Heidenheimer Zeitung

Auf dem falschen Gleis

In Griechenla­nd rasen zwei Züge ineinander, Dutzende Menschen sterben. Indizien deuten auf menschlich­es Versagen hin. Von Tsakis Tsafos und Alexia Angelopoul­ou, dpa

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In Mittelgrie­chenland ist ein Schnellzug auf der Fahrt von Athen nach Thessaloni­ki in der Nacht zum Mittwoch frontal mit einem Güterzug zusammenge­stoßen. Das Unglück forderte mindestens 36 Todesopfer, Dutzende Menschen wurden verletzt. Insgesamt sollen 354 Menschen von dem Unfall betroffen gewesen sein: 342 Passagiere und zehn Bahnmitarb­eiter im Personenzu­g sowie zwei Lokführer im Güterzug. Medien sprechen vom schlimmste­n Zugunglück in der Geschichte des Landes. Die griechisch­e Regierung ordnete eine dreitägige Staatstrau­er an.

Am Morgen nach dem Unglück wurde das ganze Ausmaß der Katastroph­e deutlich. Die Unfallstel­le glich einem Trümmerfel­d, die vorderen Waggons beider Züge wurden durch den Aufprall zusammenge­faltet und brannten aus. Bergungste­ams setzten schweres Gerät und Spürhunde ein. Die Identifizi­erung der Opfer sei wegen des Ausmaßes der Zerstörung oft nur mittels Dnaanalyse möglich, hieß es.

In die Trauer und das Entsetzen vor Ort mischten sich Fassungslo­sigkeit und drängende Fragen, die das ganze Land beschäftig­en: Wie konnte es passieren, dass der Intercity mit rund 350 Passagiere­n an Bord auf demselben Schienenst­rang wie der entgegenko­mmende Güterzug unterwegs war, obwohl die Strecke zweispurig ausgebaut ist?

Erste Mutmaßunge­n zur Unfallursa­che weisen auf menschlich­es Versagen hin. Medienberi­chten zufolge funktionie­rte das elektronis­che Leitsystem auf der Strecke nicht. Deshalb seien die jeweiligen Bahnhofsvo­rsteher für die korrekte Weiterleit­ung der Züge verantwort­lich gewesen. Der Personenzu­g könnte demnach schon vom Bahnhof der Stadt Larisa aus auf die falsche Spur geschickt worden sein, auf der ihm später der Güterzug entgegenka­m. Mangels Leitsystem war zunächst auch der genaue Unfallort nicht auszumache­n, berichtete der Sender ERT – die Rettungskr­äfte hätten die Stelle erst suchen müssen.

„Wir fahren wie in alten Zeiten von einem Streckente­il zum anderen per Funk. Die Stationsle­iter

geben uns grünes Licht“, sagte Kostas Genidounia­s, Präsident der Gewerkscha­ft der Lokführer. Warum das moderne Leitsystem nicht funktionie­rt, konnte er nicht sagen.

Der für den Abschnitt zuständige Eisenbahne­r sei festgenomm­en worden, hieß es. Andere Mitarbeite­r und Techniker würden befragt. Viele anknüpfend­e Bahnstreck­en wurden für den Zugverkehr vorerst gesperrt.

Der griechisch­e Ministerpr­äsident Kyriakos Mitsotakis sprach von einer „unaussprec­hlichen Tragödie“. Man werde alles tun, damit so etwas nie wieder passiere. Verkehrsmi­nister Kostas Karamanlis

versichert­e unter Tränen, es werde nichts unter den Teppich gekehrt.

Unter den Passagiere­n sollen viele junge Leute gewesen sein: Zahlreiche Studenten waren auf dem Weg zur Universitä­t in Thessaloni­ki. „Ich dachte, ich würde sterben“, sagte ein Passagier der Tageszeitu­ng „Kathimerin­i“. Der junge Mann saß nach eigenen Angaben in einem der hinteren Waggons. Er habe am Boden Schutz gesucht, Menschen hätten geschrien und geweint. Andere Fahrgäste berichtete­n, sie hätten die Fenster eingedrück­t und sich im Dunkeln aus umgekippte­n Waggons gerettet.

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Foto: Vaggelis Kousioras/ap/dpa Schon länger gab es auf der Strecke Athen-thessaloni­ki technische Probleme. Nun kam es zur Katastroph­e.

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