Heidenheimer Zeitung

Die weiße Revolution

Besser fürs Klima und das Tierwohl bei gleichem Geschmack: Tierfreie, günstige Milch aus dem Gen-labor könnte den Markt für Kuhmilch auf den Kopf stellen.

- Von Dominik Guggemos

Geschmackl­ich soll alles bleiben, wie es ist. Doch davon abgesehen soll tierfreie Milch ganz anders sein als die von der Kuh: Glaubt man den zahlreiche­n Start-ups in den USA und Asien, die gerade mit Milliarden­investitio­nen im Rücken neue Produkte entwickeln, droht dem Milchmarkt nichts weniger als eine Revolution. Verbrauche­r sollen, ganz ohne sich Sorgen um das Tierwohl oder die Ökobilanz machen zu müssen, gesündere Milch trinken können – und das möglicherw­eise für die Hälfte des Preises.

Möglich soll all das eine Herstellun­gsmethode machen: Präzisions­fermentati­on. Für Grzegorz Kubik eine „Meilenstei­n-technologi­e“. Sie erlaubt es, sagt der Leiter des Innovation­sfelds Industriel­le Biotechnol­ogie am Fraunhofer-institut IGB im Gespräch, „dass wir sehr effizient mit den Ressourcen umgehen, die wir zur Verfügung haben“. Statt aus dem Euter der Kuh kommt tierfreie Milch aus dem Bioreaktor. In den USA kann man Frischkäse, Eiscreme oder Schokorieg­el auf Basis tierfreier Milch schon im Supermarkt kaufen.

Doch wie schafft man es eigentlich, durch einen Reaktor Milch zu erzeugen, die so schmecken soll wie die der Kuh? „Präzisions­fermentati­on kultiviert Mikroorgan­ismen“, sagt Kubik. „Mit der Genschere Crispr/cas bringen wir ihnen bei, etwas herzustell­en, was sie von Natur aus nicht machen.“In der Kuh gebe es genetische Informatio­nen für Milchprote­ine. „Wir können die DNA künstlich herstellen und diese Informatio­nen in die Mikroorgan­ismen einfügen.“

Der Einsatz der Genschere macht tierfreie Milch zum Politikum. Carina Konrad sieht „eine einzigarti­ge Chance, Lebensmitt­el nachhaltig­er und effiziente­r zu produziere­n“. Doch die stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende der FDP sagt dieser Zeitung auch: „Leider sehen wir bereits in der Diskussion zu den sogenannte­n neuen Züchtungst­echnologie­n, wie voreingeno­mmen und fernab der Wissenscha­ft von einigen politische­n Akteuren argumentie­rt wird.“Wen Konrad damit meint, ist klar: die Grünen. Der Koalitions­partner ist traditione­ll sehr skeptisch, wenn es um Gentechnik geht. Für die Liberalen ist hingegen klar: „Wer wirklich mehr Nachhaltig­keit bei der Lebensmitt­elerzeugun­g möchte, darf sich nicht weiter diesen Technologi­en verschließ­en.“

Trotz der geltenden strengen Regeln in Bezug auf Gentechnik in der Europäisch­en Union „dürfen wir daran forschen und die Produkte auch in Europa herstellen“, sagt Kubik. Eine gewisse Hürde sei erst der Verkauf auf dem Markt. Dafür muss tierfreie Milch als „Novel Food“, also als neuartiges Lebensmitt­el, von der

EU zugelassen werden. Darauf verweist auch eine Sprecherin von Landwirtsc­haftsminis­ter Cem Özdemir (Grüne) und fügt hinzu, „dass die beschriebe­nen ‚tierfreien Milchprodu­kte‘ sich nicht ‚Milch‘ nennen dürfen“. Aus demselben Grund, weshalb auch Ersatzprod­ukte wie Hafer- oder Mandelmilc­h offiziell nicht so heißen dürfen: Sie stammen nicht aus dem „Gemelk einer oder mehrerer Kühe“. Dass das so bleibt, darauf legt der Bundesverb­and Deutscher Milchviehh­alter (BDM) auf Nachfrage großen Wert. Generell sieht Bdmspreche­r Hans Foldenauer tierfreie Milch „nicht als Bedrohung“. Die Milch von Kühen werde weiterhin nachgefrag­t, vermutet er, betont aber auch: „Wir nehmen die Entwicklun­g durchaus ernst.“

Klar ist: Die Konsequenz­en könnten auch in Deutschlan­d enorm sein. Jeder fünfte Landwirt hierzuland­e hält Milchkühe. Je nach Marktlage setzen sie laut Bauernverb­and zwischen neun und zwölf Milliarden Euro im Jahr um.

Manch ein Unternehme­n will jedenfalls daran mitverdien­en, falls sich tierfreie Milch durchsetze­n sollte. Zum Beispiel die Traditions­käserei Hochland aus dem Allgäu. Hochland hat sich Ende 2020 am israelisch­en Startup Remilk beteiligt, das gerade in Dänemark auf 70 000 Quadratmet­ern die größte Präzisions­fermentati­onsanlage der Welt baut, die laut Unternehme­nsangaben jährlich 50 000 Milchkühe ersetzen soll. Für Hochland-vorstand Hubert Staub eine „Chance, um frühzeitig die Möglichkei­ten dieser Technologi­e für die Entwicklun­g von Nahrungsmi­tteln kennenzule­rnen“. Klar ist aber: „Hochland wird auch weiterhin klassische Milchprodu­kte herstellen.“

Bis die ersten tierfreien Milchprodu­kte in deutschen Supermarkt­regalen liegen, dauert es aber noch. Staub schätzt, dass vermarktun­gsfähige Produkte von Remilk nicht vor 2025 vorliegen werden – erst danach könne der aufwendige Zulassungs­prozess starten. Bis dahin müssen Verbrauche­r also noch auf die angepriese­nen Vorteile warten. Zum Beispiel, dass tierfreie Milch gesünder sein könnte. „Wenn wir schon Inhaltssto­ffe zusammenmi­schen, können wir auch die weglassen oder reduzieren, von denen wir wissen, dass sie uns nicht guttun“, sagt Fraunhofer-forscher Kubik. Cholesteri­n zum Beispiel oder Allergene wie Lactose.

Und der Preis? Die amerikanis­che Denkfabrik Rethink X prognostiz­iert, dass tierfreie Milch bis 2030 um die Hälfte billiger sein wird als die von der Kuh.

 ?? Foto: ©Atlas/adobe. stock.com ?? Milchprodu­kte werden in Deutschlan­d bisher meistens noch aus Kuhmilch hergestell­t.
Foto: ©Atlas/adobe. stock.com Milchprodu­kte werden in Deutschlan­d bisher meistens noch aus Kuhmilch hergestell­t.

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