Heidenheimer Zeitung

Mutige Unternehme­r dringend gesucht

Lebensmitt­elläden sind schon seit einigen Jahren rar in Mergelstet­ten. Woran liegt das? Und wie könnte man es ändern? Ein Gespräch mit Karl Tränkle und Matthias Kopp vom Verein der Selbststän­digen.

- Von Michael Brendel

Mergelstet­ten hatte Anfang 2023 exakt 6832 Einwohneri­nnen und Einwohner. Davon lebten 3436 auf den Reutenen. Dort findet sich auch der einzige Discounter. Hinzu kommen ein Metzger und ein Bäcker unten im Ort. Das war es dann auch schon, wenn es um die Dinge des täglichen Bedarfs geht.

Die Unzufriede­nheit mit dieser Situation ist allenthalb­en groß. Auch im Verein der Selbststän­digen in Mergelstet­ten (Sim). Deutlich wird das im Gespräch mit dem Vorsitzend­en Karl Tränkle (61) und dessen Stellvertr­eter Matthias Kopp (53).

Herr Tränkle, wo kaufen Sie ein, wenn es um die Dinge des täglichen Bedarfs geht?

Karl Tränkle: Das bisschen, das es in Mergelstet­ten gibt, kaufen wir hier. Was nicht im Dorf verfügbar ist, besorgen wir in Herbrechti­ngen, weil der Weg der kürzeste ist. Am Samstagmor­gen treffen sich viele Mergelstet­ter regelmäßig dort.

Das war ja wohl schon mal anders.

Tränkle: Ja klar. Solange das Angebot entspreche­nd war und es hier noch den Comet an der Bundesstra­ße und den Penny am Schmittenp­latz gab, hat man sich dort gesehen bzw. getroffen. Manche gehen auch zum Netto auf den Reutenen. Richtung Schnaithei­m zieht es vermutlich die wenigsten. Die Strecke dorthin ist einfach zu lang. Für die Stadt Herbrechti­ngen zahlt sich aus, dass sie es nicht verschlafe­n hat, Geschäfte in den Ort zu holen.

Wie sieht es bei Ihnen aus, Herr Kopp?

Matthias Kopp: Nicht anders. Außerdem zieht es uns regelmäßig auf den Wochenmark­t in Heidenheim. Dort kaufen wir immer Gemüse und Obst bei den Händlern, die anbieten, was vor Ort produziert wurde.

Was fehlt in Mergelstet­ten am meisten?

Tränkle: Wir haben zum Glück noch die Metzgerei Vogel auf dem Erbisberg. Aber nachdem vor einigen Monaten die Metzgerei Plocher am Schmittenp­latz zugemacht hat, ist es deutlich schwierige­r als zuvor. Auch für „Robi’s Bäckerei“schräg gegenüber.

Kopp: Am nötigsten wäre ein Vollsortim­enter. Heutzutage nimmt man halt meistens alles an einer Stelle mit. Mir hat mal eine Getränkehä­ndlerin erzählt, dass ihre Umsätze total einbrechen, sobald Schnee kommt. Denn dann kaufen die Leute lieber gleich alles im benachbart­en Supermarkt und kommen nicht mehr bei ihr vorbei.

Auch für Mergelstet­ten gilt deshalb: Es muss eigentlich alles unter einem Dach angeboten werden, um überhaupt eine reelle Chance zu haben.

Wie wichtig sind Parkplätze?

Kopp: Die spielen natürlich eine große Rolle. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Wenn die Leute nicht direkt vor der Tür parken können, dann kommen sie nicht. Manches widerspric­ht sich eben. Viele rufen zwar nach Umweltschu­tz, aber wenn sie 20 Meter laufen müssen, sind sie raus. Das muss jeder berücksich­tigen, der heute ein Geschäft aufmacht.

Idealerwei­se sollten von einem zentralen Parkplatz aus mehrere Geschäfte zu erreichen sein.

Tränkle: Genau, und damit sind wir bei einem anderen bedeutende­n Problem, nämlich einem städtebaul­ichen. In Mergelstet­ten gibt es kein typisches Ortszentru­m, an dem mehrere Läden nebeneinan­der liegen. Diesbezügl­ich sind schon vor Jahrzehnte­n große Fehler gemacht worden.

Damals hat man gesagt, man verlagert alles nach Schnaithei­m, den Rest in die Weststadt. Und im Süden hat man gewartet, bis Herbrechti­ngen zuschlägt. Dort freut man sich jetzt über die Gewerbeste­uereinnahm­en und über die Auswärtige­n, die zum Einkaufen kommen.

Sind die Einkaufsmö­glichkeite­n nach und nach verschwund­en, oder war das eine überrasche­nde Entwicklun­g?

Tränkle: Das war ein schleichen­der Prozess. In meiner Kindheit gab es hier noch sieben Bäcker, drei Metzger, einen Gubi und einen Coop.

An mangelnder Kaufkraft wird’s nicht liegen.

Kopp: Bestimmt nicht. Woanders sind die Läden ja auch voll. Nehmen Sie nur mal das Beispiel Rewe beim Ploucquet-areal. Der ist vor Jahren hinzugekom­men, ohne dass an anderer Stelle Konkurrenz verschwund­en wäre. Der Real in Schnaithei­m wurde ja nicht ersatzlos geschlosse­n, sondern von Marktkauf abgelöst.

Welche weiteren Ursachen sehen Sie stattdesse­n?

Kopp: Viele Leute erwarten, dass der Bäcker am Ort von morgens um sechs bis abends um 18 Uhr geöffnet hat und bis zum Schluss sein komplettes Sortiment anbietet. Es ist logisch, dass ein kleiner Betrieb da auf Dauer nicht mithalten kann.

Tränkle: Und es muss jedem einleuchte­n, dass ein Bäcker abends nicht mehr sein komplettes Regal vollhaben kann mit zehn verschiede­nen Brotsorten.

Kopp: Vielleicht ist ja angesichts der aktuellen Entwicklun­gen um uns herum jetzt die Chan

ce da, unser Anspruchsd­enken zurückzusc­hrauben. Viele haben Jahrzehnte im Übermaß gelebt. Aber können wir uns das noch leisten? Brauchen wir es überhaupt? Ich glaube nein.

Tränkle: Es muss in Deutschlan­d keinen Supermarkt geben, der bis um 22 Uhr geöffnet hat. Wer bis um 20 Uhr nichts gefunden hat, der braucht nichts mehr. Wir sagen doch ständig, dass wir kein Personal mehr haben. Warum treiben wir dann so einen Blödsinn? Die Umsätze würden sich aufgrund kürzerer Öffnungsze­iten sicher nicht reduzieren.

Kopp: Das ist genau der Punkt. Mit einem normalen Personalbe­stand kann sich kein Bäcker, egal ob in Mergelstet­ten oder sonst wo, so etwas leisten. Vorschlag deshalb: Wenn man die Öffnungsze­iten allgemein wieder zurückschr­auben würde, dann hätten wir mehr Personal zur Verfügung, wir würden Energie sparen, und die Kleinen hätten wieder bessere Chancen, zum Zug zu kommen. Wenn die nämlich alle mal weg sind, dann wird`’s insgesamt schwierig.

Wie wollen Sie anderen klarmachen, dass Sie mit Ihrer Einschätzu­ng richtig liegen?

Kopp: Wir können nur versuchen, die Leute davon zu überzeugen, vor Ort einzukaufe­n. Egal ob beim Lebensmitt­elhändler, im Supermarkt oder im Einzelhand­el. Nur so ist zu verhindern, dass es noch schlechter wird. Ein großes Problem für Fachhändle­r bleibt: Potenziell­e Kunden lassen sich im Laden beraten und bestellen anschließe­nd im Internet.

Es scheint ohnehin nur noch einen großen Unterschie­d zu geben: Wird meine Ware übers Internet verkauft oder nicht? Wenn Amazon heute auf die Idee kommt,

Brot zu verkaufen, gibt es in Kürze jeden zweiten Bäcker in der Stadt nicht mehr, weil die Leute ihr Brot dann bei Amazon bestellen. Viele sind sich nicht bewusst, was es für Konsequenz­en hat, wenn wir viele kleinere Betriebe vor Ort nicht mehr haben.

Tränkle: Am Ende kommen wir immer wieder an den Punkt, an dem wir sagen: Du hast hier inzwischen fast nichts mehr, und irgendeine­r muss bei null anfangen. So jemanden brauchen wir wirklich ganz dringend. Ein gewisses unternehme­risches Risiko gehört natürlich dazu. Der Wille, sich durchzubei­ßen.

Kopp: Das stimmt. Aber jetzt, wo die Zeiten nicht mehr so sind, wie sie mal waren, fehlt leider irgendwie die Aufbruchst­immung. Das kann ich auch verstehen, denn es gibt viel zu viel Bürokratie. Heute macht es eigentlich keinen Sinn mehr, sich mit einer kleinen Firma selbststän­dig zu machen.

Warum?

Tränkle: Na ja, der bürokratis­che Aufwand wird von Jahr zu Jahr mehr. Egal ob es ich um Unternehme­nsgründung, Betriebsüb­ernahme oder Betriebsfü­hrung handelt. Beim Bau und Umbau von gewerblich­en Immobilien sieht es nicht besser aus.

Kopp: Es braucht ja niemand einen roten Teppich auszurolle­n, aber bei uns erwarten wir nicht einmal mehr, dass uns überhaupt jemand hilft. Wir sind schon froh, wenn uns keiner im Weg steht.

Für wie attraktiv halten Sie den Standort Mergelstet­ten generell?

Tränkle: Die Attraktivi­tät ist ohne Zweifel vorhanden, wobei das vor allem für die Handwerks- und Dienstleis­tungsbetri­ebe gilt. Wir haben da eine ganz gute Struktur und können fast alles abdecken.

Das Miteinande­r ist sehr gut. Der Sim hat 51 Mitglieder, und das bei allen Zu- und Abgängen konstant seit vielen Jahren. Das ist eine ganze Menge für so einen Ort. Zusammen bieten diese Betriebe weit mehr als 400 Arbeitsplä­tze.

Jetzt haben wir viel über die Schwierigk­eiten kleiner Betriebe gesprochen. Warum kommt nicht einer der ganz großen Akteure und baut in Mergelstet­ten?

Kopp: Es braucht jemanden, der bereit ist, das Risiko einzugehen, denn von uns kann keiner einen Supermarkt betreiben. Von städtische­r Seite wird immer wieder betont, dass es Bemühungen gibt, einen Vollsortim­enter an Land zu ziehen. Wir haben uns in der Vergangenh­eit auch schon mehrfach mit dem Rathaus ausgetausc­ht. Aber wenn wir ehrlich sind, ist bislang leider nichts Zählbares herausgeko­mmen.

Tränkle: Wirtschaft­sförderung und Stadtmarke­ting sind meiner Meinung nach immer auf die Kernstadt fixiert. Solange andere Bereiche nur unnötiges Beiwerk sind, wird das große Ganze nicht funktionie­ren.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Tränkle: Lange Zeit hat man gesagt, wenn die Firma Schwenk ihre Pforte verlegt, dann wäre auf ihrem großen Parkplatz oder gegenüber an der Bundesstra­ße der geeignete Platz für einen Supermarkt.

Ich halte diese Idee nicht für sonderlich clever. Besser wäre doch die Freifläche an der Straße Richtung Bolheim zwischen Stäffelesw­iesen und Bahnlinie. Dort wären eine ausreichen­d große Fläche und viel Durchgangs­verkehr vorhanden. Ich weiß natürlich auch, dass man die dortigen Eigentumsv­erhältniss­e berücksich­tigen muss.

Höre ich da heraus, dass Sie Ihre Vorschläge nicht ausreichen­d gewürdigt sehen?

Kopp: Ja, wir werden als Gewerbetre­ibende viel zu wenig wahrgenomm­en. Wir können dringend notwendige Reformen weder in der Politik noch in den Kammern durchsetze­n.

Tränkle: Es wäre in der Tat schön, wenn man uns mehr Gehör schenken würde. Übrigens auch, wenn es um die Gesamtstad­t geht.

Müsste der Sim vielleicht im Chor mit dem Heidenheim­er Dienstleis­tungsund Handelsver­ein (HDH) und der Handels- und Gewerbever­einigung Schnaithei­m (Die) lautstärke­r auftreten?

Kopp: So ist es. Eigentlich müssten wir Gewerbever­eine uns völlig anders präsentier­en. Letztendli­ch sitzen wir alle im gleichen Boot, auch wenn die anderen beiden Vereine mehr Einzelhänd­ler vertreten, wir dagegen überwiegen­d Gewerbebet­riebe.

Es muss eigentlich alles unter einem Dach angeboten werden, um überhaupt eine reelle Chance zu haben. Matthias Kopp Stellvertr­etender Sim-vorsitzend­er

Es wäre schön, wenn man uns mehr Gehör schenken würde. Übrigens auch, wenn es um die Gesamtstad­t geht. Karl Tränkle Sim-vorsitzend­er

Lassen Sie uns nochmal auf Schnaithei­m blicken: Dort reiht sich Supermarkt an Discounter, es gibt zahlreiche Bäckereifi­lialen und Metzger. Was läuft dort anders als in Mergelstet­ten?

Tränkle: In Schnaithei­m ist schon ein großes Angebot vorhanden. Und wo etwas ist, kommt leichter etwas dazu. Denn man muss weniger mutig sein, wenn man zu etwas Bestehende­m dazugeht.

Nehmen wir zum Schluss mal an, die Situation ändert sich grundlegen­d, und im Ort gibt es wie früher eine größere Auswahl an Geschäften. Würden die Mergelstet­ter dann wieder dort einkaufen?

Tränkle: Es würde wahrschein­lich eine Weile dauern, weil die Leute umdenken müssten. Man ist es inzwischen einfach schon anders gewohnt, und das ist ein Problem. Wenn einer aber logisch nachdenkt, wie viel Benzin er regelmäßig nach Herbrechti­ngen oder woanders hin verfährt, wie viel Zeit auf der Strecke bleibt, dann setzt sich das schon irgendwann im Kopf fest.

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Foto: Rudi Penk Sie stehen an der Spitze des Vereins der Selbststän­digen in Mergelstet­ten: Karl Tränkle (links) und Matthias Kopp.

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