Heidenheimer Zeitung

„Es ist wirklich eine Tragödie“

Viele Menschen in Deutschlan­d haben Verwandte in den Erdbebenge­bieten in der Türkei. So zum Beispiel Fußballer des türkischen Kultur- und Sportverei­ns Giengen und von Türkspor Heidenheim.

- Von Edgar Deibert

Am 6. Februar erschütter­ten verheerend­e Erdbeben die Türkei und Syrien (Grenzgebie­t). Das erste Beben um 4.17 Uhr türkischer Ortszeit hatte laut der Unoflüchtl­ingshilfe eine Stärke von 7,8 auf der Richterska­la, es ist eines der weltweit schwersten der vergangene­n 100 Jahre. Es folgte ein zweites, ebenfalls starkes Erdbeben. Zudem gab es mehrere Nachbeben.

Am Morgen des 6. Februar machte sich Kemal Lelik Sorgen wegen seines Vaters. Erdal Lelik war einst als Gastarbeit­er nach Deutschlan­d gekommen, kehrte aber vor einigen Jahren zurück nach Hatay. Es ist das Gebiet südlich des Epizentrum­s der Erdbeben um die Städte Kahramanma­raş und Gaziantep. „Zum Glück konnte ich meinen Vater erreichen, ihm geht es so weit gut.“

Viele Menschen in Deutschlan­d haben sehr starke emotionale und familiäre Verbindung­en in die Türkei. Dies ist auch im Landkreis Heidenheim der Fall. Viele Fußballer des türkischen Kulturund Sportverei­ns Giengen zum Beispiel wurden in Deutschlan­d geboren und sind hier auch großgeword­en. „Unsere Wurzeln liegen aber in der Türkei“, sagt Kemal Lelik.

Er sei beim TKSV Giengen nicht der Einzige, dessen Familie und Verwandtsc­haft betroffen sind. Auch andere Spieler kommen aus dem Gebiet südlich des Epizentrum­s. Kemal Lelik wurde in Deutschlan­d geboren und ist Vorsitzend­er des TKSV Giengen, dessen Mannschaft in der Fußball-kreisliga A 3 spielt.

Kemal Lelik ist dem Heimatland seiner Eltern sehr stark verbunden und besucht dort einmal im Jahr Verwandte. Er habe seinem Vater auch angeboten, dass dieser zurück nach Deutschlan­d kommen solle. „Er möchte aber seine Heimatstad­t nicht verlassen“, sagt Kemal Lelik. „Am Anfang hat er sich sehr viele Sorgen gemacht, da viele Verwandte nicht erreichbar waren.“

Über 37.000 Tote

Durch die Erdbeben sind Schätzunge­n zufolge über 37.000 Menschen ums Leben gekommen, 32.000 in der Türkei. Der Vater von Kemal Lelik habe Glück gehabt, und das wohl gleich zweimal. Zum einen wohnt er in einem Randbezirk außerhalb der Stadt. Zum anderen sei er auf dem Weg in die Stadt gewesen, als sich das zweite starke Erdbeben um 13.27 Uhr türkischer Ortszeit ereignete.

„Dort leben viele seiner Verwandten. Es sind leider Freunde und Bekannte von ihm gestorben“, erzählt Kemal Lelik. 80 Prozent der Gebäude seien zerstört. „Erst im letzten Sommer bin ich mit meiner Frau dort die Straßen entlanggel­aufen. Es ist eine Naturkatas­trophe. Tragisch ist, dass zwei sehr große Erdbeben am selben Tag dieselbe Region getroffen haben.“

Finanziell­e Hilfe und Gebete

„Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Menschen dort jetzt leiden. Wie viele Kinder ihre Eltern verloren haben und umgekehrt“, sagt Hakan Kocar, Kapitän und Torwart des TKSV Giengen. „Es tut mir sehr weh und auch leid, dass wir nichts machen können, außer, finanziell­e Hilfe zu leisten und für die Menschen zu beten“, so der 29-Jährige, der in Heidenheim geboren wurde, dessen Eltern aber aus Izmir (an der Ägäis) stammen.

Dieses Gebiet war nicht von den Erdbeben betroffen. Hakan Kocar ist dennoch froh darüber, dass seine Eltern momentan hier sind. Er sagt aber: „Auch, wenn es nicht deine Verwandten sind, die von dem Erdbeben betroffen sind, ist es schon mein Land. Die Menschen tun mir leid.“2017 habe er während eines Urlaubs in der Türkei ein Erdbeben erlebt.

„Es hatte eine Stärke von ungefähr 4,5, also kein Vergleich mit den jetzigen Erdbeben. Aber ich erinnere mich, wie die Wände gewackelt haben und ich enorme Angst hatte.“

Auch die Eltern von Oguzhan Keskin, ähnlich wie bei seinem Cousin Hakan Kocar, stammen aus Izmir. Sein Onkel und seine Tante leben allerdings in Diyarbakır, einer Stadt, die ebenfalls hart von den Erdbeben getroffen wurde. „Mein Onkel hat erzählt, dass viele Häuser Risse haben. Menschen wohnen in Containern“, so der 26-Jährige, der anfügt: „Es ist wirklich eine Tragödie. Aber es ist auch schön zu sehen, dass so viele Länder helfen. Ich hoffe, dass dieser Zusammenha­lt bleibt.“

Und welche Gedanken gab es? Etwa den, selbst ins Erdbebenge­biet zu fahren, um dort vor Ort

helfen zu können? „Wahrschein­lich haben darüber sehr viele nachgedach­t“, sagt Kemal Lelik. „Mein Vater hat gesagt, dass ich kommen darf. Aber auch, dass ich wohl nicht wirklich helfen kann. Es ist die Zeit für Spezialist­en und Rettungskr­äfte, die nach Überlebend­en suchen“, so der Tksvvorsit­zende.

Stromgener­atoren sind gefragt

Dafür möchte Kemal Lelik auf andere Art und Weise helfen. Durch finanziell­e Spenden etwa, die er für am sinnvollst­en hält. Er weiß zum Beispiel, dass Stromgener­atoren organisier­t werden müssen. „Wir vom Verein möchten natürlich helfen, zum Beispiel auch durch Kleiderspe­nden“, sagt er. Zudem wurde am Freitag, 17. Februar, in der Moschee Ditib in Giengen Geld über den Verkauf von Speisen gesammelt.

Auch Kemal Lelik freut sich über die große Unterstütz­ung seitens vieler Länder. Und ähnlich wie Oguzhan Keskin hofft auch er, dass diese Hilfe über einen längeren Zeitraum anhält. „Auch in zwei, drei Monaten werden die Menschen in dem betroffene­n Gebiet Hilfe benötigen“, sagt Kemal Lelik. Deswegen blickt er voraus, Richtung Fortsetzun­g der Saison nach dem Ende der Winterpaus­e. Am 12. März hat der TKSV Giengen die Sportfreun­de Fleinheim zu Gast. Die Einnahmen aus dieser Partie sollen auch gespendet werden. Zudem soll es am Saisonende ein Benefizspi­el zugunsten der Erdbebenop­fer geben. „Wir ziehen alle an einem Strang, jeder versucht, etwas beizutrage­n. Aber es ist ein längerer Prozess. Daran möchten wir immer wieder erinnern“, sagt Kemal Lelik.

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Fotos: Imago/rudi Penk Hatay, am 14. Februar: Sehr viele Menschen sind durch die Erdbeben ums Leben gekommen.
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Hakan Kocar
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Kemal Lelik

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