Zweifel am eigenen Erfolg
Viele Menschen hinterfragen ihre beruflichen Leistungen. Sie leiden am Hochstapler-phänomen. Häufig wird dieses Gefühl Frauen zugesprochen.
Maria (Name geändert) schreckt alle paar Monate schweißgebadet aus dem Schlaf. Stets ist ein und derselbe Albtraum: Jemand aus ihrer Beratungsagentur hat entdeckt, dass sie sich den Doktor in Mathematik erschlichen hat. Dass sie zu Unrecht eingestellt wurde. Das ist großer Quatsch. Maria hat ihr Studium als eine der Besten abgeschlossen und macht in einer Beratung gerade Karriere.
Dennoch plagen die 32-Jährige immer wieder diese Gedanken. Für diese ausgeprägten Selbstzweifel gibt es einen Fachbegriff. Er nennt sich Impostor-phänomen (auf Deutsch Hochstaplerphänomen). Es besagt, dass Menschen an ihrer beruflichen Leistung zweifeln. Anstatt ihre Erfolge auf ihr Können zurückzuführen, glauben sie, ihren Job nicht verdient zu haben. Sie sind überzeugt davon, dass die ihnen zugesprochene Anerkennung lediglich Glück oder dem Zufall geschuldet sei. Und es sei nur eine Frage der Zeit, bis sie als Betrüger entlarvt werden. Im schlimmsten Fall können diese Gefühle zu Depressionen, Schlafstörungen oder gar zur Aufgabe des Jobs führen.
Vor allem viele prominente Frauen haben auf dieses Leiden aufmerksam gemacht. Die ehemalige First Lady Michelle Obama fühlt sich ebenso als Betrügerin wie die Hollywood-schauspielerinnen Emma Watson und Jodie Foster. Es waren zwei amerikanische Psychologinnen, die den Begriff des Impostor-syndroms 1978 in einer Fachzeitschrift einführten. Sie diagnostizierten, dass vor allem gut ausgebildete Frauen berufliche Erfolge häufiger als Männer darauf zurückführten, dass sie von ihrem Umfeld für hübsch und kommunikativ gehalten werden. Sie selbst beurteilten sich hingegen als unerfahren und weniger intelligent. So hielt sich lange Zeit die Annahme, dass das Phänomen typisch weiblich sei.
Doch stimmt das wirklich? Sind Frauen überproportional häufiger betroffen als Männer? „Nein“, sagt Mona Leonhardt, die an der Goethe-universität in Frankfurt am Main unter anderem
zum Impostor-selbstkonzept forscht. „Die überwiegende Zahl der Studien gibt her, dass Frauen und Männer gleichermaßen vom Impostor-selbstkonzept betroffen sind“, erläutert Leonhardt. Allerdings sei der Umgang von Männern und Frauen mit dem Phänomen anders. Frauen würden ihre Gefühle stärker thematisieren.
Unterschiedliche Erziehung
Zudem gebe es laut Leonhardt „weiblich konnotierte Erlebensmuster“, die das Selbstkonzept begünstigen. Vereinfacht ausgedrückt: Mädchen und Jungen werden teils bis heute unterschiedlich erzogen. Mädchen werden in der Kindheit etwa bestimmte Attribute wie Bescheidenheit zugewiesen. Wenn sie als Erwachsene in Chefetagen gegensätzlich agieren müssen, kann das dann zu Impostor-gefühlen führen. „Darüber
hinaus können Frauen in ihrer Karriereentwicklung stärker negativ betroffen sein“, sagt Leonhardt. Frauen in Führungspositionen haben in vielen Branchen noch immer Seltenheitswert. Da kann es leichter zu Selbstzweifeln kommen wie: Warum habe ich es an die Spitze geschafft? Bin ich nur die Quoten-frau?
„Es ist wichtig, Impostor-gefühle zu thematisieren. Denn schon die Auseinandersetzung hilft Betroffenen“, erläutert Leonhardt. Auch praktische Methoden können dabei helfen, die Gefühle zu minimieren. Sonja Rieder ist Psychotherapeutin und berät viele Menschen, die unter diesen Selbstzweifeln leiden. „Ich rate Betroffenen, wenn es geht, sich ein Spezialgebiet zu suchen“, erklärt sie. Denn die Spezialisierung würde dazu führen, dass man sich sicher auf einem Feld fühle.
Auch ein Erfolgstagebuch kann helfen. Rieder geht mit ihren Klienten häufig ihre Lebensläufe durch und stellt immer wieder fest: „Den meisten sind ihre besonderen Leistungen und Fähigkeiten gar nicht klar.“Zudem kann eine sogenannte Konfusionstechnik helfen. Wenn negative Gedanken kommen, wie „Ich verdiene den Job nicht“oder „Es ist reine Glückssache, dass ich hier bin“, sollen Patienten sich diese Sätze mit einer überzeichneten Comic-stimme etwa von Donald Duck vorsagen. So ziehen sie die Sätze ins Lächerliche.
Doch nicht nur der Einzelne kann an sich arbeiten. Laut Rieder und Leonhardt sind auch die Arbeitgeber in der Pflicht, etwa indem Vorgesetzte auf die Betroffenen zugehen, Lob konkreter formulieren und an einer Fehlerkultur arbeiten. „Häufig werden in Unternehmen Fehler als absolute Katastrophe angesehen. Das sollte nicht so sein. Stattdessen sollten Fehler als etwas Menschliches aufgefasst werden. Dazu gehört, dass auch mal der Chef seine Fehler benennt“, schlägt Trainerin Rieder vor.