Heidenheimer Zeitung

„Einen Königsweg gibt es nicht“

Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne) über den absehbaren Lehrermang­el im kommenden Schuljahr und was sie dagegen unternehme­n möchte.

- Von Axel Habermehl

Unterricht­sausfälle infolge der dünnen Personalde­cke an Schulen beschäftig­en Schüler und Eltern im Land seit Jahren. Hoffnung auf eine schnelle Besserung kann Baden-württember­gs Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne) im Interview nicht verbreiten. Schon jetzt sei absehbar, dass im Sommer die freien Stellen nicht durch fertig ausgebilde­te Referendar­e ersetzt werden können, sagt Schopper. Zu robusten Maßnahme will sie trotzdem nicht greifen. Sie setzt auf freiwillig­e Mehrarbeit, Pensionäre und Quereinste­iger.

Frau Schopper, die Lehrer-einstellun­g für kommendes Schuljahr läuft. Sie müssen im Sommer mindestens 5500 Stellen neu besetzen. Hat das Land dafür genügend Lehrer ausgebilde­t? Theresa Schopper:

Es gibt ein Delta. Wir rechnen mit gut 4100 Referendar­en, die zum Sommer fertig werden. Ehrlicherw­eise haben wir voraussich­tlich einen höheren Bedarf, weil wir aktuell im Schnitt pro Jahr rund 8000 Schwangere ersetzen müssen. Das liegt auch daran, dass Badenwürtt­emberg seit 2010 rund 50 000 junge Lehrkräfte eingestell­t hat, darunter sehr viele Frauen. Da stehen jetzt oft Familienph­asen an, viele nehmen Elternzeit und arbeiten in Teilzeit.

Wie wollen sie das Delta senken?

Wir müssen aus dem Bestand schöpfen. Wir werden sicher wieder an Pensionäre appelliere­n, weiter zu unterricht­en. Letztes Jahr haben wir auch Teilzeitle­hrkräfte gebeten, ihre Deputate zu erhöhen – mit Erfolg: Das haben 3000 Lehrkräfte gemacht. Und natürlich arbeiten wir mit unseren Vertretung­slehrern, die wir dieses Jahr erstmals auch über die Sommerferi­en beschäftig­en und bezahlen.

Wird die Unterricht­sversorgun­g kommendes Schuljahr besser oder schlechter?

Ich denke, sie wird sich im selben Korridor wie zuletzt bewegen.

Wieviel Unterricht genau ausfällt, wird nicht erhoben. Warum nicht?

Wir haben die bewährte Praxis, das zu bestimmten Stichtagen abzufragen, 2019 wegen Corona ausgesetzt, um die Schulen von Bürokratie zu entlasten. Wir werden diese Erhebungen jetzt wieder aufnehmen, eine vorläufige ist für den Herbst geplant.

Sie legen sonst großen Wert auf Steuerungs-daten. Wieso dokumentie­ren sie Ausfälle nicht genauer?

Solche Abfragen sind für Schulleite­r eine große Belastung. Wenn Sie ein Kollegium mit 80 Lehrkräfte­n haben und täglich eintragen müssen, dass Erdkunde ausfällt, weil Herr Müller Grippe hat, hält das von der Arbeit ab.

Lehrermang­el ist seit Jahren das Top-thema der Schulpolit­ik. Wieso kriegen Sie das nicht geregelt?

Angefangen hat es mit einer falschen

Lehrkräfte-bedarfspro­gnose der statistisc­hen Ämter bundesweit. Damals wurde bis 2013 eine demografis­che Rendite angekündig­t, die nie eintrat. Auf Basis dieser Zahlen wurden Lehrerstel­len gestrichen, und die Wissenscha­ftsministe­rin hätte fast eine Pädagogisc­he Hochschule zugemacht. Als klar wurde, dass die Zahlen nicht stimmen und immer mehr Flüchtling­e kamen, haben meine Vorgänger im Amt gegengeste­uert. Aber es dauert eben fünf bis sechs Jahre, eine Lehrkraft auszubilde­n.

Das Jahr 2013 – das ist jetzt zehn Jahre her.

Spätestens 2017 hat meine Vorgängeri­n Susanne Eisenmann im Grundschul­bereich richtig aufgestock­t und die Studienplä­tze verdoppelt. Diese Ernte fahren wir jetzt ein. Aber es sind eben oft junge Frauen, die dann Kinder bekommen und danach nicht Vollzeit arbeiten. An berufliche­n Schulen ist die Versorgung so gut wie nie zuvor. Das größte Problem liegt in der Sonderpäda­gogik, weshalb wir in Freiburg neue Studienplä­tze geschaffen haben.

Wo hakt es noch?

Wir werden immer Mangelregi­onen haben. Viele Bewerber wollen nicht nach Waldshut oder auf die Schwäbisch­e Alb. Sie nehmen lieber eine befristete Vertretung­sstelle in Freiburg oder Heidelberg als einen Beamtenpos­ten, für den sie umziehen müssten. Selbst der Raum Stuttgart ist inzwischen Mangelregi­on, wegen der hohen Mieten wahrschein­lich.

Bayern wirbt bundesweit um Lehrer. Was tun Sie, um Referendar­e zu halten?

Diese Pistolero-attitüde des bayerische­n Ministerpr­äsidenten schreckt mich nicht. Er hat Landtagswa­hlen im Herbst und muss jetzt mächtig trommeln. Wir haben schon heute einen Austausch an Personal mit Bayern. Das geht aber in beide Richtungen. Bei uns

Bayern zahlt jetzt Prämien. Warum sollten Referendar­e entlang der Grenze diese nicht mitnehmen?

Dass unsere Junglehrer, die nicht aus Heidelberg wegwollen, wegen 3000 Euro Umzugspräm­ie in Bayerns Mangelregi­onen ziehen, glaube ich kaum. Aber natürlich ist das ein unfreundli­cher Akt. Wir haben in der Kultusmini­sterkonfer­enz die Absprache, uns nicht gegenseiti­g Lehrkräfte abzuwerben.

Der Lehrermang­el ist bundesweit dramatisch. Im Januar haben Wissenscha­ftler der Kultusmini­sterkonfer­enz Empfehlung­en zur Linderung vorgelegt. Was setzen Sie um?

Wir setzen schon viel davon um und prüfen die Empfehlung­en genau. Ein Beispiel: Ich würde gern Lehrer zulassen, die nur ein Fach studiert haben. Bisher braucht man mindestens zwei. Aber für Kunst– echtes Mangelfach an Gymnasien – könnte uns das helfen, weil das Fach oft ohne Zweitfach studiert wird. Deshalb will ich das ändern.

Angefangen hat alles mit einer falschen Prognose für den Bedarf an Lehrkräfte­n.

Die Wissenscha­ftler empfehlen auch befristete Mehrarbeit für Lehrkräfte, Beschränku­ng der Teilzeit oder Versetzung­en in Mangelregi­onen. Greifen Sie zu solchen Maßnahmen?

Ich würde gern Lehrer zulassen, die nur ein Fach studiert haben. Bisher braucht man zwei. arbeiten welche, die in Bayern ausgebilde­t wurden und umgekehrt.

Wir haben Erfolge mit freiwillig­er Mehrarbeit, wofür ich sehr dankbar bin. Aber viele Lehrer sind am Anschlag. Wenn wir denen jetzt noch mehr aufbrummen, kommen wir in Teufels Küche. Wir versuchen eher, mehr Seitenund Direkteins­teiger zuzulassen. Wir schauen, welche Wechsler aus anderen Branchen wir integriere­n, welche ausländisc­hen Abschlüsse wir akzeptiere­n und wie wir berufsbegl­eitend qualifizie­ren können. Aber den einen Königsweg gibt es nicht.

Man könnte auch am Lehrer-bedarf schrauben: Was halten Sie von größeren Klassen?

Lassen Sie es mich anhand der Grundschul­en erläutern. Wir haben 800 Grundschul­en mit weniger als 100 Kindern. Die haben meist Klassen mit 18, 19 Kindern. Wenn ich den Klassentei­ler landesweit von 28 auf 29 Kinder erhöhe, ändert sich dort gar nichts. Aber die belastete Schule im sozialen Brennpunkt, wo die Klassen randvoll sind, die trifft es, und dort wäre es unverantwo­rtlich.

 ?? Foto: Christoph Schmidt/dpa ?? Theresa Schopper, Ministerin für Kultus, Jugend und Sport in Baden-württember­g, kämpft um mehr Lehrer.
Foto: Christoph Schmidt/dpa Theresa Schopper, Ministerin für Kultus, Jugend und Sport in Baden-württember­g, kämpft um mehr Lehrer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany