Atom-spaltung in Europa
Deutschland vollendet den Ausstieg. Doch viele andere Staaten setzen langfristig auf Kernkraft. Frankreich geht voran.
Deutschlands Atomausstieg hielt Emmanuel Macron immer schon für eine verrückte Idee, doch jetzt lässt der französische Präsident alle Rücksicht auf die Nachbarn fahren. Kurz bevor hierzulande am 15. April die Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke den Atomausstieg besiegeln wird, macht Macron lautstark in der Gegenrichtung Druck. Der Präsident ließ diese Woche die „Wiederbelebung der Atomkraft“als vorrangiges Vorhaben Frankreichs ankündigen: Mindestens 14 neue Kraftwerke könnten bis 2050 in Betrieb gehen. Noch im März soll das Parlament ein passendes Gesetz beschließen.
Mit seinem Atom-kurs ist Macron nicht allein. Eine Reihe von Eu-staaten setzt jetzt verstärkt auf die Nutzung von Kernenergie, neben Frankreich plant ein halbes Dutzend weiterer Länder den Neubau von Meilern – zur eigenen Energiesicherheit und um die Klimaschutzziele der EU zu erreichen. Für die Bundesregierung kommen die Initiativen zur Unzeit. Sie bestärken Ausstiegs-kritiker in ihren Zweifeln, ob die Abschaltung der letzten Kernkraftwerke ausgerechnet jetzt der richtige Weg ist. Rund 110 AKW in 13 Eu-staaten sind aktuell in Betrieb, sie liefern ein Viertel des Stroms in der Union. Doch über die Hälfte der französischen AKW stand 2022 wegen Pannen oder Wartungsarbeiten still. Der Neubau eines Reaktors in Flamanville dauert schon 15 Jahre und wird zum Milliardengrab.
Berlin weitgehend alleine
Das Beispiel Frankreich zeigt: Die Kernkraft-wende ist kein Selbstläufer. Atommeiler neu zu bauen ist teuer, dauert sehr lange und ist nicht ohne Risiko. Auch deshalb sinkt der Anteil der Atomenergie an der weltweiten Stromproduktion, 2022 fiel er erstmals wieder unter zehn Prozent. Umkehren wird sich der Trend nicht mehr, sagt die Internationale Energieagentur IEA: Die Welt hat zwar gewaltigen Strombedarf, doch wird der zunehmend durch erneuerbare Energien gedeckt und derzeit noch durch stärkeren Einsatz fossiler Kraftwerke. Dennoch sieht die Energieagentur gute Chancen für ein „Comeback der Kernenergie“als Brücke zu erneuerbaren Energien: Für den Klimaschutz sei der Bau neuer Akw in allen Ländern notwendig, die dazu bereit seien, sagt Ieadirektor Fatih Birol.
Entsprechend selbstbewusst macht in der EU das Atom-lager politisch Druck: Diese Woche versammelten sich in Stockholm am Rande eines Eu-treffens die Energieminister von elf Ländern zu einer „Pro-atom-koalition“– dabei waren Frankreich, Niederlande, Polen, Finnland, Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Ungarn, Rumänien, Slowenien, Slowakei. Schweden und Italien fehlten, zählen aber zur Nuklear-allianz. Deutschland hat dagegen mit seinem harten Ausstiegskurs nur wenige entschlossene Verbündete: Österreich, Luxemburg und Spanien.