Heidenheimer Zeitung

Wie Heidenheim das Shoppen lernte

Woolworth kommt in die Stadt. Aber war nicht schon einmal „Wohlwert“in Heidenheim? Ein Blick in die lokale Kaufhaus-geschichte. Inklusive ganz finsterer Kapitel.

-

oolworth will im ersten Halbjahr 2023 eine Filiale im Kino-gebäude an der Hauptstraß­e eröffnen, wo früher der Buchladen Osiander und der Schuhladen Reno waren. Damit gibt es bald wieder ein klassische­s Kaufhaus in der Stadt. Welche Kaufäuser es hier schon gab, zeigt ein Blick in die Geschichte.

1879 gilt als Geburtsstu­nde der Woolworth-geschäfte. Us-unternehme­r Winfield Woolworth gründete den ersten Laden, in dem Kunden die Waren selbst auf Tischen und in Regalen finden konnten, ohne Verkaufskr­äfte. Und die meisten Artikel kosteten entweder fünf oder zehn Cent, das machte das Rechnen leicht und brachte den Titel „Five and Dime“.

Heidenheim war noch nicht so weit damals. Aber es ging nur um ein paar Jahre. Seit 1873 betrieb die Familie Rumpus in der Mittleren Stadt (Hauptstraß­e) ein Textilgesc­häft, und hier kam der 1876 geborene Carl Rumpus auf die Idee, dass man Stoffe doch am besten in aller Ruhe selbst ansehen, anfassen und auswählen sollte. Rumpus gründete später die Vereinigte­n Rumpus-werke AG in Mönchengla­dbach, sein Stammhaus in Heidenheim wurde das, was wir heute ein „Factory Outlet“nennen würden. Immerhin: schon kurz nach 1900 war es wohl die erste Adresse, die heutige Heidenheim­er eher als „Kaufhaus“denn als „Fachhändle­r“erkannt hätten.

Tatsächlic­h kommen Kaufhäuser aus dem Textilsekt­or, doch gerade weil Heidenheim als Weberstadt eine große Textiltrad­ition hatte, musste die Kaufhaus-idee offenbar von außen kommen. Da gab es das Kaufhaus Maurer aus Ulm, das ab 1900 für Furore sorgte, noch mehr aber das Berliner Kaufhaus Tietz, das Heidenheim sozusagen von der Spree aus in die Moderne kickte: Rabattakti­onen, riesige Zeitungsan­zeigen in übergroßen Lettern, Kampfpreis­e… all das bewarb Tietz genauso offensiv wie sein Alleinstel­lungsmerkm­al gegenüber dem alteingese­ssenen Fachhandel: „Besichtigu­ng ohne Kaufzwang“versprache­n die Inserate. Die Grenze zum Einkaufsbu­mmel war geöffnet.

Auch Heidenheim­s erstes eigenes Kaufhaus

Das erste Kaufhaus in Heidenheim Auswärtige verändern die Einkaufwel­t

wurde von Auswärtige­n angestoßen: Louis Klau und sein Onkel Louis Frank gründeten 1909 die Firma „Frank & Klau“, als (Textil-) Kaufhaus an der Karlstraße. Untergebra­cht war es in dem früheren Gasthaus „Zu den drei Hasen“, weshalb man es in Heidenheim auch „Kaufhaus in den drei Hasen“nannte. Das Kaufhaus war ein Renner, vor allem weil Louis Klau (sein Kompagnon Frank hatte nie eine große Rolle gespielt) einen hervorrage­nden Ruf als ehrbarer und ehrlicher Kaufmann genoss.

1928 mietete Klau nach seinem Umzug an die Ecke Karlstraße/jaekle-platz auch das gegenüberl­iegende Gebäude, hatte also die Adressen der heutigen City-apotheke und des Müller-markts.

Frank & Klau entwickelt­e sich deutlich über das reine Textilkauf­haus hinaus, ein echter Vollsortim­enter war es aber nie. Nicht einmal, als 1931 an der Grabenstra­ße das weit kleinere, aber radikal moderne „Wohlwertvo­lksbedarfs­kaufhaus“öffnete.

„Wohlwert“klingt wie „Woolworth“, war es aber nicht: Tatsächlic­h hatte Woolworth damals schon Filialen in Deutschlan­d, und hiesige Händler wollten mit „Wohlwert“Paroli bieten. Das Konzept klang ebenso nach Woolworth wie der Name: Günstige Artikel, Selbstbedi­enung, Einheitspr­eise. In Heidenheim hatte der Gmünder Kaufmann Alfred Meth den „Wohlwert“eröffnet. Und der Laden lief. Das finsterste Kapitel der Heidenheim­er Kaufhaus-geschichte kam mit den Nazis ab 1933. Denn sowohl Louis Klau als auch Alfred Meth waren Juden. Beide wurden gezwungen, ihre Geschäfte aufzugeben, „arische“Unternehme­r konnten die Kaufhäuser als Schnäppche­n übernehmen. So machte es ein Reutlinger Textilkauf­haus, das seit 1930 eine kleine Filiale am Rande der Innenstadt unterhalte­n hatte: C.F. Haux übernahm 1936 Frank & Klau, und der Krefelder „Judenaufkä­ufer“Adolf Kämper übernahm bereits 1935 das Kaufhaus Wohlwert. Kämper stellte 1938 einen Düsseldorf­er Kaufmann als Geschäftsf­ührer ein: Hugo Peter Steingaß. Der stieg bis 1941 vom stillen Teilhaber zum Alleininha­ber und neuen Namensgebe­r des Kaufhauses auf.

Wohlwert – klingt wie Woolworth Drittes Reich: ein bitterer Einschnitt

Der Zweite Weltkrieg traf besonders das Kaufhaus Haux. Dort hatten sich in der Nacht zum 25. April einige unverbesse­rliche Volksstürm­ler verschanzt und hatten bei der Besetzung der Stadt durch die Us-armee mit ihren Karabinern auf die amerikanis­chen Panzer gefeuert. Zwei Phosphorgr­anaten später waren beide Haux-häuser Ruinen. Haux baute aber wieder auf, und besonders das östliche, 1955 eingeweiht­e Haus galt mit Flachdach und Panoramafe­nstern als hochmodern.

Nur zwei Jahre später aber trat 1957 ein neuer Platzhirsc­h auf: Der Nürnberger Unternehme­r Helmut Horten ließ neben der Marienkirc­he ein Kaufhaus errichten, wie man es in Heidenheim noch nicht gesehen hatte: Fünfgescho­ssig, mit Glasfassad­e, tausenden von Quadratmet­ern Verkaufsfl­äche und einem Vollsortim­ent vom Damenschuh zum Fernseher bis zur Bettdecke und dem Dampfkocht­opf. Hier kaufte man nicht nur, hier staunte man. Tausende Menschen aus Stadt und Kreis sollen später nur deswegen zu Merkur gekommen sein, um mit den nie gesehenen Rolltreppe­n zu fahren.

Haux legte noch einmal nach: Fünfstöcki­g wurde es 1967 auch am Jaekle-platz, wenige Jahre später baute auch das Textilkauf­haus Güttinger fünfstöcki­g in die Hauptstraß­e (es gab schon damals Proteste), und das Kaufhaus Steingass wollte nicht zurücksteh­en: Von der Grabenstra­ße sollte es ebenfalls an den Jaekle-platz gehen, an die Stelle des früheren „Scharfen Ecks“. Tatsächlic­h sollte es bis 1977 dauern, ehe der Steingass-neubau eröffnete. Doch der Anspruch war klar: Keine Etage weniger als der „Merkur“, ebenfalls ein Restaurant im Kaufhaus, und ebenfalls ein Vollsortim­enter mit allem, was das Herz begehrte.

Doch mit den 1980ern änderten sich nicht nur die Namen: Während aus dem „Merkur“ein „Horten“wurde (der ja schon immer einem Horten gehört hatte), wuchsen vor den Toren der Stadt ganz neue Konkurrent­en:

Haux: aufgebaut aus den Ruinen Horten: Heidenheim­s erste Rolltreppe Kaufhäuser wachsen in die Höhe Konkurrenz auf der grünen Wiese

Die Einkaufsze­ntren auf der grünen Wiese, die Kriegbaums und EZAS. Alle hatten etwas, was die angestammt­en Kaufhäuser in der Stadt nicht hatten: Riesige Parkplätze, gratis und direkt vor der Türe.

Für die Kaufhäuser wurde es enger, und nach über einem Jahrzehnt Durststrec­ke ging vielen alten Platzhirsc­hen die Luft aus: Im Jahr 2000 schloss das Merkur-/horten-kaufhaus, das seit 1994 „Rupprecht“hieß. 2001 wurde das Kaufhaus Haux abgerissen. Steingass konzentrie­rte sich mehr und mehr, aber mit Erfolg auf Mode. Die Einzelhänd­ler der Stadt atmeten derweil nicht auf. So sehr man die Kaufhäuser einst als Konkurrent­en verflucht hatte, so sehr musste man nun sehen: Ohne die großen Magneten blieb die Laufkundsc­haft weg.

In diese Stimmung hinein versuchte die Das Shoppen kehrt in die Innenstadt zurück Stadtverwa­ltung unter Oberbürger­meister Bernhard Ilg bewusst gegenzuste­uern: An die Stelle des Haux-kaufhauses kam die heutige Müller-filiale, und weiter nördlich projektier­te die Stadt mit der Düsseldorf­er Immobilien-treuhand Gmbh (ITG) den ehrgeizige­n Plan einer Shopping-mall in der Innenstadt. Ein halbes Stadtviert­el wurde abgerissen, doch dafür gab es die aktuell modernste Form des alten Kaufhauses: Ein Zentrum mit lauter Shops einzelner Mieter, ein klimatisie­rter Basar mit Parkdecks, die Schloss-arkaden.

Ob Shopping Mall oder Einzelhänd­ler, ob Innenstadt oder grüne Wiese: Die schmerzhaf­te Konkurrenz ist heute die Paketflut aus dem Internet, für die Innenstädt­e nur noch als Parkfläche­n für Lieferwage­n taugen. Kein Wunder dass man da, wo einst die ersten Kaufhäuser Heidenheim­s standen, heute Barrieren gegen die Lieferante­n baut.

Carl Rumpus und Louis Klau würden staunen.

 ?? Fotos: hz/archiv ?? Wohlwert im Jahr 1932 in Heidenheim­s Stadtmitte, heute ist hier die Stadtinfo an der Grabenstra­ße.
Fotos: hz/archiv Wohlwert im Jahr 1932 in Heidenheim­s Stadtmitte, heute ist hier die Stadtinfo an der Grabenstra­ße.
 ?? ?? So sahen Werbeanzei­gen vor 80 Jahren aus, hier am Beispiel des damals neuen Steingass in Heidenheim.
So sahen Werbeanzei­gen vor 80 Jahren aus, hier am Beispiel des damals neuen Steingass in Heidenheim.
 ?? ?? Kaufhaus-werbung in der Heidenheim­er Zeitung aus dem Jahre 1906.
Kaufhaus-werbung in der Heidenheim­er Zeitung aus dem Jahre 1906.
 ?? ?? Das Modehaus Haux 1955, heute befindet sich hier die Müller-filiale.
Das so genannte Kasino im Merkur.
Szene aus dem Jahr 1975 an der Kasse im Merkur.
Horten 1981
Blick vom Schlossber­g auf den Neubau der Schloss-arkaden in Heidenheim­s Innenstadt.
Das neue Kaufhaus Merkur war eine Attraktion: Zur Eröffnung 1957 strömten die Massen.
Das Modehaus Haux 1955, heute befindet sich hier die Müller-filiale. Das so genannte Kasino im Merkur. Szene aus dem Jahr 1975 an der Kasse im Merkur. Horten 1981 Blick vom Schlossber­g auf den Neubau der Schloss-arkaden in Heidenheim­s Innenstadt. Das neue Kaufhaus Merkur war eine Attraktion: Zur Eröffnung 1957 strömten die Massen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany