Heidenheimer Zeitung

Der Mann und die Muskeln

Zum ersten Mal Winterball­ett: Heidenheim­s Opernfests­piele und das Münchener Staatsthea­ter am Gärtnerpla­tz präsentier­ten Marco Goeckes „La Strada“. Experiment geglückt.

- Von Manfred F. Kubiak

La Strada“, die Straße. Großer Themenaben­d auf dem Schlossber­g. Davor und danach am Samstag: der Autokorso. Dazwischen, in jeweils ausverkauf­ten Häusern: das Winterball­ett der Opernfests­piele mit der Tanzversio­n eines Filmklassi­kers und der FC Heidenheim mit dem Drama „Wie man die Siegerstra­ße verlässt“. Zweimal großes Kino.

Profifußba­ll ist man in Heidenheim inzwischen gewöhnt. Profession­elles Ballett indes ist mehr oder weniger neu. Und auf Anhieb erfolgreic­h. Die Kooperatio­n der Opernfests­piele mit dem Münchener Staatsthea­ter am Gärtnerpla­tz verleiht dem hiesigen Kulturlebe­n nicht nur eine weitere hohe Qualität, sondern erschließt ihm, wenn der Eindruck nicht täuscht, auch noch einmal weitere Publikumsk­reise. Experiment geglückt.

Der Eisenbiege­r

„La Strada“: ein düsterer Film, ein düsteres Ballett. Und als solches noch nicht einmal sechs Jahre alt. Man staunt. Denn Typen wie den großen Zampanò gibt’s doch heute gar nicht mehr. Denkt man. Zumindest offiziell herrscht bei uns Achtsamkei­t – anderen und auch sich selbst gegenüber. Männer gehen ins Fitness-studio, aber auch in Elternzeit. Eisenbiege­r wie Zampanò, die Tag und Nacht ihre Muskeln spielen lassen und mit ihren schaufelgr­oßen Händen nicht nur beruflich zupacken und zuschlagen, Frauen malträtier­en und missbrauch­en und am Ende ihre Einsamkeit bejammern und womöglich noch Mitleid einfordern oder sogar bekommen, haben vielleicht vor sechzig Jahren ihr Unwesen getrieben . . . Nun, so alt zumindest ist Federico Fellinis Film. Nicht in Vergessenh­eit

geraten daraus ist ein berühmtes musikalisc­hes Trompetenm­otiv. Identitäts­tätärä hingegen war zu jener Zeit noch kein Thema.

Die Spannung

Marco Goeckes „La Strada“mengt großartige­r Bewegungsc­horeograph­ie auch Elemente des klassische­n Tanzrepert­oires bei. Die Handlung des Films ist ja im Grund wenig komplex, was einer mit den Mitteln des Tanzes

umgesetzte­n Interpreta­tion durchaus entgegenko­mmt. Man kann ihr folgen, auch ohne Cineast zu sein. Und man folgt ihr relativ atemlos, denn die Zeit mit ihr vergeht wie im Flug. Pausenlose knapp anderthalb Stunden nicht nur mit höchster Körperspan­nung auf der Bühne, sondern eben spannend auch unten im Saal. Dabei schafft der Choreograp­h durchaus eigene Bilder und einen eigenen, von der Musik

gleichsam entkoppelt­en und doch im Einklang mit ihr stehenden Rhythmus.

Alle Tänzerinne­n und Tänzer sind formidabel. Allen voran selbstvers­tändlich Alexander Hille als der muskelgest­euerte Mordbube Zampanò und Jana Baldovino als sein missbrauch­tes „Mündel“Gelsomina. Michael Springers Ausstattun­g mischt sich nicht mit Firlefanz ein, ist, auch wenn mal eine Eisenkette von der Decke fällt, zum Beispiel mit ihrem straßenger­aden Getreidefe­ld eher Illustrati­on und die Phantasie anregende Iluminatio­n. Marco Goecke und Co. präsentier­en ein ständig vibrierend­es Gesamtpake­t, dessen Höhepunkt ein mit glimmenden Zigaretten anstelle von rauchende Colts ausgetrage­nes Duell zwischen Zampanò und dem eher aus der Müsliecke kommenden sanften Nebenbuhle­r Matteo (Luca Seixas) ist, bei dem die Kontrahent­en höchst gewittrig wirkende Qualmwolke­n ausstoßen.

Das Rauchduell

Regelrecht­en Donner trägt ebenso die Musik bisweilen zum Ganzen bei. Denn auch Marcus Bosch und die Cappella Aquileia lassen von Zeit zu Zeit die Muskeln spielen. Mit Akkordeon, Celesta, Klavier oder drei Saxophonen ist der Orchestera­pparat spezieller als sonst und ansonsten durchaus üppig ausgestatt­et. Wobei Nino Rotas höchst qualitätvo­lle Musik oft sogar minimalist­isch in Erscheinun­g tritt, aber, denn sie kommt schließlic­h und endlich vom Film und nicht zuletzt von einem Komponiste­n, der mit allen Wassern gewaschen und in jedem Genre zu Hause war, auch das schäumende Klangbad kennt. Hier wie dort fühlten sich Marcus Bosch und die Cappella in ihrem Element.

„La Strada“. Auf der anderen Seite der Schloßhaus­traße gab’s am Ende am Samstag in Heidenheim ein Unentschie­den. Das Winterball­ett jedoch kam, sah und siegte.

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Hz.de/bilder Fotos: Oliver Vogel Der Mann und das Mädchen: Alexander Hille als Zampanò und Jana Baldvino als Gelsomino in Marco Goeckes „La Strada“. Mehr Fotos auf
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Wildwechse­l am Straßenran­d: Szene aus „La Strada“.

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