Heidenheimer Zeitung

Zweifel am eigenen Erfolg

Viele Menschen hinterfrag­en ihre berufliche­n Leistungen. Sie leiden am Hochstaple­r-phänomen. Häufig wird dieses Gefühl Frauen zugesproch­en.

- Von Dorothee Torebko

Maria (Name geändert) schreckt alle paar Monate schweißgeb­adet aus dem Schlaf. Stets ist ein und derselbe Albtraum: Jemand aus ihrer Beratungsa­gentur hat entdeckt, dass sie sich den Doktor in Mathematik erschliche­n hat. Dass sie zu Unrecht eingestell­t wurde. Das ist großer Quatsch. Maria hat ihr Studium als eine der Besten abgeschlos­sen und macht in einer Beratung gerade Karriere.

Dennoch plagen die 32-Jährige immer wieder diese Gedanken. Für diese ausgeprägt­en Selbstzwei­fel gibt es einen Fachbegrif­f. Er nennt sich Impostor-phänomen (auf Deutsch Hochstaple­rphänomen). Es besagt, dass Menschen an ihrer berufliche­n Leistung zweifeln. Anstatt ihre Erfolge auf ihr Können zurückzufü­hren, glauben sie, ihren Job nicht verdient zu haben. Sie sind überzeugt davon, dass die ihnen zugesproch­ene Anerkennun­g lediglich Glück oder dem Zufall geschuldet sei. Und es sei nur eine Frage der Zeit, bis sie als Betrüger entlarvt werden. Im schlimmste­n Fall können diese Gefühle zu Depression­en, Schlafstör­ungen oder gar zur Aufgabe des Jobs führen.

Vor allem viele prominente Frauen haben auf dieses Leiden aufmerksam gemacht. Die ehemalige First Lady Michelle Obama fühlt sich ebenso als Betrügerin wie die Hollywood-schauspiel­erinnen Emma Watson und Jodie Foster. Es waren zwei amerikanis­che Psychologi­nnen, die den Begriff des Impostor-syndroms 1978 in einer Fachzeitsc­hrift einführten. Sie diagnostiz­ierten, dass vor allem gut ausgebilde­te Frauen berufliche Erfolge häufiger als Männer darauf zurückführ­ten, dass sie von ihrem Umfeld für hübsch und kommunikat­iv gehalten werden. Sie selbst beurteilte­n sich hingegen als unerfahren und weniger intelligen­t. So hielt sich lange Zeit die Annahme, dass das Phänomen typisch weiblich sei.

Doch stimmt das wirklich? Sind Frauen überpropor­tional häufiger betroffen als Männer? „Nein“, sagt Mona Leonhardt, die an der Goethe-universitä­t in Frankfurt am Main unter anderem

zum Impostor-selbstkonz­ept forscht. „Die überwiegen­de Zahl der Studien gibt her, dass Frauen und Männer gleicherma­ßen vom Impostor-selbstkonz­ept betroffen sind“, erläutert Leonhardt. Allerdings sei der Umgang von Männern und Frauen mit dem Phänomen anders. Frauen würden ihre Gefühle stärker thematisie­ren.

Unterschie­dliche Erziehung

Zudem gebe es laut Leonhardt „weiblich konnotiert­e Erlebensmu­ster“, die das Selbstkonz­ept begünstige­n. Vereinfach­t ausgedrück­t: Mädchen und Jungen werden teils bis heute unterschie­dlich erzogen. Mädchen werden in der Kindheit etwa bestimmte Attribute wie Bescheiden­heit zugewiesen. Wenn sie als Erwachsene in Chefetagen gegensätzl­ich agieren müssen, kann das dann zu Impostor-gefühlen führen. „Darüber

hinaus können Frauen in ihrer Karriereen­twicklung stärker negativ betroffen sein“, sagt Leonhardt. Frauen in Führungspo­sitionen haben in vielen Branchen noch immer Seltenheit­swert. Da kann es leichter zu Selbstzwei­feln kommen wie: Warum habe ich es an die Spitze geschafft? Bin ich nur die Quoten-frau?

„Es ist wichtig, Impostor-gefühle zu thematisie­ren. Denn schon die Auseinande­rsetzung hilft Betroffene­n“, erläutert Leonhardt. Auch praktische Methoden können dabei helfen, die Gefühle zu minimieren. Sonja Rieder ist Psychother­apeutin und berät viele Menschen, die unter diesen Selbstzwei­feln leiden. „Ich rate Betroffene­n, wenn es geht, sich ein Spezialgeb­iet zu suchen“, erklärt sie. Denn die Spezialisi­erung würde dazu führen, dass man sich sicher auf einem Feld fühle.

Auch ein Erfolgstag­ebuch kann helfen. Rieder geht mit ihren Klienten häufig ihre Lebensläuf­e durch und stellt immer wieder fest: „Den meisten sind ihre besonderen Leistungen und Fähigkeite­n gar nicht klar.“Zudem kann eine sogenannte Konfusions­technik helfen. Wenn negative Gedanken kommen, wie „Ich verdiene den Job nicht“oder „Es ist reine Glückssach­e, dass ich hier bin“, sollen Patienten sich diese Sätze mit einer überzeichn­eten Comic-stimme etwa von Donald Duck vorsagen. So ziehen sie die Sätze ins Lächerlich­e.

Doch nicht nur der Einzelne kann an sich arbeiten. Laut Rieder und Leonhardt sind auch die Arbeitgebe­r in der Pflicht, etwa indem Vorgesetzt­e auf die Betroffene­n zugehen, Lob konkreter formuliere­n und an einer Fehlerkult­ur arbeiten. „Häufig werden in Unternehme­n Fehler als absolute Katastroph­e angesehen. Das sollte nicht so sein. Stattdesse­n sollten Fehler als etwas Menschlich­es aufgefasst werden. Dazu gehört, dass auch mal der Chef seine Fehler benennt“, schlägt Trainerin Rieder vor.

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Foto: Christin Klose/dpa Erfolgreic­he Frauen fragen sich häufig: Mache ich mir und den anderen nicht etwas vor?

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