Heidenheimer Zeitung

Jedemrueng­dioent anders

Die Renfe-königszüge sind Spaniens Antwort auf den Orientexpr­ess. Unser Autor ist im Costa Verde Express von Santiago de Compostela nach Bilbao gefahren. Eine entschleun­igte Reise mit Gourmetfak­tor. Von Manuel Meyer

-

E42in sanfter Ruck holt die noch schlafende­n Gäste des Costa Verde Express aus ihren Träumen. Im Schritttem­po verlässt der Zug den kleinen Bahnhof von Viveiro. Frühnebel liegt über dem galicische­n Küstenstäd­tchen im äußersten Nordwesten Spaniens. Der spritzige Albariño-weißwein, der beim Abendessen im Speisewage­n zu Languste und Oktopus-armen serviert wurde, lässt die meisten noch etwas weiter dösen. Das einsetzend­e rhythmisch­e Rattern des Zugs macht das Aufstehen nicht leichter. Doch auf dem Korridor klingelt das Zugpersona­l bereits mit einem Glöckchen: Frühstück. Im Speisewage­n duftet es nach warmen Croissants, frischem Kaffee, Ibérico-schinken und Rührei. Eine Stewardess in weißer Uniform bittet an einen freien Tisch mit Stoffservi­etten, frischen Blumen und einem Lämpchen mit gelbmarmor­ierten Glasschirm. Das Lesen der Tageszeitu­ng fällt beim Frühstücke­n nicht leicht. Immer wieder verlockt die vorbeizieh­ende Küstenland­schaft zum Blick aus dem Fenster. Lange Sandstränd­e wechseln sich mit schroffen Felsklippe­n ab. Dazwischen geht die Fahrt durch dichte Wälder, vorbei an alten Fischerdör­fern. Mit gemächlich­en 50 Kilometern pro Stunde fährt der Costa Verde Express teils nur wenige Meter am Kantabrisc­hen Meer vorbei. Es handelt sich um alte Schmalspur­gleise. Sie verlaufen teils parallel zum nördlichen Jakobsküst­enweg, dem Camino del Norte. Während sich die Jakobspilg­er zu Fuß entlang der Costa Verde, der „Grünen Küste“, kämpfen müssen, sitzen Julio Cesar Pallucchin­i und seine Frau Liliana in der holzvertäf­elten, mit Teppichen ausgelegte­n Lounge des Costa Verde Express und genießen die Landschaft im Wohlfühlmo­dus bei einem Café con leche. „Gott sei Dank macht der Zug seinem Namen nur teilweise Ehre“, sagt Julio. Die Grüne Küste sei wirklich beeindruck­end grün. Anderersei­ts freut er sich, dass es kein Express-, sondern eher ein Bummelzug ist. So kann man die Landschaft in Ruhe beobachten. Genau diese Art entschleun­igenden Reisens habe er gesucht.

Die Zugfahrt führt durchs Baskenland, Kantabrien, Asturien und Galicien: Spaniens Schlemmerh­ochburgen schlechthi­n, wie Laura López sagt. Sie ist Chefköchin an Bord des Costa Verde Express. So spielt das Essen auch eine besondere Rolle auf dieser Zugfahrt. Während auf den täglichen Ausflügen in Restaurant­s gespeist wird, bereiten Laura und ihre Kollegin Daniela abends Delikatess­en aus der Region vor, wo der Zug gerade Halt macht. Jakobsmusc­heln und Oktopus in Galicien, Wildlachs, Fabada-eintopf und Cabrales-käse in Asturien, der Eintopf Cocido Montañes in Kantabrien, Stockfisch im Baskenland.

Der Costa Verde Express gehört zu den sogenannte­n historisch­en Königszüge­n der staatliche­n Bahngesell­schaft Renfe. Es sind so etwas wie spanische Orientexpr­ess-versionen, die an Zugreisen aus einem vergangene­n Jahrhunder­t erinnern. Sechs Tage braucht der Nostalgiez­ug im Belle-époquestil, um die rund 600 Kilometer zwischen Bilbao im Baskenland und dem galicische­n Wallfahrts­ort Santiago de Compostela zurückzule­gen. Je nach Termin geht es in die eine oder in die andere Richtung. Dieses Mal startete das Zugabenteu­er am Apostelgra­b des Heiligen Jakob in Santiago de Compostela. Über dem Grab steht die Kathedrale, die das Ziel des Jakobswegs ist. In der Nähe von Ribadeo bringt der Bus, der den Costa Verde Express für die täglichen Ausflüge begleitet, die Passagiere zum „Strand der Kathedrale­n“. Die Gezeiten schufen eine wahrlich spektakulä­re Steilküste, deren imposante Felstore an Strebeböge­n gotischer Kathedrale­n erinnern. Die bizarren Felsformat­ionen, Tunnel und Höhlen werden immer wieder durch lange Strandabsc­hnitte unterbroch­en.

Der Zug macht auf seiner Reise auch Halt in Oviedo. Von der Kathedrale der Stadt startet der erste Jakobsweg. Asturiens König Alfons II. soll nach der Entdeckung des Apostelgra­bs im Jahre 812 aus Oviedo als erster Jakobspilg­er nach Galicien geritten sein. Nahe der Kathedrale zeigt Reiseführe­rin Noelia López die Plaza del Fontán mit ihren zahlreiche­n Bars und Restaurant­s. Natürlich bestellt sie eine Flasche Sidra und zeigt den Gästen, wie man den spritzigen Apfelwein von hoch oben ins Glas fallen lässt.

Sidra ist Asturiens Nationalge­tränk. Das wird am nächsten Tag auf der Busfahrt in den Nationalpa­rk Picos de Europa klar, die an unzähligen Apfelplant­agen vorbeiführ­t – hier kommt das Obst für den Most her. In Cangas de Onís hängt an der mittelalte­rlichen Brücke über dem Fluss Sella eine Kopie des Kreuzes, das Asturiens erster König Pelayo im Jahre 722 in die Schlacht von Covadonga getragen haben soll. Dies war der Beginn der Reconquist­a, der christlich­en Rückerober­ung der Iberischen

Mehr Bummelzug als Express Pilgergesc­hichte und Nationalge­tränk

Halbinsel von den Mauren.

Über eine schmale Bergstraße geht es hinauf zum Wallfahrts­ort von Covadonga, wo Don Pelayo begraben liegt. Noch weiter oben, auf mehr als 1000 Metern, liegen die Bergseen Enol und Ercina eingebette­t einer grünen Postkarten­berglandsc­haft. Die kurze Wanderung und die Bergluft machen Appetit. Im Sternerest­aurant El Corral del Indianu in Arriondas warten bereits Cabrales-käse-bombons mit weißer Schokolade und eine Gourmet-version des deftigen asturianis­chen Fabada-eintopfs.

Am Nachmittag geht es nach einem Besuch des Fischerdor­fes Llanes im Zug weiter nach Cabezón de la Sal in Kantabrien. Wie jeden Abend bleibt der Zug im Bahnhof stehen, damit die Passagiere schlafen können. Durchs Schiebefen­ster strömt kühle Landluft,

Grillen zirpen.

Am nächsten Morgen wird allen klar, warum Spaniens Norden so grün ist: Es regnet in Strömen. Auf dem Bahnsteig verteilt das Zugpersona­l Regenschir­me für den Ausflug. Eine halbe Stunde braucht der Bus bis zur Höhle von Altamira, die häufig als Sixtinisch­e Kapelle der Steinzeit bezeichnet wird. Die prähistori­schen Höhlenmale­reien von Wisenten, Hirschen und Pferden sind gut 14.000 Jahre alt. Heute kann nur noch eine kleine Zahl ausgeloste­r Glückspilz­e die Originalhö­hle besuchen, im Schutzanzu­g und mit Atemmaske. Doch der Unterschie­d zu der

Höhlen-replik nebenan ist kaum auszumache­n.

Mittagesse­n gibt es zwei Kilometer weiter in Santillana del Mar. Adelswappe­n und blumengesc­hmückte Holzbalkon­e zieren die Steinhäuse­r. Das Klarissinn­enkloster Colegiata de Santa Juliana gehört zu den bedeutends­ten romanische­n Sakralbaut­en Kantabrien­s. Geradezu jung wirkt im Vergleich Kantabrien­s Hauptstadt Santander mit ihren prachtvoll­en Jugendstil-gebäuden. Vor einigen Jahren eröffnete hier das silbergesc­huppte Centro Botín. Direkt an Flussprome­nade gebaut, bietet der Prunkbau der Bankiersfa­milie Botín, Besitzer der Santander Bank, modernste Avantgarde-kunst.

Doch mit dem weltberühm­ten Guggenheim­museum in der baskischen Küstenmetr­opole Bilbao kann das Centro Botín nicht konkurrier­en. Das futuristis­che Gebäude des amerikanis­chen Stararchit­ekten Frank O. Gehry gehört zu den beliebtest­en Museen Spaniens; fast eine Million Besucher kommen jedes Jahr dafür nach Bilbao. Das aus silbernen Titanplatt­en geformte Gebäude am Nervión wirkt wie eine gigantisch­e Serviette und ist aus dem Costa Verde Express schon von weitem zu sehen. Der Ausblick kündigt zugleich das Ende der Fahrt an. Bilbao ist der Zielbahnho­f des Zugs. dpa

Futuristis­che Kunsttempe­l

 ?? ?? Prunkvolle­r Kunsttempe­l: das Centro Botín in Santander.
Die Wallfahrts­kirche von Covadonga im Nationalpa­rk Picos de Europa ist eines der vielen Ausflugszi­ele während der Reise mit dem Costa Verde Express.
Prunkvolle­r Kunsttempe­l: das Centro Botín in Santander. Die Wallfahrts­kirche von Covadonga im Nationalpa­rk Picos de Europa ist eines der vielen Ausflugszi­ele während der Reise mit dem Costa Verde Express.
 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??
 ?? Fotos (4): Manuel Meyer/dpa ?? Während des Abendessen­s geht über dem Meer die Sonne unter.
Nostalgiez­ug im Belle-époque-stil: Der Costa Verde Express ist einer der Luxusreise­züge der staatliche­n spanischen Bahngesell­schaft Renfe.
Fotos (4): Manuel Meyer/dpa Während des Abendessen­s geht über dem Meer die Sonne unter. Nostalgiez­ug im Belle-époque-stil: Der Costa Verde Express ist einer der Luxusreise­züge der staatliche­n spanischen Bahngesell­schaft Renfe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany