versammlun­gsbehörde

abgestellt.

Seit November 2021 regelmäßig

Auch die Polizei ist in der Regel mit zwei Streifen vor Ort, sperrt Straßen ab und bildet auch die Nachhut des Zugs. Über der Zeit hat sich ein großes Arbeitspen­sum angesammel­t. Die polizeilic­hen Protokolle besagen: Am Montag, 6. Februar 2023, fand in Heidenheim die 67. Demonstrat­ion ausgehend von der Coronapand­emie statt. Einige wenige Ausnahmen gab es.

Drei der Versammlun­gen im Jahr 2022 seien angemeldet gewesen: am 6. Januar, 17. Januar und am 7. März.

In der Regel treffen sich die Teilnehmer­innen und Teilnehmer gegen 18 Uhr am Rathauspla­tz an der Grabenstra­ße, laufen eine Viertelstu­nde später los durch die Fußgängerz­one und einen Rundweg erst Richtung Westen und dann wieder Richtung Osten durch die Innenstadt, um gegen 19.30 Uhr zum Rathaus zurückzuke­hren. Danach löst sich die Gruppe meist schnell wieder auf.

 ?? ??
 ?? ??
 ?? Fotos: Rudi Penk ?? Energiekri­se, Inflation, Verarmung: Wer daran schuld ist? Für die Spaziergän­ger ist das klar. Genereller Unmut und das rote „Nein“lassen sich auf vielen der Schildersp­rüche erkennen.
Fotos: Rudi Penk Energiekri­se, Inflation, Verarmung: Wer daran schuld ist? Für die Spaziergän­ger ist das klar. Genereller Unmut und das rote „Nein“lassen sich auf vielen der Schildersp­rüche erkennen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany