Macron setzt Rentenreform mit der Brechstange durch
Den Senat passiert die Rente ab 64 noch per Abstimmung. In der Nationalversammlung aber boxt der Präsident sie per Dekret durch. Die Opposition ist empört.
Nach wochenlangen Protesten und hitzigen Debatten hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Donnerstag zumindest dem legislativen Streit um seine umstrittene Rentenreform ein Ende gesetzt. Nachdem der Senat den Text zur schrittweisen Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 am Vormittag mit großer Mehrheit verabschiedet hatte, passierte er am Nachmittag auch die Nationalversammlung – mit der Brechstange.
Wenn allein zählen würde, was unter dem Strich herauskommt, könnte sich Macron zufrieden zurücklehnen. Doch dem ist nicht so. Weil er befürchten musste, dass die Rentenreform von der Nationalversammlung, wo seine Partei über keine absolute Mehrheit verfügt, am Ende abgelehnt würde, ließ er sie per Dekret durchboxen. Tatsächlich ermöglicht es der Verfassungsparagraf 49.3 der französischen Regierung, ein Gesetzesvorhaben auch ohne ein Votum der Volksvertreter durchzudrücken.
Unbestreitbar ist eine Rentenreform in Frankreich überfällig. In keinem Eu-mitgliedsstaat ist die Lebenserwartung höher und das Renteneintrittsalter niedriger als in Frankreich. Es kommt hinzu, dass die Franzosen die höchste Durchschnittsrente in der EU beziehen und Paris bereits heute 14 Prozent des Bruttosozialprodukts aufbieten muss, um das Alterssicherungssystem zu finanzieren. Ohne eine Erhöhung des Rentenalters oder eine Erhöhung der Beiträge wäre die derzeit noch annähernd ausgeglichene
Rentenkasse ab diesem Jahr in ein ständig wachsendes Defizit abgerutscht, welches sich bis 2030 auf 20 Milliarden Euro jährlich zu summieren drohte.
Gewerkschaften sowie die linken und rechtsextremen Oppositionsparteien liefen trotzdem Sturm gegen die Rente ab 64. An acht „Aktionstagen“gingen bis zu eineinhalb Millionen Menschen auf die Straße, während gleichzeitig befristete Streiks zu erheblichen Störungen im öffentlichen Verkehrswesen, im Schulbetrieb, bei der Stromproduktion oder bei der Müllabfuhr führten. Laut Umfragen lehnen mehr als zwei Drittel der Franzosen Macrons Rentenreform rundweg ab.
Eiserne Entschlossenheit
In den Augen seiner Landsleute hat der Präsident am Donnerstag allein seine eiserne Entschlossenheit demonstriert, die von den Kritikern als Verbohrtheit bezeichnet wird. Denn der Rückgriff auf den ominösen Paragrafen 49.3 mag zwar legal sein, gilt aber als ein Zeichen der Schwäche. Grund genug für die Opposition, umgehend einen Misstrauensantrag zu stellen. Durchaus denkbar, dass das Durchboxen der Rentenreform den erzwungenen Rücktritt von Regierungschefin Elisabeth Borne und ihrem Kabinett zur Folge haben könnte.
Auch den sich zuletzt abnehmenden Protesten droht die Anwendung des Paragrafen 49.3 neuen Auftrieb zu verleihen.