Den Hitlerputsch von 1923 beleuchtet
Verschwörung, Hochverrat, Justiz, Willkür: Dr. Wolfgang Niess stellte in der Stadtbücherei sein neues Buch „Der Hitlerputsch 1923“vor.
Erst eine Woche ist es im Buchhandel, aber Markus Söder hat es schon auf dem Tisch, Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter auch und die dortigen Fraktionsvorsitzenden ebenfalls: Dr. Wolfgang Niess’ neuestes Werk „Der Hitlerputsch 1923 – Die Geschichte eines Hochverrats“nämlich. Warum? „Gespannt bin ich vor allem auf die Reaktionen aus dem Freistaat Bayern“, verriet der Autor seinem Publikum in der Stadtbibliothek Heidenheim am Donnerstagabend.
Und diesem Publikum führte Niess zunächst sehr plastisch die Stimmung vor Augen, die an jenem denkwürdigen Tag, dem 8. November 1923, in München herrschte: Rappelvoll war der dortige Bürgerbräukeller, rund 2000 Menschen, darunter nicht nur die Spitzen von Behörden und Wirtschaft, sondern auch der bayerische Ministerpräsident und jede Menge Prominenz, und erwartet wurde nichts weniger als eine zukunftsweisende Rede des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Gustav Ritter von Kahr, vor kurzem zum bayerischen Generalstaatskommissar ernannt. Eine Rede, die Spuren hinterlassen sollte, die nichts weniger als „das Volk zur Nation“werden lassen sollte. Und alle wollten diesen großen Moment miterleben. Dazu kam es aber nicht. Denn kurz nach dem Beginn der Rede stürmte Adolf Hitler das Lokal, feuerte mit einer Pistole in die Decke, verkündete, das Gebäude sei von SA umstellt und die „nationale Revolution“sei ausgebrochen.
Fast mitten im Geschehen
Als säße man direkt mitten im Geschehen, so anschaulich gelang Niess die Wiedergabe des historischen Ereignisses. Aber nicht nur das: Ebenfalls anschaulich und nachvollziehbar erläuterte Niess auch die Ereignisse danach. Dass beispielsweise Rupprecht, der letzte bayerische Kronprinz, von Hitler nach dem Putschversuch zu Rate gezogen wurde, dessen Ratschlag, Hitler müsse sich halt entschuldigen, nicht mehr umgesetzt werden konnte, weil es da bereits Tote an der Feldherrnhalle gegeben hatte. Und dass der Prozess gegen Hitler vom Geist der Republikfeindlichkeit durchtränkt war, was erklärt, dass gegen ihn wegen Hochverrats gerade mal die Mindeststrafe von fünf Jahren Festungshaft verhängt wurde und die Abschiebung, die diesem Urteil hätte folgen müssen, nicht angeordnet wurde. Niess: „Das war nicht Justiz, das war Willkür.“Und die mochte auch die Ursache dafür sein, dass der bereits 1924 geforderte Untersuchungsausschuss erst 1927 seine Arbeit aufnehmen konnte.
Demokratie gestärkt
Niess beleuchtete aber auch die Zeit vor dem Putsch und die Geschehnisse, die dorthin geführt hatten. So ist er überzeugt davon, dass Hitler als „unbeschriebenes Blatt“nach München kam und nach und nach sowohl er als auch sein Umfeld bemerkten, dass er eine außergewöhnliche Sensibilität für das mitbrachte, was die Menschen hören wollten – und dies auch mit enormer Wirkung auszusprechen wusste. Und dass exakt dies von national orientierten Münchenern genutzt wurde, um ihre Interessen durchzusetzen. Jenen Bürgern mit Einfluss, nicht jenen an den extremen Rändern, sondern der bürgerlichen Mitte. „Das sollte uns auch heute zu denken geben“, so Niess, „auch wenn es immer heißt, die Gefahren lauern extrem links oder rechts.“
Und Niess ist auch davon überzeugt, dass, hätte Hitler diesen Putsch später und weniger dilettantisch durchgeführt, dieser durchaus Erfolg gehabt hätte. So aber hat er ironischerweise dazu beigetragen, die Demokratie zu stärken – zumindest für den Moment. „1923 war ein schreckliches Jahr: Hyperinflation, wirtschaftliche Not, Ruhr-besetzung. Und trotzdem hat die junge Demokratie das überlebt.“Ob das heute noch der Fall wäre, daran könne durchaus gezweifelt werden.
Manche Fragen bleiben offen
Ein reger Austausch entwickelte sich nach der Lesung zwischen den rund 20 Zuhörern und dem Autor, der mit durchdachten und fundierten Aussagen bereitwillig alle Fragen beantwortete. Freilich warf er auch Fragen auf: Was wollte Bayern eigentlich 1923 erreichen? Was war das Ziel des „weißblauen Wolkenkuckucksheims“? Ein selbstständiges Bayern? Die Monarchie? Den Marsch auf Berlin? Und das blieb naturgemäß unbeantwortet. Vielleicht kommen die Antworten ja noch – wenn die Herren Söder, Reiter & Co. lesen, was auf den Tisch kommt.