Heidenheimer Zeitung

Zwei Menschenbi­lder

- Dominik Guggemos zur Diskussion um gesunde Ernährung und ein Werbeverbo­t leitartike­l@swp.de

Wie ungesund darf unser Essen sein? Da gehen die Meinungen in der Ampel-koalition auseinande­r, was nicht nur der Streit um das von Ernährungs­minister Cem Özdemir (Grüne) geplante sehr weitreiche­nde Werbeverbo­t illustrier­t. Wenn wir ehrlich sind, führen Grüne und FDP diesen Streit stellvertr­etend für die Bevölkerun­g. Auch für die Ernährungs­politik gilt: Es treffen zwei Menschenbi­lder aufeinande­r. Da ist das Liberale, das in Entscheidu­ngen von Erwachsene­n so wenig wie möglich hineinrede­n möchte. Und da ist das Kümmernde, das sich fragt: Wie kann der Staat dabei helfen, dass die Bürger weniger ungesunde Lebensmitt­el essen?

Die FDP konnte sich in den Koalitions­verhandlun­gen die Zustimmung zum Werbeverbo­t abringen, weil es um Kinderschu­tz ging, um Reklame, die gezielt die Kleinen anspricht und sie zum Konsum von Chips und Süßigkeite­n verführt. Wer früh lernt, sich ungesund zu ernähren, bleibt lange Kunde der Junkfood-industrie. Die freiwillig­e Selbstkont­rolle der Werbewirts­chaft ist nahezu wirkungslo­s. Hier zu regulieren, lässt sich mit einem liberalen Menschenbi­ld vereinbare­n. Denn Kinder wissen nicht – können nicht wissen – was sie da tun.

Für die Grünen aber geht es in ihrer Ernährungs­politik um mehr als den Schutz von Kindern. Sie wollen auch Erwachsene vor sich selbst schützen, die zu viel Salz und Zucker essen. Obwohl sie sich eigentlich gesund ernähren möchten. Es ist nicht so, als wäre das komplett aus der Luft gegriffen. Mit der Volljährig­keit geht nicht automatisc­h Immunität gegen Manipulati­on einher. Wir wissen zum Beispiel aus der Wirtschaft­spsycholog­ie, dass Verbrauche­r nicht merken, dass sie in Wahrheit Vanillepud­ding essen, wenn er nur so braun und lecker aussieht wie ein Schokopudd­ing.

Özdemir will, durch die Hintertüre, dafür sorgen, dass die meisten verpackten Lebensmitt­el eine Höchstmeng­e an Salz und Zucker enthalten – also dass sie für alle gesünder werden. Er weiß, dass ein Produkt, für das man keine Werbung machen darf, große Probleme auf dem Markt bekommt und setzt auf einen Effekt, der in Großbritan­nien bemerkensw­erte

Özdemir regiert mit einer liberalen Partei, ohne diese hat er keine Mehrheit im Parlament.

Wirkung gezeigt hat. Als dort 2018 eine Zuckersteu­er auf Getränke erhoben wurde, musste sie kaum bezahlt werden – weil die Hersteller in der Übergangsf­rist bereits den Zuckerante­il unter die Höchstgren­ze gesenkt hatten. Bis heute trinken die Briten zuckerärme­re Limonade als der Rest Europas. Am Ende zeigte sich sogar die Industrie zufrieden.

Dass sich dieser Effekt auf das Werbeverbo­t übertragen lässt, ist aber unwahrsche­inlich. Weil Özdemir die Hintertüre benutzt, statt das passende Mittel – eine Steuer für Zucker und Salz – zu wählen. Er regiert mit einer liberalen Partei, ohne diese hat er keine Mehrheit im Parlament. Die FDP mag noch mitgehen, wenn es um den Schutz von Kindern geht. Doch solange die Liberalen mitregiere­n, werden Erwachsene auf sich selbst achtgeben und im Supermarkt gezielt auch nach gesunden Produkten suchen müssen, wenn sie darauf Wert legen.

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