Heidenheimer Zeitung

Musikalisc­hes Fräuleinwu­nder

Zum 150. Geburtstag von Max Reger erinnert eine fasziniere­nde CD an seine Meistersch­ülerin Johanna Senfter.

- Burkhard Schäfer

„Fräulein Senfter besitzt ganz außerorden­tliche Begabung für Kompositio­n und hat demnach bei sehr großem Fleiße überrasche­nd gute Resultate in der Kompositio­n erzielt.“So schrieb es Max Reger seiner Meistersch­ülerin 1909 ins Abschlussz­eugnis. Schon ein Jahr zuvor hatte der berühmte Lehrer mit einem Brandbrief an Johanna Senfters Vater eindringli­ch dafür geworben, dass dessen jüngste Tochter seine Kompositio­nsklasse am Königliche­n Konservato­rium der Musik in Leipzig besuchen darf. Es sei „geradezu eine Pflicht der Notwendigk­eit (…), die Ausbildung Ihrer Fräulein Tochter ganz zu vollenden“, wobei er die Wörter „Pflicht“und „Notwendigk­eit“unterstric­h.

Aus dieser Lehrer-schülerinb­eziehung entwickelt­e sich eine Freundscha­ft zwischen den Familien Reger und Senfter, die bis zu Regers Tod im Jahr 1916 währte. Den Verlust ihres Idols hat die Komponisti­n nur schwer verwunden. In ihrem Nachruf schreibt sie: In inniger Dankbarkei­t und Verehrung werde Reger ihr „stets treu im Gedächtnis bleiben und das Schöne, Gute, das ich von ihm empfangen habe, wird jedenfalls in mir weiterwirk­en“.

Wie sehr es „weiterwirk­te“, lässt sich an Senfters Werkkatalo­g ablesen. Dieser umfasst 134 Kompositio­nen für nahezu alle Gattungen, darunter neun Sinfonien, nebst 27 Werken ohne Opuszahl. Den Schwerpunk­t ihres Oeuvres bildet, ähnlich wie bei Reger, die absolute Musik. Dazu passt, dass beide nie eine Oper schrieben.

Obschon Senfter (1879-1961) die Musikszene ihrer Geburtsund Heimatstad­t Oppenheim prägte und bis ins hohe Alter komponiert­e, geriet sie nach ihrem Tod rasch in Vergessenh­eit. Bis heute ist ihr Werk kaum erschlosse­n, auch diskografi­sch nicht. 1994 erschien bei Wergo ihre erste Platte, mit ausgewählt­er Klaviermus­ik (Pianistin: Monica Gutman). Dann herrschte ein Vierteljah­rhundert Schweigen.

2019 legte das Label Paladino nach: Werke für Violine und Klavier, gespielt von Friedemann und Alexia Eichhorn (Violine) und Paul Rivinius (Klavier). Zu Regers 150. Geburtstag bringen der Bratschist Oliver Glassl und der Pianist Oliver Triendl die Meistersch­ülerin erneut in Erinnerung.

Für das Label Hänssler haben sie deren Werke für Viola und Klavier auf zwei CDS eingespiel­t: zwei groß dimensioni­erte Bratschens­onaten, die zum Besten zählen, was das Genre zu bieten hat, ein „Duo“und ein „Veränderun­gen“titulierte­s Variations­werk sowie die „Fünf Stücke“für Viola und Klavier.

Hat Johanna Senfter Regers Stil kopiert? „Nein, sie hat seine Tonsprache zu ihrer ureigenen gemacht, was ein großer Unterschie­d ist“, erklärt Oliver Glassl. „Man spürt sofort die Eigenständ­igkeit ihrer Musik, die harmonisch manchmal sogar noch einen Schritt weitergeht als die ihres Lehrers.“Glassls Urteil könnte positiver kaum sein: „Ich finde die Komponisti­n extrem fasziniere­nd.“

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Foto: Schott Verlag Außerorden­tlich begabt: die Komponisti­n Johanna Senfter.

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