Zwei Menschenbilder
Wie ungesund darf unser Essen sein? Da gehen die Meinungen in der Ampel-koalition auseinander, was nicht nur der Streit um das von Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) geplante sehr weitreichende Werbeverbot illustriert. Wenn wir ehrlich sind, führen Grüne und FDP diesen Streit stellvertretend für die Bevölkerung. Auch für die Ernährungspolitik gilt: Es treffen zwei Menschenbilder aufeinander. Da ist das Liberale, das in Entscheidungen von Erwachsenen so wenig wie möglich hineinreden möchte. Und da ist das Kümmernde, das sich fragt: Wie kann der Staat dabei helfen, dass die Bürger weniger ungesunde Lebensmittel essen?
Die FDP konnte sich in den Koalitionsverhandlungen die Zustimmung zum Werbeverbot abringen, weil es um Kinderschutz ging, um Reklame, die gezielt die Kleinen anspricht und sie zum Konsum von Chips und Süßigkeiten verführt. Wer früh lernt, sich ungesund zu ernähren, bleibt lange Kunde der Junkfood-industrie. Die freiwillige Selbstkontrolle der Werbewirtschaft ist nahezu wirkungslos. Hier zu regulieren, lässt sich mit einem liberalen Menschenbild vereinbaren. Denn Kinder wissen nicht – können nicht wissen – was sie da tun.
Für die Grünen aber geht es in ihrer Ernährungspolitik um mehr als den Schutz von Kindern. Sie wollen auch Erwachsene vor sich selbst schützen, die zu viel Salz und Zucker essen. Obwohl sie sich eigentlich gesund ernähren möchten. Es ist nicht so, als wäre das komplett aus der Luft gegriffen. Mit der Volljährigkeit geht nicht automatisch Immunität gegen Manipulation einher. Wir wissen zum Beispiel aus der Wirtschaftspsychologie, dass Verbraucher nicht merken, dass sie in Wahrheit Vanillepudding essen, wenn er nur so braun und lecker aussieht wie ein Schokopudding.
Özdemir will, durch die Hintertüre, dafür sorgen, dass die meisten verpackten Lebensmittel eine Höchstmenge an Salz und Zucker enthalten – also dass sie für alle gesünder werden. Er weiß, dass ein Produkt, für das man keine Werbung machen darf, große Probleme auf dem Markt bekommt und setzt auf einen Effekt, der in Großbritannien bemerkenswerte
Özdemir regiert mit einer liberalen Partei, ohne diese hat er keine Mehrheit im Parlament.
Wirkung gezeigt hat. Als dort 2018 eine Zuckersteuer auf Getränke erhoben wurde, musste sie kaum bezahlt werden – weil die Hersteller in der Übergangsfrist bereits den Zuckeranteil unter die Höchstgrenze gesenkt hatten. Bis heute trinken die Briten zuckerärmere Limonade als der Rest Europas. Am Ende zeigte sich sogar die Industrie zufrieden.
Dass sich dieser Effekt auf das Werbeverbot übertragen lässt, ist aber unwahrscheinlich. Weil Özdemir die Hintertüre benutzt, statt das passende Mittel – eine Steuer für Zucker und Salz – zu wählen. Er regiert mit einer liberalen Partei, ohne diese hat er keine Mehrheit im Parlament. Die FDP mag noch mitgehen, wenn es um den Schutz von Kindern geht. Doch solange die Liberalen mitregieren, werden Erwachsene auf sich selbst achtgeben und im Supermarkt gezielt auch nach gesunden Produkten suchen müssen, wenn sie darauf Wert legen.