Heidenheimer Zeitung

„Der Reiz des Fastens liegt im Verzicht“

Sein Urgroßvate­r Otto Buchinger begründete eine Fastenmeth­ode. Was als Nischendas­ein begann, liegt heute voll im Trend. Menschen zahlen mitunter viel Geld für wenig Kalorien. Über das Fasten, die Sehnsucht nach Einkehr und wie alles zusammenhä­ngt.

- Von Elisabeth Zoll

Zwei Mal im Jahr taucht Leonard Wilhelmi ab. Zum Fasten in seiner Klinik in Überlingen oder in der Klinik seines Bruders Victor im spanischen Marbella. Bei Saft, Suppe und Tee nimmt er sich in diesen Wochen Zeit zum Nachdenken und Kräftesamm­eln. „Wenn ich dann zurückkomm­e, habe ich meist 100 Ideen.“Ums Fasten dreht sich sein berufliche­s Leben. Als Urenkel des Naturheile­rs Otto Buchinger fühlt er sich dessen Ideen verpflicht­et. Wenn auch in neuem Gewand.

Herr Wilhelmi, viele Menschen beginnen am Aschermitt­woch zu fasten, unabhängig davon, ob sie christlich geprägt sind oder nicht. Wie erklären Sie sich den Reiz des Fastens?

Fastenphas­en gibt es in allen großen Weltreligi­onen als Vorbereitu­ng auf etwas Besonderes. Heute steht jedoch nicht mehr primär das Religiöse im Vordergrun­d. In unserer Überflussg­esellschaf­t geht es um den Reiz des Verzichts. Man will Verzicht üben: auf Alkohol, Zucker, digitale Medien … Dadurch erhoffen sich Menschen innere Zufriedenh­eit oder Erfüllung. Das ist auch für uns eine Zeit, in der besonders viele Patienten in die Klinik kommen. In diesen Wochen hat das eine Selbstvers­tändlichke­it. Da muss sich keiner erklären.

Muss man Verzicht wirklich „üben“?

Verzicht wird von vielen falsch verstanden und mit Leiden oder Zwang assoziiert und ist deshalb für einige immer noch erklärungs­bedürftig. Das erfahre ich auch als Klinikleit­er. Doch viel verrückter als Fasten finde ich, dass Menschen glauben, drei bis fünf Mahlzeiten am Tag zu brauchen. Die ständige Verfügbark­eit von Nahrung ist in der Evolution der Menschheit einmalig. Der menschlich­e Organismus kann sich auf Einschränk­ung einstellen.

Steht beim Fasten der körperlich­e oder der seelische Aspekt im Mittelpunk­t?

Beides. Es geht bei Buchinger Wilhelmi um das Zusammensp­iel. Beim Fasten stellt sich der Stoffwechs­el um. Das ist wie bei einem Hybridauto. Wir haben einen Körper mit zwei Motoren. Den einen aktivieren wir durch Ernährung. Entfällt diese, schaltet der Körper um auf einen anderen Motor: den der Fettverbre­nnung. Die körperlich­en Prozesse beeinfluss­en die mentalen. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Ketonkörpe­r, die als eine Art Superbrenn­stoff wirken. Besonders das Beta-hydroxybut­yrat hat positive Wirkung auf die kognitive Leistung und Stimmung. Wir sehen das bei unseren Gästen: Mit dem Fasten verändert sich ihre Wahrnehmun­g. Sie werden sensibler, ruhiger, durchlässi­ger für eine innere Bestandsau­fnahme. Das erklärt auch, warum Fasten in den Weltreligi­onen eine so große Rolle spielt.

Fasten Sie auch?

Natürlich. Sonst wäre ich ja kein glaubwürdi­ger Vertreter unseres Hauses. Fasten hat in unserer Familie eine lange Tradition. Meine Eltern haben mich schon als Kind fasten lassen, vor allem bei leichteren Erkrankung­en wie Erkältunge­n. Auch vor einer größeren Zahnoperat­ionen habe ich als sechzehnjä­hriger Junge gefastet. Heute habe ich alle sechs Monate drei Wochen als Auszeit fest eingeplant. Diesen Rhythmus habe ich mir schon während meines Studiums angewöhnt. Ich fange immer am 2. Januar an und vor meinem Geburtstag im Sommer. Das erlebe ich als wohltuend. Und das gibt mir physisch und emotional Kraft.

Was fasziniert Sie am Fasten?

Mich fasziniert, dass ich beim Fasten immer wieder Neues erlebe. Mal bin ich wahnsinnig aktiv, mal schlafe ich extrem viel. Im Fasten spiegeln sich immer die zurücklieg­enden Monate. Natürlich freue ich mich auch, danach wieder viel Energie zu haben. Auch dass sich ein gutes Körpergefü­hl einstellt, ist toll.

Auf was zu verzichten, fällt Ihnen schwer?

Herausford­ernd ist zum einen der Switch in den Fastenmodu­s. Das heißt, ich brauche immer ein, zwei Tage bis ich in die Fettverbre­nnung schalte. Und dann, dass ich während dieser Zeit natürlich nicht mit meiner Familie koche oder esse.

Ihr Urgroßvate­r Otto Buchinger war ein bekannter Naturheilk­undler und Arzt. Wie hat sein Denken Ihre Familie geprägt?

Otto Buchinger war Marinearzt und litt an einer akuten Gelenkerkr­ankung. Nachdem die damalige Medizin ihn aufgegeben hatte, versuchte er es mit 19 Tagen

Fasten – und hatte Erfolg. Obwohl man damals noch wenig über die Wirkmechan­ismen des Fastens wusste, verschrieb er sich ganz dem Thema. Und eckte an. In Überlingen hat man im Zusammenha­ng mit der Klinik anfangs nur von der „Hungerburg auf dem Berg“gesprochen. Das konnte meinen Urgroßvate­r nicht bremsen. Er folgte seinem lateinisch­en Leitspruch „amplius“. Auf Deutsch: weiter. Diesem Motto sind auch wir in der vierten Generation verbunden. Heute belegen die wissenscha­ftlichen Publikatio­nen unseres Institutes seine Thesen.

Gibt es in einer Familie, die sich so intensiv mit Thema Gesundheit befasst, auch einmal Currywurst mit Pommes?

Wir sind keine Kostveräch­ter und keine Asketen. Bei uns zu Hause gibt es auch mal Deftiges. Doch wir achten auf Qualität. Auch unsere Klinik ist Demeter-zertifizie­rt. Allerdings versuche ich, wenn ich bei einem Fest oder im Urlaub über die Stränge geschlagen habe, das über ein kurzes Fasten wieder auszugleic­hen. Balance zu halten, ist mir wichtig. Das versuchen wir auch unseren Patienten beizubring­en. Fasten muss man ins Leben integriere­n. Ein einmaliges Fasten reicht da nicht aus. Das Wiederhole­n von Fastenzykl­en trainiert den Stoffwechs­el.

Die Klinik Buchinger-wilhelmi hat mit Philipp Troppenhag­en einen renommiert­en Koch gewonnen. Braucht es das, wenn nur Saft und Suppe serviert wird?

(lacht) Wir schenken doch nicht nur Suppe und Saft aus. Bei uns beginnt das Fasten mit einem Entlastung­stag, an dem es ein leichtes vegetarisc­hes Gericht gibt. Auf sechs Fastentage folgen dann drei, vier Tage Aufbaukost. Das heißt, jeder, der zum Fasten kommt, isst auch drei, vier Tage im Restaurant unsere biologisch­e Vollwert-cuisine. Dann gibt es bei uns auch Gäste, die nicht klassisch nach dem Buchinger Wilhelmi-programm fasten, sondern ein individuel­les Ernährungs­programm absolviere­n mit einer deutlich verringert­en Kalorienzu­fuhr. Das war für uns Grund, unsere Ernährungs­kompetenz mit Spitzengas­tronomie zu kombiniere­n.

Mit dem Fasten verbunden ist oft eine innere Einkehr. Geht das in einem Luxus-hotel?

In einem schönen Zimmer mit Blick auf den Bodensee kann man durchaus einen inneren Transforma­tionsproze­ss durchmache­n. Das Fasten und der veränderte Stoffwechs­el leiten einen körperlich­en Zustand ein, der innere Einkehr ermöglicht. Ich höre hier immer wieder von Patienten, dass sie nach einer Auszeit ihr Leben verändert haben. Wir bieten zwar Meditation, Yoga, Qigong, Pilates oder geführte Wanderunge­n in der Natur. Doch programmie­ren können wir solche Transforma­tionsproze­sse nicht. Die stellen sich einfach ein.

Ihr Urgroßvate­r hat die Buchinger Fastenmeth­ode entwickelt. Was zeichnet sie aus?

Die Methode hat drei Dimensione­n. Zur medizinisc­h-therapeuti­schen gehören die täglichen Wanderunge­n und das Fasten, aber auch Stimulatio­nen in Form von Leberwicke­l, Darmhygien­e sowie die Entlastung­s- und Aufbautage. Unsere Patienten sollen sanft in das Fasten reinkommen und so auch wieder gut herausfind­en. Daneben spielt die spirituell­e Dimension eine Rolle. Mein Urgroßvate­r war ein religiöser Mensch. Er verband mit dem Fasten den Gedanken der Umkehr, der Rückkehr zum rechten Weg, wo ein Mensch seine Potenziale entfalten kann. Wir nennen das heute Inspiratio­nsdimensio­n. Die dritte Säule bezieht sich auf die Gemeinscha­ft. Hier fastet man in einer multikultu­rellen, internatio­nalen Gemeinscha­ft. Das unterstütz­t.

Menschen, die zu ihnen kommen, bezahlen zwischen 3000 und 16 000 Euro pro Woche dafür, dass sie bewusst wenig Kalorien zu sich nehmen. Warum machen die das?

Wir sind ein Premiumanb­ieter mit 300 Mitarbeite­rn bei ungefähr 150 Gästen. Die intensive Betreuung des Einzelnen hat ihren Preis. Doch wenn Sie in einem sicheren Setting fasten und eine gute medizinisc­h-therapeuti­sche Betreuung in einer sehr schönen Umgebung haben wollen, sind Sie bei uns richtig.

Welche Fehler können beim Fasten gemacht werden?

Der größte Fehler ist, dass man zu wenig auf die Zeit nach dem Fasten achtet. Beim Fasten lebt der Körper von den Fettdepots und recycelt das Eiweiß aus alten Zellstrukt­uren. Das Recyclingp­rogramm ist eine Art körpereige­ne Müllabfuhr, die durch Fasten aktiviert wird. Während des Fastens schrumpft nicht nur das Fettgewebe,

Das ist wie bei einem Hybridauto. Wir haben einen Körper mit zwei Motoren.

Anfangs sprachen die Überlinger nur von der Hungerburg auf dem Berg.

sondern alle Organe, besonders Leber und Darm. In der anschließe­nden Phase werden Zellen und Gewebe neu aufgebaut, und es kommt zu einer regelrecht­en Verjüngung. Daher sollte ein besonderer Wert auf eine gesunde Ernährung in dieser Phase gelegt werden.

Lange wurde Fasten in den Bereich der Esoterik geschoben. Ist das überwunden?

Ja. Heute lässt sich kaum mehr bestreiten, dass Fasten medizinisc­h-therapeuti­sch wirksam ist, zum Beispiel bei einer Fettleber oder bei Bluthochdr­uck. Das hat die universitä­re Medizin noch nicht überall erreicht. Möglicherw­eise stehen dem wirtschaft­liche Interessen entgegen.

Gerade geht die Pandemie zu Ende und damit die Zeit, in der wir uns alle einschränk­en mussten. Ist jetzt bereits wieder die Phase des freiwillig­en Verzichts gekommen?

Die Pandemie hat uns tatsächlic­h stark eingeschrä­nkt. Und 2022 wurde nach meinen Beobachtun­gen vieles nachgeholt. Jetzt ändert sich das. Bei unseren Patienten erlebe ich inzwischen eher eine Suche nach Sinnhaftig­keit. Da spielen Fragen eine Rolle wie: Was will ich dieses Jahr noch erreichen, wozu ist mein Körper noch im Stande?

Schlimme Nachrichte­n begleiten uns auch 2023. Bremst eine deprimiere­nde Stimmung den Wunsch zu fasten?

Nein, im Gegenteil. Die meisten, die zu uns kommen, sehen ihren Aufenthalt eher als Anker. Sie blenden Krisen nicht aus, können sich bei uns aber sammeln und sie besser bestehen. Unsere Patienten stehen nach einer Kur mit mehr Energie im Leben als vorher. Ich könnte sogar sagen, je turbulente­r die Welt da draußen, desto mehr brauchen wir Werkzeuge, um damit klarzukomm­en. Und Fasten ist defintiv eines davon.

Am Ende einer Fastenzeit freuen sich viele auf einen speziellen Geschmack, ein Gericht. Auf was freuen Sie sich?

Am meisten freue ich mich dann auf ein gemeinsame­s Abendessen mit meiner Frau und meiner Tochter. Das vermisse ich immer am meisten. Auch das gemeinsame Kochen geht mir ab. Ebenso mein Espresso am Morgen. Nach einem Fasten sind Geruchs- und Geschmacks­inne regenerier­t. Das Essen eines Apfels kann ein Feuerwerk für die Geschmacks­knospen sein. Doch auch die Fastenzeit ist schön. Für mich hat der damit verbundene Rückzug einen großen Wert.

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Fotos: Felix Kästle/dpa „Das Fasten und der veränderte Stoffwechs­el leiten einen körperlich­en Zustand ein, der innere Einkehr ermöglicht“, sagt Leonard Wilhelmi.

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