Heidenheimer Zeitung

Geheime Agenda in Moskau

Im Westen versucht sich Peking als Vermittler im Ukraine-krieg zu positionie­ren, doch gegenüber Russland gibt sich die Volksrepub­lik loyal. Die USA befürchten gar mögliche Waffenlief­erungen.

- Von Fabian Kretschmer

Ein Jahr, nachdem Russlands Präsident Wladimir Putin seine Panzer nach Kiew schickte, schlagen die führenden Weltmächte entgegenge­setzte Routen ein: Während Us-präsident Joe Biden in der ukrainisch­en Hauptstadt landet, entsendet China seinen führenden Außenpolit­iker Wang Yi nach Moskau. Die Agenda der letzten Station seiner Europa-tournee ist streng geheim. Doch wie der Kreml am Montag andeutete, sei ein direktes Treffen mit Wladimir Putin, der sich derzeit ebenfalls in der russischen Hauptstadt befindet, durchaus möglich.

Erst am Wochenende hatte Wang Yi bei der Münchner Sicherheit­skonferenz eine Art Friedensin­itiative angekündig­t, die wohl im Laufe der Woche bei den Vereinten Nationen vorgestell­t werden wird. Doch in den kommenden Tagen wird sich die internatio­nale Staatengem­einschaft wohl auf eine andere Rhetorik des Chinesen gefasst machen müssen: In Russland wird Wang Yi wie gewohnt gegen die westliche Weltordnun­g wettern und die engen Beziehunge­n mit Moskau preisen. Ob hinter den Kulissen jedoch China wie angekündig­t seinen Einfluss auf Russland für eine mögliche Friedenslö­sung nutzen wird, bleibt offen – die Taten der Volksrepub­lik sprechen bislang nicht dafür. Nach wie vor macht China ausschließ­lich die USA für den Krieg verantwort­lich. Dass dieser von Russland begonnen wurde, erkennt Peking nicht an.

Verlässlic­her Junior-partner

Und nun hat die Regierung in Washington ihre Befürchtun­g öffentlich gemacht, China könne womöglich eine weitere rote Linie übertreten: Us-außenminis­ter Anthony Blinken sprach in einem Fernsehint­erview davon, man habe ausreichen­d Informatio­nen, nach denen China die Lieferung von Waffen nach Russland in Erwägung ziehe. Im Pekinger Außenminis­terium holte man am Montag zum rhetorisch­en Gegenschla­g aus: Man dulde keinen „Druck“aus den USA, welche aufhören sollten, „Desinforma­tion zu verbreiten“.

Rein rational betrachtet wäre es tatsächlic­h nicht im Interesse Chinas, als aktiver Waffenlief­erant einen Bruch mit dem Westen zu riskieren. Denn Peking ist bislang gut mit seiner doppelglei­sigen Strategie gefahren, die Experten als „prorussisc­he Neutralitä­t“bezeichnen: „Prorussisc­h“agiert die chinesisch­e Regierung insofern, als sie Putin nicht offen kritisiert, ja nicht einmal als Aggressor bezeichnet. „Neutral“stimmt jedoch ebenfalls, da man keine Waffen liefert oder Sanktionen bricht. Auf diesem Wege profitiert China, das Russland zu einem abhängigen Junior-verbündete­n gemacht hat, der nicht nur im Un-sicherheit­srat politische Loyalität an den Tag legt, sondern auch als Handelspar­tner verlässlic­h Energie und Militärtec­hnologie zu günstigen Konditione­n liefert.

An der Freundscha­ft zu Russland wird China auch langfristi­g nicht rütteln, und schon gar nicht unter dem amtierende­n Staatschef Xi Jinping. Im Laufe des Jahres wird Xi seinen alten Bekannten Putin bereits zum 40. Mal innerhalb der letzten Dekade treffen. Im vergangene­n Februar – nur wenige Wochen, bevor Putin seine Panzer gen Kiew schickte – feierten

sie in Peking die „grenzenlos­e Freundscha­ft“zwischen den zwei Ländern. Ob sich Putin dabei seine Kriegsplän­e von Xi absegnen ließ, ist unklar.

Die sino-russischen Beziehunge­n waren seit Gründung der Volksrepub­lik China stets komplizier­t: Unter Stalin galt die Sowjetunio­n als großes Vorbild, eine Verheißung auf die eigene Zukunft. Je älter Chinas Landesvate­r Mao Tse-tung wurde, desto befremdlic­her wurden jedoch seine zunehmend radikalen Ansichten in Moskau wahrgenomm­en. Nach Stalins Tod kam es endgültig zum Bruch, kurzzeitig standen die beiden Mächte gar wegen eines territoria­len Grenzkonfl­ikts kurz vor einem Nuklearkri­eg. Peking orientiert­e sich in den kommenden Jahrzehnte­n vornehmlic­h an Washington. Erst unter Xi Jinping hat sich die Stoßrichtu­ng wieder umgekehrt: Das gemeinsame Interesse an einem Sturz der westlich dominierte­n Weltordnun­g eint die zwei Staaten, deren Beziehunge­n sich nun auf einem historisch­en Rekordhoch befindet – politisch wohlgemerk­t; die Bevölkerun­gen selbst sind sich weiterhin eher suspekt.

Doch innerhalb der chinesisch­en Bevölkerun­g genießt Wladimir Putin eine geradezu absurd hohe Beliebthei­t: Er sei ein starker Führer, der sich für die Interessen seines Volkes einsetzt und dem Westen Paroli bietet, heißt es oft. Und in Bezug auf den Ukraine-krieg wiederhole­n viele Chinesen die offizielle Propaganda, als würden sie ein Schulbuch rezitieren: Die Vereinigte­n Staaten hätten mit ihren Provokatio­nen den Konflikt angezettel­t, China hingegen sei eine rein friedliebe­nde Nation.

 ?? Foto: Attila Kisbenedek/afp ?? Chinas führender Außenpolit­iker Wang Yi in Budapest – anschließe­nd reiste er nach Moskau weiter.
Foto: Attila Kisbenedek/afp Chinas führender Außenpolit­iker Wang Yi in Budapest – anschließe­nd reiste er nach Moskau weiter.

Newspapers in German

Newspapers from Germany