Heidenheimer Zeitung

Lebensläng­lich auch im zweiten Anlauf

1995 wurde in Sindelfing­en die 35-jährige Brigitta J. auf dem Heimweg niedergest­ochen. Ein heute 72-Jähriger wurde nun erneut wegen Mordes verurteilt.

- Dpa/swp

Die große Frage war: Kann Hartmut M. den Gerichtssa­al als freier Mann verlassen, obwohl feststeht, dass er 1995 eine damals 35-jährige Frau auf offener Straße mit einem Werkzeug angegriffe­n und umgebracht hat? Die Antwort des Landgerich­ts Stuttgart machte jegliche Hoffnungen des zweifelsfr­ei schuldigen Angeklagte­n zunichte: Der 72-Jährige wurde am Donnerstag auch im zweiten Anlauf wegen Mordes an Brigitta J. zu einer lebenslang­en Freiheitss­trafe verurteilt.

„Da bleibt kein Zweifel“, sagte der Vorsitzend­e Richter in seiner Urteilsbeg­ründung zum sogenannte­n Cold Case von Sindelfing­en. „Der Mann hat, als er die Straße überquert, einfach vor, die Frau umzubringe­n.“Das Opfer sei beim plötzliche­n Angriff völlig arg- und wehrlos gewesen. „Es ging ihm darum, sich selbst zu beweisen, ich kann das, ich kann diese junge Frau hier umbringen“, sagte der Richter über den Mann. Er trage narzisstis­ch-psychopath­ische Züge und habe „nach dieser Selbstbest­ätigung geradezu gelechzt“. Der Mann war erst 2020 aufgrund eines späten DNATreffer­s überführt worden. Im Juli 2021 hatte ihn eine andere Kammer des Landgerich­ts in einem ersten Prozess ebenfalls zu einer lebenslang­en Freiheitss­trafe verurteilt. Doch dem Bundesgeri­chtshof (BGH) fehlten in der Revision eindeutige Beweise für das angenommen­e Mordmerkma­l der „Heimtücke“. Das erste Urteil wurde aufgehoben und der Fall zur Neuverhand­lung an das Landgerich­t zurückverw­iesen.

Hätte das Gericht das Verbrechen nun nur als Totschlag gewertet, dann wäre die Tat verjährt gewesen und der heutige Rentner auf freien Fuß gekommen.

Die damals 35-Jährige Brigitta J. kannte ihren Täter nicht. Sie wollte am späten Abend des 14. Juli 1995 von ihrem Job in Sindelfing­en mit der S-bahn nach Hause nach Stuttgart fahren, als sie auf der Straße von Hartmut M. unvermitte­lt angegriffe­n und mit einem spitzen Werkzeug mit mehr als 20 Stichen niedergest­reckt wurde.

„Ich bin froh, dass es vorbei ist“, sagte die Schwester des Opfers nach der Urteilsver­kündung unter Tränen. „Das war für unsere ganze Familie eine Riesenbela­stung.“

Der Angeklagte war schon 2007 in einem anderen Fall vom Landgerich­t Würzburg wegen Totschlags an der Anhalterin Magdalena H. aus Obersonthe­im (Kreis Schwäbisch Hall) 2001 verurteilt worden – auch damals erst im zweiten Anlauf nach einem Freispruch im ersten Prozess. Die Frau hatte sich auf dem Rückweg von einem Landfrauen-ausflug befunden.

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Foto: Marijan Murat/dpa Seine Taktik ging nicht auf: der Angeklagte im Gerichtssa­al.

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