Die weiße Revolution
Besser fürs Klima und das Tierwohl bei gleichem Geschmack: Tierfreie, günstige Milch aus dem Gen-labor könnte den Markt für Kuhmilch auf den Kopf stellen.
Geschmacklich soll alles bleiben, wie es ist. Doch davon abgesehen soll tierfreie Milch ganz anders sein als die von der Kuh: Glaubt man den zahlreichen Start-ups in den USA und Asien, die gerade mit Milliardeninvestitionen im Rücken neue Produkte entwickeln, droht dem Milchmarkt nichts weniger als eine Revolution. Verbraucher sollen, ganz ohne sich Sorgen um das Tierwohl oder die Ökobilanz machen zu müssen, gesündere Milch trinken können – und das möglicherweise für die Hälfte des Preises.
Möglich soll all das eine Herstellungsmethode machen: Präzisionsfermentation. Für Grzegorz Kubik eine „Meilenstein-technologie“. Sie erlaubt es, sagt der Leiter des Innovationsfelds Industrielle Biotechnologie am Fraunhofer-institut IGB im Gespräch, „dass wir sehr effizient mit den Ressourcen umgehen, die wir zur Verfügung haben“. Statt aus dem Euter der Kuh kommt tierfreie Milch aus dem Bioreaktor. In den USA kann man Frischkäse, Eiscreme oder Schokoriegel auf Basis tierfreier Milch schon im Supermarkt kaufen.
Doch wie schafft man es eigentlich, durch einen Reaktor Milch zu erzeugen, die so schmecken soll wie die der Kuh? „Präzisionsfermentation kultiviert Mikroorganismen“, sagt Kubik. „Mit der Genschere Crispr/cas bringen wir ihnen bei, etwas herzustellen, was sie von Natur aus nicht machen.“In der Kuh gebe es genetische Informationen für Milchproteine. „Wir können die DNA künstlich herstellen und diese Informationen in die Mikroorganismen einfügen.“
Der Einsatz der Genschere macht tierfreie Milch zum Politikum. Carina Konrad sieht „eine einzigartige Chance, Lebensmittel nachhaltiger und effizienter zu produzieren“. Doch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP sagt dieser Zeitung auch: „Leider sehen wir bereits in der Diskussion zu den sogenannten neuen Züchtungstechnologien, wie voreingenommen und fernab der Wissenschaft von einigen politischen Akteuren argumentiert wird.“Wen Konrad damit meint, ist klar: die Grünen. Der Koalitionspartner ist traditionell sehr skeptisch, wenn es um Gentechnik geht. Für die Liberalen ist hingegen klar: „Wer wirklich mehr Nachhaltigkeit bei der Lebensmittelerzeugung möchte, darf sich nicht weiter diesen Technologien verschließen.“
Trotz der geltenden strengen Regeln in Bezug auf Gentechnik in der Europäischen Union „dürfen wir daran forschen und die Produkte auch in Europa herstellen“, sagt Kubik. Eine gewisse Hürde sei erst der Verkauf auf dem Markt. Dafür muss tierfreie Milch als „Novel Food“, also als neuartiges Lebensmittel, von der
EU zugelassen werden. Darauf verweist auch eine Sprecherin von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) und fügt hinzu, „dass die beschriebenen ‚tierfreien Milchprodukte‘ sich nicht ‚Milch‘ nennen dürfen“. Aus demselben Grund, weshalb auch Ersatzprodukte wie Hafer- oder Mandelmilch offiziell nicht so heißen dürfen: Sie stammen nicht aus dem „Gemelk einer oder mehrerer Kühe“. Dass das so bleibt, darauf legt der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) auf Nachfrage großen Wert. Generell sieht Bdmsprecher Hans Foldenauer tierfreie Milch „nicht als Bedrohung“. Die Milch von Kühen werde weiterhin nachgefragt, vermutet er, betont aber auch: „Wir nehmen die Entwicklung durchaus ernst.“
Klar ist: Die Konsequenzen könnten auch in Deutschland enorm sein. Jeder fünfte Landwirt hierzulande hält Milchkühe. Je nach Marktlage setzen sie laut Bauernverband zwischen neun und zwölf Milliarden Euro im Jahr um.
Manch ein Unternehmen will jedenfalls daran mitverdienen, falls sich tierfreie Milch durchsetzen sollte. Zum Beispiel die Traditionskäserei Hochland aus dem Allgäu. Hochland hat sich Ende 2020 am israelischen Startup Remilk beteiligt, das gerade in Dänemark auf 70 000 Quadratmetern die größte Präzisionsfermentationsanlage der Welt baut, die laut Unternehmensangaben jährlich 50 000 Milchkühe ersetzen soll. Für Hochland-vorstand Hubert Staub eine „Chance, um frühzeitig die Möglichkeiten dieser Technologie für die Entwicklung von Nahrungsmitteln kennenzulernen“. Klar ist aber: „Hochland wird auch weiterhin klassische Milchprodukte herstellen.“
Bis die ersten tierfreien Milchprodukte in deutschen Supermarktregalen liegen, dauert es aber noch. Staub schätzt, dass vermarktungsfähige Produkte von Remilk nicht vor 2025 vorliegen werden – erst danach könne der aufwendige Zulassungsprozess starten. Bis dahin müssen Verbraucher also noch auf die angepriesenen Vorteile warten. Zum Beispiel, dass tierfreie Milch gesünder sein könnte. „Wenn wir schon Inhaltsstoffe zusammenmischen, können wir auch die weglassen oder reduzieren, von denen wir wissen, dass sie uns nicht guttun“, sagt Fraunhofer-forscher Kubik. Cholesterin zum Beispiel oder Allergene wie Lactose.
Und der Preis? Die amerikanische Denkfabrik Rethink X prognostiziert, dass tierfreie Milch bis 2030 um die Hälfte billiger sein wird als die von der Kuh.