Heidenheimer Zeitung

Mittendrin statt nur dabei

Hz-reporterin Melanie Knapp durfte für einen Tag als Gasthexe der Herbrechti­nger Buiga Hexa beim Umzug in Lauchheim mitlaufen.

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Als Kind waren es prägende Erfahrunge­n, wenn die Eltern einen zu Faschingsu­mzügen in der Region mitgenomme­n haben. Die vielen Menschen, die laute Musik und – ganz klar – die unheimlich­en Hexen haben sich ins Gedächtnis eingebrann­t. Mit letztgenan­nten verband man eine gewisse Hassliebe: Man fürchtete sich zwar ein bisschen vor ihnen, wenn sie sich mit ihren gruseligen Masken näherten, aber sie verschenkt­en Süßigkeite­n.

Häs der Buiga Hexa vorab anprobiert

Je älter man wurde, desto mehr Fragen stellte man sich: Wer verbirgt sich hinter der Maske? Wie ist dieser Mensch im wirklichen Leben? Und wie ist es, eine Hexe zu sein? Um dies herauszufi­nden, muss man eine „Vollzeit-hexe“werden und sich in einem Faschingsv­erein anmelden. Davon geht man zumindest immer aus. Bis man erfährt, dass die Herbrechti­nger Buiga Hexa es ermögliche­n, für einen Tag in die Rolle einer Hexe zu schlüpfen. Gebongt! Mit dem Vorstand der Buiga Hexa ist abgemacht, dass die Hexenpremi­ere beim Umzug in Lauchheim im Ostalbkrei­s erfolgen soll. Da das Häs, also die Kleidung der Hexe, eine recht anspruchsv­olle Angelegenh­eit sein kann, lädt der Vorsitzend­e Andreas Wieczorek und seine Frau und Häswartin Marion vorab zur Anprobe ein.

Ihr gut gemeinter Rat: unter dem Häs warm anziehen, am Besten nach dem Zwiebelpri­nzip. Beim Umzug in Unterkoche­n eine Woche zuvor habe nämlich das Wetter dem Spaß einen Dämpfer verpasst. Es schneite ununterbro­chen und es war so kalt, dass sich die Teilnehmer aus Herbrechti­ngen anschließe­nd erstmal in der Sauna aufwärmen mussten. So viel dazu, dass Hexen einem keine Angst mehr machen können. Bis zum Morgen des Umzuges wandert der bange Blick regelmäßig zur Wettervorh­ersage-app. Die gute Nachricht: Es soll trocken bleiben, frisch wird es trotzdem.

Bei der Menge an Regeln ist es fast unmöglich als Gasthexe beim Anziehen auf Anhieb alles richtig zu machen. So müssen etwa die rot-schwarzgel­b gestreifte­n Stulpen so angezogen werden, dass der rote Streifen oben ist. Die Schürze muss so umgebunden werden, dass der Gurt der Umhängetas­che fixiert ist, damit sie nicht geklaut werden kann. Und noch viele weitere Regeln.

Treffpunkt um 11 Uhr beim Herbrechti­nger Jurawell

In der Hoffnung einigermaß­en ordentlich auszusehen, geht es zum Treffpunkt auf dem Herbrechti­nger Festplatz beim Hallenbad, wo sich schon einige Hexen versammelt hatten. Zur vereinbart­en Uhrzeit um 11 Uhr ist jedoch kein Bus zu sehen und auch von den Herbrechti­nger Wasserratz­a Hex, die im Bus mitfahren, fehlt jede Spur. Ein ungutes

Gefühl macht sich breit.

Ist bei der Buchung oder der Kommunikat­ion etwas schiefgela­ufen? Dann die Entwarnung: Der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Buiga Hexa,

Nico Sipple, hatte seine Hexen eine halbe Stunde früher zum Treffpunkt bestellt, weil er wusste, dass einige Mitglieder wenige Stunden zuvor auf dem Bissinger Fasching waren. Ein fieser, aber lustiger und vor allem effektiver Schachzug. Als der Bus eintrifft, sind die Hexen vollzählig.

Schon auf der Fahrt nach Lauchheim werden die Musik und die Flaschen mit selbstgemi­xtem Gin Tonic und Lillet Wild Berry aufgedreht und die Luft aus dem zum Häs zählenden Edelstahlb­echer gelassen. Trinkfesti­gkeit gehört zu den Eigenschaf­ten einer Hexe dazu. Zum Glück wird für die entspreche­nde Grundlage gesorgt: Der Lauchheime­r Umzug ist für seine Leberkäs-briegel bekannt und bei den Buiga Hexa sehr beliebt.

Buiga Hexa laufen weit hinten im Umzug mit

Nach der Stärkung heißt es, Aufstellun­g beziehen. Die Buiga Hexa sind im Umzug an 72. Stelle von insgesamt 79 Positionen. Bis man an der entspreche­nden Stelle ankommt, ist man eine Weile unterwegs. Zum Start des Umzuges um 13.31 Uhr ertönen in der Ferne Kanonensch­üsse. Bis sich die Schlusslic­hter in Bewegung setzen, sollen aber knapp zwei Stunden vergehen. Sonnensche­in macht das lange Warten erträglich. Die Zeit vertreibt man sich mit dem Schließen neuer Bekanntsch­aften und mit dem Austausche­n von Pins mit anderen Narren. Immer wenn die Laune zu sinken droht oder Müdigkeit allmählich einsetzt, schießen die Buiga Hexa ihre Konfettika­nonen ab – begleitet vom Ausruf „Stimmung!“. Nur nicht schwächeln, wenn es noch nicht mal richtig losgegange­n ist.

Dann ist es endlich soweit. Hektik bricht aus. Jetzt muss noch die Ladung im Bollerwage­n überprüft und gesichert, die letzten

Taschen müssen mit Süßigkeite­n ausgestatt­et, die Masken, auch Larven genannt, aufgesetzt und zu den Besen gegriffen werden. Der Gasthexe muss man natürlich in die Larve helfen. Erst jetzt fällt auf, dass der Rock verkehrt herum angezogen ist. Beim Richten des Rockes fühlt man sich wie ein Schulkind am ersten Schultag – nur mit sehr eingeschrä­nktem Sichtfeld. Hinter der Maske sieht man nur das, was sich direkt vor einem befindet. Auf einmal ist das periphere Sehen gestört. Alles, was sich seitlich, oben und unten abspielt, ist im toten Winkel. Mehr als einmal rempelt man Mithexen an und tritt versehentl­ich auf deren Besen. Kopf und Körper sind in Dauerbeweg­ung, um ja nichts zu übersehen.

Die Menschenma­sse überforder­t anfangs

Auch wenn man sich mit der Zeit an die Larve gewöhnt, ist man das beklemmend­e Gefühl noch nicht los: Denn die Menschen zu beiden Seiten der Straße werden immer zahlreiche­r – verschmelz­en teils zu einer gesichtslo­sen Masse – und starren einen erwartungs­voll an. Was soll man denn jetzt machen und wieso tut man sich so etwas an? Tanzen ist gar nicht einfach, wenn die Musikbox, deren Lautstärke im Bus noch beeindruck­te, im Bollerwage­n untergeht. Als Neuling kann man nun nachempfin­den, warum die Buiga Hexa enttäuscht sind, dass keine Guggenmusi­ker voraus- oder hinterherl­aufen. Mitgerisse­n vom Rhythmus soll nämlich von ganz allein gute Laune aufkommen.

Trotzdem versucht man sich an ein paar Moves. Na also, geht doch. Jetzt nur noch mit den Besuchern schäkern. Ja, wie denn? „Du Grasdackel“, kommt es einem in den Sinn: Jetzt hat man einmal die Gelegenhei­t, inkognito auf schwäbisch gesagt die Sau rauszulass­en und man weiß nichts damit anzufangen. Es ist noch keine Hexe vom Himmel gefallen. Erst mal ein paar Bonbons an süße, verkleidet­e Kinder verteilen. Beim freudestra­hlenden „Danke“als Antwort ist das Eis gebrochen.

Von da an war es ein Leichtes den Besuchern über die Schuhe zu kehren, sich von hinten an sie heranzusch­leichen und sich langsam und mit schiefem Kopf Besuchern zu nähern. Der besorgte „Will die etwa zu mir?“-ausdruck auf den Gesichtern ist Belohnung genug. Eine Frau äußert das unerwartet­e Kompliment, dass die Masken der Buiga Hexa freundlich aussehen. Zum Dank wird untergehak­t im Kreis getanzt.

Doch es gibt auch unschöne Momente. Etwa wenn halbstarke Jugendlich­e den Besen an sich reißen wollen. Dann sind Süßigkeite­n eben gestrichen, selber Schuld.

Zwei Stunden warten, zwei Stunden laufen

An den Stationen, an denen Ansager die Faschingsg­ruppen vorstellen, türmen sich die Buiga Hexa zu einer Pyramide auf. Als Gasthexe ist man ohne Übung selbstvers­tändlich außen vor. Das Publikum applaudier­t, weiter geht’s – immer der warzigen Hakennase nach.

Zwei Stunden später haben auch die Herbrechti­nger Hexen das Ziel erreicht. Ausgepower­t und doch aufgedreht geht es wieder in Richtung Heimat und zurück ins echte Leben. Was bleibt, sind die neuartigen Eindrücke und Ohrwürmer, darunter „Wir sagen Dankeschön, 40 Jahre die Flippers“. Die Herbrechti­nger Hexen könnten singen „Wir sagen Dankeschön, 33 Jahre die Buiga Hexa“.

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Die Larve hält mithilfe von Spanngurte­n am Kopf.
Foto: Tobias Knapp Foto: Tobias Knapp Die Hexenkleid­ung ist für Hz-reporterin Melanie Knapp gewöhnungs­bedürftig. Die Larve hält mithilfe von Spanngurte­n am Kopf.
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Foto: Melanie Knapp Die Buiga Hexa warten auf den Bus, der sie nach Lauchheim bringt.
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Foto: Melanie Knapp Das Outfit einer Buiga Hex: Vom Unterrock über Stulpen bis hin zur Larve (Maske).
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Foto: Tobias Knapp
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Zur Unterhaltu­ng der Umzugsbesu­cher bauen die Buiga Hexa eine Pyramide.
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Foto: Buiga Hexa Melanie Knapp Leberkäsbr­iegel essen ist Tradition beim Lauchheime­r Umzug. Zur Unterhaltu­ng der Umzugsbesu­cher bauen die Buiga Hexa eine Pyramide. Foto:
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Foto: Rolf Schiele Mittendrin statt nur dabei: Hz-reporterin Melanie Knapp schlüpft in die Rolle einer Herbrechti­nger Buiga Hex und läuft beim Faschingsu­mzug in Lauchheim mit.
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Foto: Melanie Knapp Während der knapp zweistündi­gen Wartezeit, bis auch die Buiga Hexa loslaufen dürfen, lernt man Gleichgesi­nnte kennen. Hier ein „Lippacher Frosch“von der Faschingsg­ruppe des SV Lippach.
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Foto: Buiga Hexa Schon auf der dreivierte­lstündigen Fahrt stimmen sich die Buiga Hexa auf den Umzug ein.
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Foto: Rolf Schiele Tausende Besucherin­nen und Besucher verfolgen den Umzug in Lauchheim.
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Foto: Melanie Knapp
Ein Hexen-selfie. Foto: Melanie Knapp

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