„Wir sind nicht die besseren Menschen“
Ohne die Blockaden würde niemand über Klimaschutz sprechen, sagen die Aktivisten aus Stuttgart und Ulm. Ein Gespräch über Asienflüge, Doppelmoral und die Grenzen des Protests.
Was genau sie am Nachmittag erleben werden, wissen Sarah Lobenhofer und Moritz Riedacher an diesem Vormittag noch nicht. Nach dem Interview mit der SÜDWEST PRESSE machen sich die Sprecher der Letzten Generation auf den Weg in die Ulmer Innenstadt. Dort wollen sie eine Straße blockieren. Die Polizei ist aber gut vorbereitet: Nach wenigen Minuten ist die Aktion beendet und die Fahrbahn wieder frei.
Frau Lobenhofer, Herr Riedacher, vor ein paar Wochen war die Letzte Generation wieder groß in den Schlagzeilen: Eine Aktivistin und ein Aktivist waren nach Asien geflogen, statt bei einem Gerichtsprozess in Stuttgart zu erscheinen. Wie sehr hat diese Aktion Ihrer Bewegung geschadet? Sarah Lobenhofer:
Das gab einen heftigen Shitstorm. Leute, die uns schon immer Doppelmoral vorwerfen, hatten wieder etwas im Heuhaufen gefunden, um zu zeigen, dass wir nicht perfekt sind. Wir behaupten ja aber gar nicht, dass wir die besseren Menschen wären. Wir alle machen in unserem Alltag etwas, was nicht klimafreundlich ist, weil unsere gesamte Gesellschaft eben auf ein klimaschädliches Leben ausgelegt ist. Das zeigt, dass sich alle Menschen unserem Protest anschließen können. Auch jemand, der Auto fährt oder jemand, der bei einer Fluggesellschaft arbeitet, hat das Recht auf eine Regierung, die sich für Maßnahmen einsetzt, die sein Leben schützen.
Dazu bräuchte es ziemlich umfassende Lösungen und zwar weltweit. Sie fordern aber ein 9-Euro-ticket für den ÖPNV und ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern. Riedacher:
Wir fordern Dinge, die selbstverständlich sein sollten und denen sich ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland anschließt. Die Regierung entlarvt sich, wenn sie nicht einmal diese umsetzt.
Man hat aber den Eindruck, dass vor allem über Ihre Protestmittel und weniger über Ihre Ziele oder den Klimaschutz diskutiert wird. Lobenhofer:
Ich behaupte, dass die Leute sonst überhaupt nicht über das Thema sprechen würden. Es ist eben unsere große Stärke, dass wir die Diskussion in die Wohnzimmer und in die Küchen bringen und dass die Menschen dann die Chance haben, sich auch wirklich zu positionieren.
Sie machen diese Blockaden jetzt gut ein Jahr lang. Wie fällt die Zwischenbilanz aus? Lobenhofer:
Unser Protest führt auf jeden Fall dazu, die Klimakrise auf der Agenda zu halten. Gerade durch den Krieg gegen die Ukraine, wäre das Thema Klimakrise bestimmt nicht in diesem Umfang auf der Agenda gewesen. Und wir haben in dem Jahr ziemlich deutlich die Doppelmoral der Politik aufgezeigt.
Riedacher: Zu Beginn unserer Protestaktionen haben wir uns auch
für ein Lebensmittel-rettungsgesetz eingesetzt. Das ist zwar nach wie vor nicht da. Aber immerhin will die Bundesregierung, dass das Containern legal wird. Das ist für mich ein Beweis, dass unser Protest wirkt.
Man hat aber auch neue Flüssiggasterminals gebaut und langfristige Lieferverträge für Gas geschlossen. Ist das nicht frustrierend? Lobenhofer:
Ja klar. Das ist frustrierend. Es zeigt uns aber zugleich, wie notwendig unser Protest ist. Denn trotz der Versprechungen, werden wir das 1,5-Gradziel definitiv nicht erreichen.
Im Ernstfall scheint der Klimaschutz nicht die wichtigste Rolle zu spielen. Was heißt das für Ihren Protest? Riedacher:
Das bedeutet, dass unsere Proteste weitergehen werden und auch intensiviert werden müssen, etwa durch FlughafenBlockaden. Wir sind da weiterhin kreativ.
Wo sind für Sie denn Grenzen? Riedacher:
Wir werden keine Gewalt – körperlich oder verbal – ausüben.
Warum hilft es dem Klimaschutz, wenn jemand im Stau steht? Lobenhofer:
Es geht natürlich nicht um die einzelnen Personen, die im Stau stehen, sondern darum, dass der Protest eben in der Öffentlichkeit stattfinden muss. Wir haben im Sommer schon Ölpipelines abgedreht, und wir versuchen schon auch an Orten zu protestieren, die logischer erscheinen.
Aber dafür hat sich niemand so interessiert wie für die Straßenblockaden.
Aufzurütteln ist das eine – zu versuchen, seine Positionen umzusetzen das andere. Wie eng sind Ihre Kontakte zu Politikern? Riedacher:
Wir führen im Hintergrund laufend Gespräche mit Parlamentariern. Gerade ist unsere Strategie, uns erstmal an die Bürgermeister der Städte zu wenden. Wir haben gerade die Städte, in denen wir protestieren, angeschrieben, um ihnen die Möglichkeit zu geben, auf unseren Protest zu reagieren.
Was heißt das genau? Lobenhofer:
Wenn Städte sich tatsächlich für ernsthafte Maßnahmen aussprechen, dann werden wir in diesen Städten keine Blockaden mehr machen. Wenn wir aber sehen sollten, die Städte ruhen sich auf dem Erreichten aus, dann protestieren wir dort auch wieder.
Eine weitere Forderung der Letzten Generation ist ein sogenannter Gesellschaftsrat, der Lösungen für die Klimakrise erarbeiten soll. Wofür braucht es den? Lobenhofer:
Wenn wir uns die Zusammensetzung des Parlaments anschauen, sehen wir, dass es dort keine repräsentative Vertretung unserer Gesellschaft gibt. Dort sind vor allem Akademiker und überdurchschnittlich reiche Menschen vertreten. Wir brauchen aber wirklich alle Menschen in unserer Gesellschaft für diese
große Transformation. Und da müssen sich alle miteinander streiten: der Landwirt mit dem Tierrechtler, der Autofahrer mit dem Fahrradfahrer.
Aber warum ist ein Gesellschaftsrat, in den die Mitglieder hineingelost werden, besser als ein gewähltes Parlament? Lobenhofer:
Bei Wahlen werden Leute begünstigt, die Kontakte zu Reichen haben oder selbst die Ressourcen haben, einen Wahlkampf zu führen. Dafür braucht man Geld und Zeit. Menschen, die Vollzeit arbeiten müssen, schaffen es kaum, sich großartig mit Politik zu beschäftigen, geschweige denn, sich einzubringen.
Unsere jetzige Demokratie ist also nicht in der Lage, Antworten auf die Klimakrise zu finden? Lobenhofer:
Anscheinend nicht. Sie wäre sicher in der Lage dazu, wenn Politikerinnen und Politiker sich nicht von ihren eigenen Interessen leiten lassen würden.
Aber man kann Demokratien ja auch weiterentwickeln. Es ist demokratieschädlich, wenn man einfach weitermacht wie bisher, obwohl man sieht, dass die Zufriedenheit mit der Demokratie immer weiter schwindet.
Wie sind Sie persönlich zur Letzten Generation gekommen? Riedacher:
Ich war lange bei Fridays for Future in Stuttgart dabei und habe mich dort auch stark engagiert. Nach der Flutkatastrophe war ich im Ahrtal unterwegs und habe dort gesehen, wie das Wasser massive Marmorsäulen einfach mitgerissen hat, ich habe die ganzen Schäden und die Auswirkungen auf die Menschen gesehen. Das hat in mir das Gefühl erzeugt: Ich will nicht mehr gefallen, sondern ich möchte, dass die Dringlichkeit des Themas verstanden wird. Die Letzte Generation hat den Protest auf eine neue Stufe gehoben durch die Straßenblockaden, bei denen Menschen bereit waren, höhere Risiken in Kauf zu nehmen. Deswegen habe ich mich angeschlossen. Lobenhofer: Ich war auch oft bei den Demonstrationen von Fridays for Future dabei. Ich fand aber, dass die Schulstreiks nicht zur Ernsthaftigkeit des Themas gepasst haben: Die Aktionen wurden irgendwann auf nachmittags verlegt, damit jeder teilnehmen kann. Außerdem wurde der Spaß betont, den man gemeinsam auf der Straße hat. Und das reicht halt nicht aus. Die Letzte Generation tritt mit mehr Ernsthaftigkeit auf.