Mitgestalten, trotz allem
In einem heute erscheinenden Buch „Wir bleiben!“erzählen 18 Frauen, warum sie sich nicht aus der katholischen Kirche vertreiben lassen.
Es gibt scheinbar nur noch eine Richtung: Raus aus der katholischen Kirche. Jedes Jahr werden neue Rekord-austrittszahlen vermeldet. Und der Strom ebbt nicht ab. Gründe dafür gibt es zuhauf: die rigide Sexualmoral, die fehlende Gleichstellung von Männern und Frauen und über allem: die Missbrauchsverbrechen, die Mitglieder in beiden großen Kirchen bis ins Mark erschüttert haben.
Austreten oder bleiben? Die Frage stellen sich jetzt Menschen, die Gemeinden lebendig halten. Das sind in besonderer Weise Frauen. Gerade noch haben sie sich im Besuchskreis für Kranke in der Gemeinde engagiert, Kinder auf Erstkommunion und Firmung vorbereitet, haben während der Gottesdienste Bibeltexte vorgelesen oder Fürbitten formuliert, den Hauptamtlichen von einsamen Menschen in der Kirchengemeinde erzählt. Jetzt liegt ihr Austritt auf dem Tisch.
Die Dramatik ist in manchen Bischofshäusern noch nicht angekommen oder wird dort ignoriert. Andere Bischöfe ringen fast schon verzweifelt um ein neues Miteinander von Laien und Geweihten – und stoßen in Rom auf verschlossene Türen. Die Probleme der Christen in Deutschland sind der Weltkirche herzlich egal.
Können also Strukturreformen, wie jene, um die im Reformprozess Synodaler Weg gerungen wird, die katholische Kirche in Deutschland retten? Nur bedingt. Denn auch die evangelischen Kirchen, die viele Reformen verwirklicht haben, stehen im Sturm. Warum also bleiben?
Engagiert, nicht naiv
In dem heute erschienen Buch „Wir bleiben!“geben 18 Frauen eine Antwort darauf. Es sind persönliche Statements, in denen manchmal Wut, noch häufiger Ungeduld mitschwingen. Nie aber Naivität. Vor allem eines verbindet die Frauen, unabhängig davon, ob sie jung oder älter sind, ob sie in Ost- oder Westdeutschland aufgewachsen sind: Eine innere Unabhängigkeit. Sie schauen nicht nach oben auf die Kirchenhierarchie. Von dort wird die Rettung der katholischen Kirche nicht kommen.
Eine Kirche, die sich vom Klerikalismus abwenden will, braucht ein hellwaches Kirchenvolk, das bereit ist, Verantwortung zu übernehmen – in der Kirche und in der Gesellschaft.
Die 18 Autorinnen des Buches „Wir bleiben!“finden ihren persönlichen Weg. Die junge Theologin wie Claudia Danzer ringt um eine nicht-diskriminierende Kirche. Die Publizistin Johanna Beck, die geistlichen Missbrauch erfahren hat, fordert einen ehrlichen Blick auf die systemischen Ursachen der Verbrechen – und dass daraus Konsequenzen gezogen werden.
Die Politikerinnen Andrea Nahles, Malu Dreyer, Monika Grütters, Annette Schavan, Gesine Schwan, Katrin Budde, Gudrun Lux und Gerlinde Kretschmann berichten von ihrem Glaubensweg, manchmal auch von Brüchen und Neuanfängen. Es sind Beiträge großer innerer Freiheit. Eine Freiheit, die auch vor dem Leben in einer christlichen Gemeinschaft der Fokolar-bewegung nicht Halt macht. Andrea Fleming berichtet davon.
Auch die Schriftstellerin und Büchnerpreisträgerin Felicitas Hoppe, die Lyrikerin Nora Gomringer geben Einblick in das, was sie in der Kirche trägt. Bei Christel Neudeck, die mit ihrem Mann Rupert das Flüchtlingshilfswerk Cap Anamur gegründet hat, und bei Ursula Kalb, die für den deutschen Ableger der italienischen Laienbewegung Sant‘ Egidio steht, ist es tätige Nächstenliebe, bei der Kirchenkabarettistin Ulrike Boehmer der Humor. Die Naturwissenschaftlerin und Konzernlenkerin Hubertine Underberg-ruder reflektiert ihr Verhältnis zur Schöpfung – und welche Verantwortung sich daraus ergibt. Und als langjährige Botschafterin mit Dienstsitz in Paris, Rom und Tel Aviv bereichert Susanne Wasum-rainer die persönlichen Zeugnisse mit ihrem Blick auf die Rolle von Religion in anderen Ländern der Welt.
Selbstbewusst beschreiben die Autorinnen ihr Verständnis von Kirche. Es ist geprägt von Verantwortungsbewusstsein und dem Wunsch, mitzugestalten. Auch wenn der Druck auf die „Oberkirche“nicht schwinden darf, nicht alles ist abhängig von der Bewegungsbereitschaft der Kirchenleitung. Die zentrale Frage ist: Warum die innere Heimat abhängig machen von Unzulänglichkeiten mancher Kleriker?
Für die Mitgestaltung der Kirche braucht es Fantasie – und Katholikinnen, die in Freiheit und mit Selbstbewusstsein ihre Rolle neu bestimmen.