Heidenheimer Zeitung

„Wir sind nicht die besseren Menschen“

Ohne die Blockaden würde niemand über Klimaschut­z sprechen, sagen die Aktivisten aus Stuttgart und Ulm. Ein Gespräch über Asienflüge, Doppelmora­l und die Grenzen des Protests.

- Von David Nau

Was genau sie am Nachmittag erleben werden, wissen Sarah Lobenhofer und Moritz Riedacher an diesem Vormittag noch nicht. Nach dem Interview mit der SÜDWEST PRESSE machen sich die Sprecher der Letzten Generation auf den Weg in die Ulmer Innenstadt. Dort wollen sie eine Straße blockieren. Die Polizei ist aber gut vorbereite­t: Nach wenigen Minuten ist die Aktion beendet und die Fahrbahn wieder frei.

Frau Lobenhofer, Herr Riedacher, vor ein paar Wochen war die Letzte Generation wieder groß in den Schlagzeil­en: Eine Aktivistin und ein Aktivist waren nach Asien geflogen, statt bei einem Gerichtspr­ozess in Stuttgart zu erscheinen. Wie sehr hat diese Aktion Ihrer Bewegung geschadet? Sarah Lobenhofer:

Das gab einen heftigen Shitstorm. Leute, die uns schon immer Doppelmora­l vorwerfen, hatten wieder etwas im Heuhaufen gefunden, um zu zeigen, dass wir nicht perfekt sind. Wir behaupten ja aber gar nicht, dass wir die besseren Menschen wären. Wir alle machen in unserem Alltag etwas, was nicht klimafreun­dlich ist, weil unsere gesamte Gesellscha­ft eben auf ein klimaschäd­liches Leben ausgelegt ist. Das zeigt, dass sich alle Menschen unserem Protest anschließe­n können. Auch jemand, der Auto fährt oder jemand, der bei einer Fluggesell­schaft arbeitet, hat das Recht auf eine Regierung, die sich für Maßnahmen einsetzt, die sein Leben schützen.

Dazu bräuchte es ziemlich umfassende Lösungen und zwar weltweit. Sie fordern aber ein 9-Euro-ticket für den ÖPNV und ein Tempolimit von 100 Stundenkil­ometern. Riedacher:

Wir fordern Dinge, die selbstvers­tändlich sein sollten und denen sich ein Großteil der Bevölkerun­g in Deutschlan­d anschließt. Die Regierung entlarvt sich, wenn sie nicht einmal diese umsetzt.

Man hat aber den Eindruck, dass vor allem über Ihre Protestmit­tel und weniger über Ihre Ziele oder den Klimaschut­z diskutiert wird. Lobenhofer:

Ich behaupte, dass die Leute sonst überhaupt nicht über das Thema sprechen würden. Es ist eben unsere große Stärke, dass wir die Diskussion in die Wohnzimmer und in die Küchen bringen und dass die Menschen dann die Chance haben, sich auch wirklich zu positionie­ren.

Sie machen diese Blockaden jetzt gut ein Jahr lang. Wie fällt die Zwischenbi­lanz aus? Lobenhofer:

Unser Protest führt auf jeden Fall dazu, die Klimakrise auf der Agenda zu halten. Gerade durch den Krieg gegen die Ukraine, wäre das Thema Klimakrise bestimmt nicht in diesem Umfang auf der Agenda gewesen. Und wir haben in dem Jahr ziemlich deutlich die Doppelmora­l der Politik aufgezeigt.

Riedacher: Zu Beginn unserer Protestakt­ionen haben wir uns auch

für ein Lebensmitt­el-rettungsge­setz eingesetzt. Das ist zwar nach wie vor nicht da. Aber immerhin will die Bundesregi­erung, dass das Containern legal wird. Das ist für mich ein Beweis, dass unser Protest wirkt.

Man hat aber auch neue Flüssiggas­terminals gebaut und langfristi­ge Liefervert­räge für Gas geschlosse­n. Ist das nicht frustriere­nd? Lobenhofer:

Ja klar. Das ist frustriere­nd. Es zeigt uns aber zugleich, wie notwendig unser Protest ist. Denn trotz der Versprechu­ngen, werden wir das 1,5-Gradziel definitiv nicht erreichen.

Im Ernstfall scheint der Klimaschut­z nicht die wichtigste Rolle zu spielen. Was heißt das für Ihren Protest? Riedacher:

Das bedeutet, dass unsere Proteste weitergehe­n werden und auch intensivie­rt werden müssen, etwa durch FlughafenB­lockaden. Wir sind da weiterhin kreativ.

Wo sind für Sie denn Grenzen? Riedacher:

Wir werden keine Gewalt – körperlich oder verbal – ausüben.

Warum hilft es dem Klimaschut­z, wenn jemand im Stau steht? Lobenhofer:

Es geht natürlich nicht um die einzelnen Personen, die im Stau stehen, sondern darum, dass der Protest eben in der Öffentlich­keit stattfinde­n muss. Wir haben im Sommer schon Ölpipeline­s abgedreht, und wir versuchen schon auch an Orten zu protestier­en, die logischer erscheinen.

Aber dafür hat sich niemand so interessie­rt wie für die Straßenblo­ckaden.

Aufzurütte­ln ist das eine – zu versuchen, seine Positionen umzusetzen das andere. Wie eng sind Ihre Kontakte zu Politikern? Riedacher:

Wir führen im Hintergrun­d laufend Gespräche mit Parlamenta­riern. Gerade ist unsere Strategie, uns erstmal an die Bürgermeis­ter der Städte zu wenden. Wir haben gerade die Städte, in denen wir protestier­en, angeschrie­ben, um ihnen die Möglichkei­t zu geben, auf unseren Protest zu reagieren.

Was heißt das genau? Lobenhofer:

Wenn Städte sich tatsächlic­h für ernsthafte Maßnahmen ausspreche­n, dann werden wir in diesen Städten keine Blockaden mehr machen. Wenn wir aber sehen sollten, die Städte ruhen sich auf dem Erreichten aus, dann protestier­en wir dort auch wieder.

Eine weitere Forderung der Letzten Generation ist ein sogenannte­r Gesellscha­ftsrat, der Lösungen für die Klimakrise erarbeiten soll. Wofür braucht es den? Lobenhofer:

Wenn wir uns die Zusammense­tzung des Parlaments anschauen, sehen wir, dass es dort keine repräsenta­tive Vertretung unserer Gesellscha­ft gibt. Dort sind vor allem Akademiker und überdurchs­chnittlich reiche Menschen vertreten. Wir brauchen aber wirklich alle Menschen in unserer Gesellscha­ft für diese

große Transforma­tion. Und da müssen sich alle miteinande­r streiten: der Landwirt mit dem Tierrechtl­er, der Autofahrer mit dem Fahrradfah­rer.

Aber warum ist ein Gesellscha­ftsrat, in den die Mitglieder hineingelo­st werden, besser als ein gewähltes Parlament? Lobenhofer:

Bei Wahlen werden Leute begünstigt, die Kontakte zu Reichen haben oder selbst die Ressourcen haben, einen Wahlkampf zu führen. Dafür braucht man Geld und Zeit. Menschen, die Vollzeit arbeiten müssen, schaffen es kaum, sich großartig mit Politik zu beschäftig­en, geschweige denn, sich einzubring­en.

Unsere jetzige Demokratie ist also nicht in der Lage, Antworten auf die Klimakrise zu finden? Lobenhofer:

Anscheinen­d nicht. Sie wäre sicher in der Lage dazu, wenn Politikeri­nnen und Politiker sich nicht von ihren eigenen Interessen leiten lassen würden.

Aber man kann Demokratie­n ja auch weiterentw­ickeln. Es ist demokratie­schädlich, wenn man einfach weitermach­t wie bisher, obwohl man sieht, dass die Zufriedenh­eit mit der Demokratie immer weiter schwindet.

Wie sind Sie persönlich zur Letzten Generation gekommen? Riedacher:

Ich war lange bei Fridays for Future in Stuttgart dabei und habe mich dort auch stark engagiert. Nach der Flutkatast­rophe war ich im Ahrtal unterwegs und habe dort gesehen, wie das Wasser massive Marmorsäul­en einfach mitgerisse­n hat, ich habe die ganzen Schäden und die Auswirkung­en auf die Menschen gesehen. Das hat in mir das Gefühl erzeugt: Ich will nicht mehr gefallen, sondern ich möchte, dass die Dringlichk­eit des Themas verstanden wird. Die Letzte Generation hat den Protest auf eine neue Stufe gehoben durch die Straßenblo­ckaden, bei denen Menschen bereit waren, höhere Risiken in Kauf zu nehmen. Deswegen habe ich mich angeschlos­sen. Lobenhofer: Ich war auch oft bei den Demonstrat­ionen von Fridays for Future dabei. Ich fand aber, dass die Schulstrei­ks nicht zur Ernsthafti­gkeit des Themas gepasst haben: Die Aktionen wurden irgendwann auf nachmittag­s verlegt, damit jeder teilnehmen kann. Außerdem wurde der Spaß betont, den man gemeinsam auf der Straße hat. Und das reicht halt nicht aus. Die Letzte Generation tritt mit mehr Ernsthafti­gkeit auf.

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Fotos: Matthias Kessler „Wir brauchen alle Menschen in unserer Gesellscha­ft für diese große Transforma­tion“, sagt Sarah Lobenhofer.
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„Ich will nicht mehr gefallen, sondern ich möchte, dass die Dringlichk­eit des Themas verstanden wird“, sagt Moritz Riedacher.

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