Nur mit Vaters Ja-wort?
Viele Iranerinnen erleben in deutschen Standesämtern eine böse Überraschung. Grund ist ein Vertrag von 1929.
Bei den Eltern um die Hand der Tochter anhalten: Was hierzulande eine oft nur noch symbolische Geste ist, ist für andere Pflicht. Nach islamischem Recht brauchen Frauen die Zustimmung ihres Vaters, um zu heiraten. Als Azin Sadatischmutzer einen Heiratsantrag von ihrem deutschen Freund bekommt, erwartet die Iranerin nicht, dass die patriarchalischen Gesetze ihres Heimatlandes sie auch beim Standesamt in Stuttgart einholen könnten. Und doch steht die „Eheeinwilligung des Vaters“in der Liste von Unterlagen, die das Amt für die Anmeldung der Ehe sehen will.
Dass islamische Gesetze in Deutschland gelten, liegt in erster Linie an einem fast 100 Jahre alten Vertrag: dem deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen von 1929. Es regelt unter anderem, dass für Iranerinnen und Iraner in Deutschland iranisches Eherecht gilt. Das wäre aber auch ohne das Abkommen der Fall: Alle Ausländerinnen und Ausländer, die in Deutschland heiraten wollen, haben grundsätzlich die Regeln ihres Heimatstaates zu beachten. Ziel ist, dass eine in Deutschland geschlossene Ehe auch im Heimatstaat der Ehewilligen anerkannt wird.
Sadati-schmutzer wollte ihre Ehe von Anfang an nicht im Iran anerkennen lassen. Ihren Ehemann hatte sie 2016 im Libanon kennengelernt, wo sie als studierte Bildhauerin für ein Kunstprojekt mit Flüchtlingen arbeitete. Ein Jahr später kam sie nach Deutschland. Seitdem plant sie nicht, in ihre Heimat zu reisen. Außerdem ist ihr Mann kein Muslim. Sie darf ihn daher nach islamischem Recht gar nicht heiraten. Trotzdem musste die Iranerin eine Eheeinwilligung beim Standesamt in Stuttgart vorlegen. „Das war wie ein Kulturschock“, sagt Sadati-schmutzer.
Zwei Lager gibt es bei der Frage in Deutschland: Nach einer Umfrage der Deutschen Presseagentur verlangt die Hälfte der deutschen Oberlandesgerichte bei iranischen Frauen jedenfalls im Grundsatz eine Eheeinwilligung des Vaters oder Großvaters. Die Gerichte geben entsprechende Hinweise an die Standesämter.
Die andere Hälfte verzichtet bei der Prüfung von vornherein auf die Einwilligung.
Alle Gerichte sagen aber, dass es gegen das deutsche Grundrecht auf Gleichbehandlung verstoße, von Frauen zu ihrer Hochzeit die Zustimmung eines männlichen Vormunds zu verlangen. Daher sei eine deutsche Eheschließung immer auch ohne sie möglich. Das Standesamt müsse die Verlobten nur darüber belehren, dass die Ehe vom Iran möglicherweise nicht anerkannt wird.
Aufgeklärt habe das Amt sie nicht, sagt Sadati-schmutzer. Alle Dokumente fürs Standesamt liegen wie eine weiße Papierdecke auf der Sitzbank ihrer Wohnküche: darunter auch die Eheeinwilligung ihres älteren Bruders, der als Heiratsvormund einsprang.
Fast ein Jahr brauchte sie, um alle Unterlagen zu beschaffen. Rund 1000 Euro musste die 37-Jährige dafür ausgeben und ihre Mutter mehrmals bitten, quer durch den Iran zur deutschen Botschaft zu reisen.
Auch andere Frauen haben Probleme beim Standesamt: Eine Iranerin aus Calw wartet seit drei Jahren mit ihrer Hochzeit. Ihr habe eine befreundete Standesbeamtin geraten, erst einmal Deutsche zu werden, damit sie die Eheeinwilligung nicht vorlegen muss, erzählt sie am Telefon. Einem Pärchen aus Stuttgart hat die Behörde geschrieben: „Die angeforderten Unterlagen werden benötigt, sonst kann das Oberlandesgericht keine Befreiung erstellen.“
Belehrung über Folgen
Die Leiterin eines Standesamtes in Stuttgart, Verena Rathgebstein, äußert hingegen, dass die Frauen auf die Option ohne Eheeinwilligung hingewiesen werden. Wer die Zustimmung nicht vorlegen könne oder wolle, werde über die Folgen belehrt. „In der Regel gibt es keine Probleme bei der Umsetzung“, teilt sie mit.
Mehr Reformen wünscht sich Sadati-schmutzer. In Anbetracht der aktuellen Proteste im Iran hofft sie, dass das alte Niederlassungsabkommen angepasst wird. „Das ist für mich wie ein Zeichen, dass wir sagen: Islamische Republik, eure Zeit ist fertig.“