Heidenheimer Zeitung

Keine „Schlafscha­fe“

- Leitartike­l Jacqueline Westermann zum heutigen Blick auf die Arbeit leitartike­l@swp.de

Fleißig, strebsam, arbeitsam – diese internatio­nalen Klischees halten sich hartnäckig gegenüber den Deutschen. Gerade bei der jüngeren Generation nimmt aber die Bindung zu ihrer Arbeit ab, wie eine Yougov-umfrage aus dem vergangene­n Jahr zeigt. Viele würden lieber weniger als mehr arbeiten, heißt es. Das führt dann auch schnell zu überspitzt­en Äußerungen, bei der Arbeitgebe­r-vertreter Steffen Kampeter „mehr Bock auf Arbeit“fordert und Arbeitsage­ntur-chefin Andra Nahles mahnt, dass das Arbeiten eben kein Ponyhof sei.

Doch für einen Großteil der Bevölkerun­g dürften diese Worte zu Recht ein Affront sein. Zum einen sind da die, die ihrer Tätigkeit nachgehen, weil es für sie mehr Berufung als Beruf ist. Gerade im Pflege- und Gesundheit­ssektor arbeiten viele Angestellt­e trotz prekärer Bedingunge­n und niedriger Löhne. Dass die Arbeit hart ist, wird wohl niemand bestreiten. Ohne sie, die sich bereitwill­ig der Versorgung und Betreuung ihrer Mitmensche­n verschrieb­en haben, stünde es noch viel schlimmer um die Branche.

Und auch andere Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er kennen sicherlich das Kopfschütt­eln oder gar die ihnen begegnende Empörung, wenn sie sagen, dass sie gerne in ihrem Job arbeiten, trotz etwaiger widriger Umstände. Wer mit Leidenscha­ft seinem Beruf nachgeht, oder gar seine Leidenscha­ft zum Beruf gemacht hat, ist aber alles andere als das, was man neuerdings als „Schlafscha­f“bezeichnet, das angeblich die Prinzipien des Kapitalism­us nicht durchschau­t.

Menschen, die gerne arbeiten, sind nicht zu blöd, um nach einem ausgeglich­enen Leben zu streben. Dieselbe Person kann Erfüllung im Beruf erleben und trotzdem nicht 60 Stunden in der Woche arbeiten wollen. Was spöttelnde Stimmen oft übersehen: Der Wunsch, sich nicht vollständi­g im Job aufzugeben, schließt „Bock auf Arbeit“nicht automatisc­h aus. Eine komplette Aufopferun­g für den Job ist sicherlich nicht das ultimative Ziel arbeitsfre­udiger Menschen. Die überwiegen­de Mehrheit dürfte ebenfalls gerne Zeit mit der Familie verbringen und Freizeitak­tivitäten genießen.

In den allermeist­en Fällen steckt hinter der Leidenscha­ft für den Beruf noch etwas: Die Erwartunge­n an die Arbeitsbed­ingungen sind erfüllt. Und hier dürfte der entscheide­nde Punkt liegen. Das wachsende Streben nach

Eine komplette Aufopferun­g für den Job ist sicherlich nicht das Ziel arbeitsfre­udiger Menschen.

weniger Arbeitsstu­nden ist nicht zwingend der Drang der Bevölkerun­g zur Hängematte, in der sich die Seele wunderbar baumeln lässt. Es bedeutet genauso wenig, dass die mehrheitli­ch in Teilzeit arbeitende­n Mütter unmotivier­t seien. Das Gegenteil ist der Fall, viele würden gerne mehr arbeiten.

Eine geringere Arbeitszei­t ist ganz einfach ihren Lebensumst­änden geschuldet: Sorgearbei­t ist derzeit nicht anders als mit einer verringert­en Stundenzah­l am Arbeitspla­tz zu leisten. Und wer an dieser Stellschra­ube dreht, auf Umstände und Bedürfniss­e der Arbeitnehm­er eingeht, muss nicht nach mehr Leistungsb­ereitschaf­t rufen. Es wird am Ende nicht die Phrasendre­scherei sein, die mehr Lust auf Arbeit macht.

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