50 Jahre Tv-geplauder
1973 musste man den deutschen Zuschauern erstmal erklären, was eine Talkshow ist. Seitdem ist viel passiert – doch das Format hält sich.
Es war einmal im Dritten Programm des Westdeutschen Rundfunks: „Denken Sie nicht, dass eine Talkshow das Gegenteil einer Nachtshow ist; ,talk‘ kommt von ,to talk‘ – reden – das Ganze ist also eine Rederei.“Mit diesen Worten führte vor 50 Jahren, am 18. März 1973, der damals 46 Jahre alte österreichische Schauspieler Dietmar Schönherr („Raumpatrouille“) in die erste Ausgabe der Sendung „Je später der Abend . . .“ein.
Es war die erste Talkshow des deutschen Fernsehens, denn der sonntägliche „Internationale Frühschoppen“seit 1953 wurde eher als Diskussionsrunde bezeichnet. Fünf Jahrzehnte später scheint es keinen Tag mehr ohne Talkshow zu geben.
Vor allem in den 90ern verbrauchten Nachmittagsshows mit Moderatorinnen und Moderatoren wie Hans Meiser, Ilona Christen, Bärbel Schäfer oder Arabella Kiesbauer viel Sendezeit. Besonders im Fokus steht bis heute der Ard-polittalk am Sonntagabend, den – nach Sabine Christiansen und einem Intermezzo von Günther Jauch – seit sieben Jahren wieder Anne Will moderiert. Im Januar kündigte der NDR an, das Format auf Wills Wunsch Ende 2023 einzustellen und einen neuen Polittalk für den Sendeplatz zu planen.
Neben viel Wahlkampfrhetorik oder Werbung für neue Bücher, Musik, Serien oder Filme von Promis aller Art – gab es in fünf Jahrzehnten einige Talk-skandale. Ins kollektive Gedächtnis der Tv-nation gingen diverse Momente ein. 1974 zum Beispiel erwärmte sich bei „Je später der Abend“der scheue Filmstar Romy Schneider vor laufender Kamera für den Bankräuber Burkhard Driest: „Sie gefallen mir. Sie gefallen mir sehr.“
Zaubertinte und Rotwein
1982 spritzte Apo-vertreter Fritz Teufel in der Sendung „3 nach 9“mit einer Wasserpistole blaue Zaubertinte auf den damaligen Finanzminister Hans Matthöfer (SPD), der sich wiederum mit Rotwein revanchierte. 1985 ließ sich der 1991 gestorbene und heute wegen Vorwürfen des Kindesmissbrauchs höchst umstrittene Schauspieler Klaus Kinski in der „NDR Talkshow“verbal über Alida Gundlachs Allerwertesten aus. 1991 outete in der Rtl-krawallshow „Explosiv – Der heiße Stuhl“der Schwulenaktivist und Filmemacher Rosa von Praunheim die Fernsehlieblinge Alfred Biolek und Hape Kerkeling.
1992 verteidigte die damalige Familienministerin und spätere Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem „heißen Stuhl“von RTL ihre Meinung, dass die Gesellschaft
durch Gewalt im Fernsehen verrohe.
1996 war Hannelore Kohl im stets versöhnlichen Talkformat „Boulevard Bio“mit Alfred Biolek zu Gast. Sie fühlte sich offenbar so gut aufgehoben, dass sie ihrem Mann die Scheu vorm Talk in der ARD nahm. Im September 1996 – 14 Jahre nach seinem Amtsantritt – fand Kanzler Helmut Kohl erstmals den Weg in eine Tv-talkshow. Harte Fragen stellte Biolek keine, was ihm Kritik einbrachte, er sei zu unpolitisch geblieben. 1998 kettete sich beim Sat 1-„Talk im Turm“ein Student an den Stuhl von Erich Böhme und verlangte, dass statt über Prostitution über Massenarbeitslosigkeit diskutiert werden solle.
In den Jahren 2020 und 2021 war gefühlt in jedem Tv-talk Corona das Thema. Als Dauergast stach der Arzt und Spd-politiker und heutige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hervor. Heutzutage wird immer wieder die Einladungspolitik der Redaktionen hinterfragt. Wer darf wie oft zu Wort kommen im TV?
Auch satirische und selbstreflexive Gesprächssendungen schafften es in den letzten Jahrzehnten ins Programm. RTL, damals noch RTL plus, setzte in seinen Anfangsjahren auf die Show „Dall-as“, in der Talkmaster Karl Dall seine Gäste auf die Schippe nahm. Im Jahr 1997 moderierte der Künstler Christoph Schlingensief seinen anarchischen „Talk 2000“. 2012 brachte der frühere Sender Zdfkultur „Roche & Böhmermann“, eine Gesprächssendung mit altmodischer Ästhetik, anarchischer Ironie und Charlotte Roche („Feuchtgebiete“) und Jan Böhmermann als Moderationsduo.
Der RBB stellte Ende 2022 die Talkshow „Chez Krömer“ein. Nach einer eklatanten Ausgabe mit Comedian Faisal Kawusi sagte Talker Kurt Krömer, ihm sei klar gewesen, dass dies kein ewig laufendes Format sei. „Dass es am Ende dann doch 41 Folgen geworden sind, hat mich selbst überrascht. Mein Bedarf an Arschlöchern ist damit gedeckt.“