Der Hetzer aus dem Tv-studio
Der Moderator ist Russlands populärster Propagandist. In seiner Talkshow zelebriert er allnächtlich Wutanfälle und apokalyptische Drohungen gegen den Westen. Wer ist Putins lautester Schreihals?
Wladimir Solowjow steht breitbeinig im Studio, hält eine Hand hinter dem Rücken seiner schwarzen Phantasie-uniformjacke, beginnt mit mürrischem Gesicht und leiser Stimme. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sei ein ewig ungewaschener, unrasierter Drogenkonsument, der zu nichts tauge, als angereistem Pack die Hand zu schütteln. „Heute ist eine Italienerin gekommen.“Solowjow schweigt einen Moment.
Alle im Studio wissen, gleich wird es laut. Die Talkshow heißt „Abend mit Wladimir Solowjow“, jeden Abend zelebriert er hier seine Wutanfälle. Der Moderator gilt als Chefpropagandist des Staatsfernsehens, seine Show dauert über zweieinhalb Stunden und läuft sechsmal in der Woche. An drei Tagen in der Woche hält er seine Monologe zudem vier Stunden lang im staatlichen Radio Vesti FM. Die Tirade ist für ihn zur Lebensform geworden. Und Mitternacht für Mitternacht beginnen an den Stehtischen zwischen den rot gleißenden Dekorationen seiner Tv-show gespenstige Debatten darüber, welche Menschen, Städte oder Länder Russlands Waffen als Nächstes vernichten sollten.
Solowjow redet, sechs andere Männer lauschen geduldig. Der 59-Jährige ist ihr Patriarch, auch wenn die Gäste oft älter sind als er. Solowjow hat Putins Segen, ist mächtig und reich, verdiente noch zu Friedenszeiten nach Medienangaben etwa 67 Millionen Rubel (890 000 Euro) im Monat. Auch Solowjows Stammgäste dürften kaum umsonst vier Stunden am Tag für Anfahrt und Auftritt aufwenden. Parlamentarier, Politologen, ukrainische Exilpolitiker, Journalisten, einige arbeiten selbst als Moderatoren in seinem Tvkanal „Solowjow live“. Meist Männer, ab und zu taucht als Stargast auch Russia Today-chefredakteurin Margarita Simonjan auf. Sie bekommt sogar einen Stuhl.
Andersdenkende gibt es bei Solowjow nicht mehr. Aber eine eigene Hierarchie. Der Duma-abgeordnete Andrej Guruljow, Generalleutnant der Reserve, trägt zum Tag des Vaterlandsverteidigers fünf glänzende Ordensreihen auf seiner prallen blauen Paradeuniform. Man müsse konsequent sein, Kiew in Schutt und Asche legen, dröhnt er, um den Todfeind Selenskyj endlich zu vernichten. Solowjow hört ohne Widerworte zu, schwärmt danach von Guruljows Kühnheitsmedaille und dem Tapferkeitsorden, das seien die Auszeichnungen, die bei den Frontsoldaten wirklich zählten…
Guruljow und andere Favoriten treten auf, bevor Solowjow in einer Werbepause nach knapp eineinhalb Stunden seine komplette Mannschaft auswechselt. Zur zweiten Garnitur in der kürzeren Halbzeit danach gehört auch Konstantin Siwkow. Sein Titel lautet „Stellvertretender Präsident der Russischen Akademie der Raketen- und Artilleriewissenschaften“. Aber seine schwarze Kapitäns-uniform wirkt ohne Kühnheitsorden ärmlich. Dafür trumpft er mit Russlands künftiger Wunderrakete Satan 2 auf: Ihre atomaren Einschläge im San-andreasgraben und dem Yellowstone-supervulkan könnten die gesamte Us-pazifikregion zertrümmern. Solowjow wechselt wenig interessiert das Thema, „Amerika versenken“ist in seiner Runde ziemlich abgekaut.
Quereinsteiger beim Fernsehen
Heute zürnt er den Italienern. Russlands Militärärzte hätten ihnen in der Pandemie selbstlos geholfen, Solowjow Augen sind schmal wie Schießscharten geworden. Aber Italien kenne keine Dankbarkeit. „Grazie, Grazie!“, höhnt er schneidend, aber um italienischen Akzent bemüht. Bevor er vergangenen Februar auf die westlichen Sanktionslisten geriet, besaß er zwei Villen in Italien.
Solowjow, achtfacher Vater, gelernter Ingenieur und später Geschäftsmann, stieg 1998 quer in seine Moderatorenkarriere ein, beim liberalen Radiosender Solotoj Doschd. Jetzt lässt er fast nur noch Meinungsverschiedenheiten zu, bei denen er das letzte Wort hat. Ein Altjournalist möchte das erstarrte politische System erneuern, ein Ökonom unterstützt ihn. „Liberalitäten oder was?“, grinst jemand. „Liberal“ist jetzt ein Schimpfwort. Solowjow deckelt die Debatte:
Er habe eine Arbeitsgruppe ganz oben an der Staatsspitze erlebt, die atemberaubend gut funktioniere. Für ihn ist Putins Staat schon jetzt perfekt.
Laut einer staatlichen Meinungsumfrage wurde sein „Abend“als populärste Talkshow im Januar von „60 Minuten“, einem anderen ultrakriegerischen aber kürzeren Propagandaprogramm mit weniger Worten und mehr Bildern, verdrängt. Solowjow ist von einst 21 Uhr auf kurz vor Mitternacht gerutscht.
Es gibt Nächte, da wirkt Solowjow, der seit Februar 2022 sehr mager geworden ist, müde, resigniert und abwesend, während Gäste sich in siebenminütige Monologe versteigen. Ein abgekämpfter Prediger. Emotionen, auch Hass zu produzieren, ist immer wieder anstrengend. Und die Meinungsumfragen zeigen, dass seine titanischen Bemühungen, die Russen für den Heiligen Krieg gegen den Rest der Welt zu begeistern, wenig wirken. Solowjow würde diesen Krieg gerne hier, im Tv-studio gewinnen, aber er kann es nicht.
Dann rafft er sich wieder auf, tobt, fordert den längst überfälligen taktischen Atomschlag, will Berlin wegen der deutschen Panzerlieferungen an die Ukraine dem Erdboden gleich machen. Oder er rät den Russen, nicht zu sehr am völlig überbewerteten Leben zu hängen, sie kämen ja doch alle in den Himmel… Solowjow ist weiter Russlands beliebtester Journalist, vor allem bei den über 60-Jährigen. Sie schauen Fernsehen, und Solowjows Feindbilder bauen auf ihrem sowjetischen Weltbild mit einem von Feinden belagerten Vaterland auf.
Solowjow schimpft weiter auf die Italiener. Als Dank für Russlands selbstlose Covid-hilfe sei Giorgia Meloni, diese drogensüchtige, nuschelnde Null, in Kiew aufgetaucht, um der Ukraine Militärhilfe zu versprechen. „Na los, Dämchen, tu dir keinen Zwang an. In Russlands Erde sind viele italienische Soldaten begraben.“Solowjow Augen bohren sich in die Kamera, als wolle er Italiens Regierungschefin mit einem Blick töten.
Lange bevor seine Villa am Comer See im Rahmen der Sanktionen beschlagnahmt wurde, drehte er dort einen Film über Benito Mussolini, laut Solowjow „ein sehr mutiger Mann“, „kein Schuft, kein Mörder, kein Antisemit“, „ein glänzender Journalist.“Solowjow kurvte im roten Alfa Romeo durch seinen Film, präsentierte mit wichtiger Miene sein Italien. Jetzt darf er nicht mehr in die EU reisen.
Ein Mann der Bosheiten, der Widersprüche, der apokalyptischen Drohungen, manchmal scheint es, als glaube er selbst, Russlands Armee sei unbesiegbar, aber ihre Niederlage nur mit Atomwaffen abzuwenden. Dann spielen er und sein Chor wieder großes, zynisches Theater.
Im Ausland Angst sähen
Solowjow und die Mehrzahl seiner Kollegen sind zu klug, um den nuklearen Weltkrieg für gewinnbar zu halten. Aber sie spüren ihre Macht. Sie wollen nicht bloß ihren propagandistischen Auftrag ausführen, die Tv-nation bei der Stange zu halten, sie wollen im Ausland Angst säen, haben auch den Ehrgeiz, ihre Auftraggeber im Kreml mit möglichst radikalen Ideen zu beeinflussen. Und egal, ob die Einschaltquoten schwächeln oder die Front in der Ukraine wackelt, ihre Show macht ihnen immer wieder Riesenspaß. „Gerecht wäre es, wenn die ganze Welt russisch wird“, ruft ein Gast vergnügt in einer Sendung. „Aber Italien lassen wir als Staat übrig“, lacht ein anderer und das ganze Studio grinst über die Anspielung auf Solowjows lombardische Vorlieben.
Was nutzt es Giorgia Meloni, dass sie selbst als Mussolini-verharmloserin gilt – Solowjow zerreißt sie trotzdem in der Luft. „Du besuchst Faschisten, Selenskyj ist Faschisto. Nicht nur, dass er Idiot und impotento ist, er ist auch noch Faschisto“, schreit Solowjow, sein Zeigefinger malt eilig Worte des Hasses in die Luft. „Du mit deinem Mussolini hättest nachdenken sollen, bevor du dich neben den Bandera-schurken stellst und Gift auf das große russische Volk spuckst!“Solowjow wirft einen Blick in die Runde: „Hab ich mich klar auf Italienisch expressi?“, fragt er mit merklichem Grinsen. Und seine eigene Antwort übertönt das beifällige Gelächter der Gesellen: „Quasi perfetto!“
Manchmal scheint es, als glaube er selbst, Russlands Armee sei unbesiegbar.