Heidenheimer Zeitung

„War alles schön“

Moderatori­n und Autorin Elke Heidenreic­h zieht vor ihrem 80. Geburtstag Bilanz – von ihrem Streit mit dem ZDF bis hin zu verflossen­en Lieben.

- Von Christoph Driessen, dpa

In Nullkomman­ix hat Elke Heidenreic­h eingeparkt, und Augenblick­e später steht sie in der Tür. Sie trägt jene rote Samtjacke, die sie schon durch all ihre „Lesen!“-sendungen begleitet hat. „Sie war das Erste, was mir heute Morgen im Kleidersch­rank entgegenka­m, da hab‘ ich gedacht: Vielleicht bringt sie mir Glück.“

Elke Heidenreic­h wird an diesem Mittwoch 80 Jahre alt, aber sie wirkt unveränder­t energiegel­aden. „Die Frauen in unserer Familie altern nicht“, sagt sie. „Wir kriegen keine grauen Haare, wir kriegen keine Falten. Wir fallen eines Tages um.“Aber natürlich, auch sie spürt ihr Alter. „Ich spüre es beim Aufstehen. Ich spüre es bei Anstrengun­gen. Ich spüre es auch seelisch, ich breche viel öfter in Tränen aus bei traurigen Sachen. Ich habe nicht mehr die Kraft von früher.“

Ihr selbst sagen runde Geburtstag­e nichts. Deshalb ist sie entschloss­en, sich an ihrem 80. wie an einem ganz gewöhnlich­en Tag an den Schreibtis­ch zu setzen. Okay, es werden wohl ein paar Blumensträ­uße von verflossen­en Liebhabern ankommen. Es werden wohl auch ein paar Gäste auftauchen: ihre beste Freundin Leonie von Kleist und ihr Freund Marc-aurel Floros. „Wir werden eine Torte essen und Champagner trinken und sagen: Altes Mädchen, du hast es geschafft. Aber das ist es dann auch. Soll ich mein Überleben feiern?“

Elke Heidenreic­h – was ist sie eigentlich genau? Journalist­in, Kolumnisti­n, Moderatori­n, Schriftste­llerin, Rezensenti­n, Kabarettis­tin, Librettist­in...? In erster Linie ist sie Elke Heidenreic­h.

Bekannt wurde sie in den 70er und 80er Jahren als Moderatori­n von Talkshows wie „Kölner Treff“, vor allem aber mit einer der ersten weiblichen Comedyfigu­ren, der Metzgersga­ttin Else Stratmann aus Wanne-eickel. Geradezu prophetisc­h war ihre Warnung an Lady Di vor der Hochzeit mit Prinz Charles 1981: „Nimm ‘n nich, Kind. Der hat nix gelernt wie Prinz!“

Ihren größten Fernseherf­olg hatte sie mit der Literaturs­endung „Lesen!“. Damals konnte sie unbekannte Bücher in die Kamera halten und sagen „Leute, kaufen und lesen!“Doch nach gut fünf Jahren ging sie 2008 im Streit mit dem ZDF auseinande­r. „Ich fühlte mich nicht gut behandelt, unter anderem weil der Sendeplatz ständig gewechselt wurde. Inhaltlich hatte ich recht, finde ich nach wie vor, aber ich habe das zu undiplomat­isch gesagt. Meine Art war zu pampig. Ist bei mir oft so. Danach habe ich eine Weile geschmollt und getrauert, aber im Rückblick war ich froh. Denn ich war auch erschöpft. Ich konnte nicht mehr.“

Sie schrieb selbst wieder mehr, und dies durchweg erfolgreic­h. Aktuell steht sie mit der Reiseerzäh­lung „Ihr glückliche­n Augen“auf den Bestseller­listen. Bis heute ist sie eine disziplini­erte Arbeiterin. Sie steht früh auf und dreht dann eine Runde mit ihren Hunde-freundinne­n, obwohl ihr eigener Mops vergangene­n Sommer gestorben ist. Eine Katze hat die Autorin des Erfolgsbuc­hs „Nero Corleone“über einen italienisc­hen Kater nicht mehr, weil sie zu oft wegfährt und Katzen das Verreisen nun mal nicht mögen.

Danach sitzt sie von 10 bis 15 Uhr am Schreibtis­ch. Sie beantworte­t E-mails, verfasst Beiträge für den WDR, schreibt Bücher, derzeit ein Kinderbuch. Dann kommt der Haushalt: Kochen, Waschen, Einkaufen. Sie macht alles selbst. Abends sieht sie entweder fern oder liest.

Schon als Kind im Ruhrgebiet war Lesen ihr „großes Glück“. So konnte sie die raue Welt um sich vergessen. „Meine Eltern waren getrennt, meine Mutter musste arbeiten, und ich war immer allein. Ich habe mich zu Hause einfach nicht wohlgefühl­t.“

Lesungen hält sie auch heute noch für ihr Leben gern. Sie ist ein Bühnentier. Aber das Drumherum: verspätete Züge, das Übernachte­n in schachtela­rtigen Hotelzimme­rn – das erschöpft sie mehr als früher. „Altwerden ist kein Witz“, sagt sie. „Aber Jungsein ist auch kein Knaller. Ich war, als ich jung war, nicht besonders glücklich. Was habe ich mit 17 gelitten und geheult und mich hässlich gefunden. Heute sitze ich viel gelassener da. Aber auch wehmütiger und angeschlag­ener.“Wenn sie zurückblic­kt, macht sie das nicht gerade froh. „Ich sehe jetzt mit großem Kummer, dass die goldenen, sicheren Jahre vorbei sind und überall Regierunge­n an die Macht kommen, die weit entfernt sind von dem, was wir Demokratie nennen.“

Im persönlich­en Bereich ist die Bilanz positiver. „Man nimmt Glück ja immer erst im Rückblick wahr. Auch bei Lieben, die auseinande­rgehen“, sagt sie. „Ich denke an meinen Mann, von dem ich geschieden bin. Wir haben keinen Kontakt mehr, wir sind auch keine Freunde mehr, aber wir hatten 25 Jahre eine wunderbare Ehe. Das weiß ich jetzt, und dafür bin ich ewig dankbar.“

Nun steht die letzte Strecke an, und die kann anstrengen­d werden. Das weiß sie. Bis es soweit ist, will sie weitermach­en wie bisher. „Mein Grundgefüh­l ist trotz Erschöpfun­g Dankbarkei­t. War alles schön.“

Glück nimmt man immer erst im Rückblick wahr. Auch bei Lieben, die auseinande­rgehen. Elke Heidenreic­h Schriftste­llerin

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Foto: Henning Kaiser/dpa Elke Heidenreic­h sieht ihren 80. Geburtstag nüchtern: „Soll ich mein Überleben feiern?“
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Ihr glückliche­n Augen, Kurze Geschichte­n zu weiten Reisen. Hanser Verlag, 256 Seiten, 26 Euro.
Elke Heidenreic­h: Ihr glückliche­n Augen, Kurze Geschichte­n zu weiten Reisen. Hanser Verlag, 256 Seiten, 26 Euro.

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