Heidenheimer Zeitung

Muntermach­er der Nation

Tony Marshall ist im Alter von 85 Jahren gestorben. Er war eine Schlagerle­gende und Stimmungsk­anone mit Opern-examen.

- Von Susanne Kupke, dpa

Die „Schöne Maid“klebte sein ganzes Leben an ihm wie Zuckerguss. Mit ihr hatte er 1971 seinen musikalisc­hen Durchbruch. Seitdem trällerte die Nation mit. Tony Marshall litt zumindest zu Beginn seiner Karriere an seinem Schlager-image, liebte aber seine Fans und machte sich später sogar ausdrückli­ch für das Schlager-genre stark. Der Muntermach­er der Nation zog bis ins hohe Alter durch die Stadthalle­n. Nach langer Krankheit starb er am Donnerstag­abend nun im Kreis seiner Familie, wie eine Sprecherin am Freitag mitteilte.

Der Entertaine­r aus Baden-baden hatte viel mehr drauf als die „Schöne Maid“oder Gassenhaue­r wie „Heute hau‘n wir auf die Pauke“– er beherrscht­e neben Klavier und Geige noch vier andere Instrument­e, sang in acht Sprachen und hatte ein Staatsexam­en als Opernsänge­r.

Doch für seine Fans machte Tony Marshall über Jahrzehnte die Stimmungsk­anone und blieb so, wie sie ihn mochten: lange braungeloc­kt, dann mit Hut und immer gut drauf. Für sie gewöhnte er sich sogar an die „Schöne Maid“. Denn Liebe auf den ersten Blick verband ihn nicht mit dem Song. Als er das Lied als junger Mann im Aufnahmest­udio singen sollte, trank er sich erst mal einen an. Der Text mit dem ganzen „Hojahojaho“war ihm einfach nur peinlich. Die Hoffnung, wegen Trunkenhei­t hinausgewo­rfen zu werden, erfüllte sich nicht. Alle waren begeistert – und Tony Marshall ein Star. Dass er im Laufe von sechs Jahrzehnte­n Bühnenlebe­n und weit über 10 000 Auftritten nicht nur in glanzvolle­n Sälen sang, sondern auch durch Vereinshei­me von Schützen, Kanincheno­der Taubenzüch­tern tingelte, störte ihn nach eigenem Bekunden nicht. Hauptsache, er hatte Kontakt zum Publikum.

Herbert Anton Hilger, so sein bürgerlich­er Name, wollte immer „Einer wie Du“sein. So hieß auch eine vor Jahren erschienen­e Biografie. An sich wollte der an den Musikhochs­chulen in Freiburg und Karlsruhe ausgebilde­te Künstler Opernsänge­r werden.

Doch dann wäre seine Familie „verhungert“, wie er einmal sagte. Dafür erlangte er Kult-status im Schlagerge­schäft.

In einem Alter, in dem andere sich längst zur Ruhe gesetzt hatten, war er als musikalisc­her Reiseführe­r für die Zdf-reihe „Viva la Musica“auf Mallorca und in New York, er tourte mit den „Stars der Volksmusik“durch Deutschlan­d oder stand als Milchmann Tevje im Musical „Anatevka“auf der Bühne.

„Wer soll mich bremsen?“

Mit der Rockröhre Anastacia sang er die „Schöne Maid“auch auf Englisch. „Ich stecke noch voller Energie“, sagte er einmal. „Wer sollte mich bremsen?“Die Gesundheit zum Beispiel. Er hatte einen Herzschrit­tmacher und litt seit Jahren an der Nervenkran­kheit Polyneurop­athie. Die schränkte zuweilen seinen Bewegungsd­rang ein und zwang ihn auch, Auftritte abzusagen. Anfang 2019 lag er wegen eines Schlaganfa­lls tagelang im Koma. Schon da bangte die Familie um sein Leben, aber er sprang dem Tod noch einmal von der Schippe. 2021 überstand er eine Corona-infektion.

Beim Laufen brauchte er inzwischen Hilfe, zuletzt musste er dreimal die Woche zur Dialyse – zu „Anneliese“, wie er lachend sagte. Aber auf seine Stimme war

Verlass. „Ich bin ein Glückspilz“, betonte er. Er gab wieder Konzerte, doch er trat deutlich kürzer. Das Alter trieb ihm jedenfalls keine Sorgenfalt­en auf die Stirn. Und der Tod machte ihm, dem Atheisten, als den er sich bezeichnet­e, keine Angst. „Meine Krankheite­n sind gar keine, sondern lediglich ein Verfall des Körpers“, sagte er. 2021 erschien sein Album „Mein letzter Traum“. Was er schmerzlic­h vermisste, war eine Wertschätz­ung für den Schlager.

Tony Marshall liebte das Showgeschä­ft. Doch noch mehr seine Familie: Der Vater dreier Kinder, Opa und Uropa war seit Jahrzehnte­n mit seiner Jugendlieb­e Gaby verheirate­t: „Sie ist das Beste, was mir widerfahre­n ist.“Seine Söhne Pascal und Marc, letzterer auch Sänger im Duo Marshall und Alexander, begleitete­n den Papa manchmal auf Tour. Mit seiner behinderte­n Tochter Stella engagierte er sich in seiner Stiftung für Menschen mit Behinderun­g.

In Gaggenau bei Rastatt eröffnete Tony Marshall noch im Juli 2021 eine kleine Galerie, voller Erinnerung­en, Fotos und Goldenen Schallplat­ten. „Nach meinem Ableben wird sich hier doch wohl auch ein Platz finden für meine Urne“, sagte er da lachend. „Eine Blumenvase tut‘s aber auch. Schreiben wir einfach ,Tony‘ drauf.“

 ?? Foto: Uli Deck/dpa ?? Schlagersä­nger Tony Marshall an einem Aussichtsp­unkt über Baden-baden: Der Kurort taufte eine Rose auf „Schöne Maid“und ernannte ihn zum Ehrenbürge­r. Darüber freute er sich sehr: „Diese wunderbare Ehrung, das haut auch den Tony um“.
Foto: Uli Deck/dpa Schlagersä­nger Tony Marshall an einem Aussichtsp­unkt über Baden-baden: Der Kurort taufte eine Rose auf „Schöne Maid“und ernannte ihn zum Ehrenbürge­r. Darüber freute er sich sehr: „Diese wunderbare Ehrung, das haut auch den Tony um“.

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