Menschen, Tiere, Perversionen
Das Kunstmuseum präsentiert ab morgen die Ausstellung „Fantastische Tierwelten“. Das ist bunt, fiktiv und konkret, bereitet Freude, thematisiert aber auch, was der Mensch dem Tier antut.
Das Huhn oder das Ei? Die alte Frage. In Heidenheim ist die Antwort eindeutig: Das Huhn ist zuerst da. Nämlich dann, wenn man die Eingangshalle des Kunstmuseums betritt. Die wird ab sofort dominiert von einem monumentalen Skelett, das saurierhafte drei Meter über dem Kopf des Besuchers aufragt und dort erst einmal den Zweifel sät, womöglich leichtgläubig zum Opfer von Reklame geworden sein. „Fantastische Tierwelten“versprechen seit Tagen die Plakate mit der siebeneutrigen Kuh. Doch nun hat es den Anschein, als habe sich das Haus in der Marienstraße über Nacht in ein naturhistorisches Museum verwandelt.
Aber der Schein trügt. Gleich mehrfach. Das fängt schon damit an, dass der Saurier kein Saurier ist, sondern eben ein Huhn. Ein Huhn war. Ein Masthuhn ursprünglich, elend verendet in einem Massenmastbetrieb, röntgengescannt und mittels 3-Ddruck monumental vergrößert. Geflügelexperten würden an den Knochen auch Deformationen feststellen.
Staunen und Spaß
Andreas Greiner ist der Künstler. Und sein Werk signalisiert bereits am Beginn der Ausstellung, dass hier in alle möglichen Richtungen gedacht werden kann, darf, soll. Am Beispiel des Huhns also nicht nur an museale Präsentationsformen oder Filme wie „Nachts im Museum“, sondern ebenso die Monstrosität und Perversion von Massentierhaltung.
Auch bei all dem, was hinter den nächsten Türen folgt, kommt man zwar mit Eindimensionalität vielleicht durch, aber nicht weiter. Die Bandbreite der mit Ästhetik nicht geizenden Schau erstreckt sich von Spaß über Staunen bis zum Erschrecken. Und das Kunstmuseum bleibt, allem anfänglichen Schein zum Trotz, was es ist: das Kunstmuseum. Und selbstverständlich hält es auch, was es verspricht. „Fantastische Tierwelten“. Vom 19. März bis zum 23. Juli. So lange dauert die Ausstellung.
Löwenmensch trifft Beuys
Als solche widmet sie sich schwerpunktmäßig einem speziellen Aspekt des künstlerisch interpretierten Mensch-tier-verhältnisses: dem des fiktiven Wesens. Dieses beschäftigte schon vor 40.000 Jahren hier um die Ecke die Höhlenbewohner des Lonetals, weshalb auch die Zeitlinie der Ausstellung beim Löwenmenschen beginnt und bis zur großformatigen und farbenfrohen, ja farbenfreudigen Malerei eines Oska Gutheil reicht, um den und dessen Arbeiten sich übrigens der Kunstmarkt unserer Tage geradezu reißt. Sowohl buchstäblich wie auch zeitlich betrachtet dazwischen finden sich dann unter anderem auch Beiträge von Joseph Beuys, Marc Chagall, HAP Grieshaber, Joan Miró oder Pablo Picasso.
Dabei gliedert sich die Ausstellung in vier Teilbereiche, von denen je zwei unten und oben im Haus präsentiert werden. Im Parterre finden sich einerseits frühe menschliche Zeugnisse der künstlerischen Auseinandersetzung mit der Tierwelt wie Repliken von Fundstücken aus der Vogelherdhöhle und andererseits Objekte, die Rückschlüsse zur Verbindung von Religion und Tier zulassen. Letztere stammen aus der Sammlung der Historischen Museen Heidenheims, mit denen zusammen das Kunstmuseum hier erstmals eine gemeinsame Ausstellung bestreitet.
Mischwesen und Ausbeutung
Oben im Hugo-rupf-saal wird der Blickwinkel dann zeitgenössisch und begegnet man nicht nur den faszinierenden Phantasiewesen wie der Fasankatze von Thomas Grünfeld oder Eckart Hahns Bild von Robin, einem brüllen
den, jedoch bewegungsunfähigen Kuscheltier mit Reißzähnen, das man offenbar auch als Allegorie der sogenannten sozialen Medien betrachten kann. Juliane Hundertmarks nicht selten lustige Mischwesen treiben in Öl auf Leinwand ihr Unwesen im Wald oder am Strand, während
Debora Sengl uns unter anderem eine politische Geschichte zum Thema Obdachlosigkeit erzählt, die als düstere Fabel in Wachs, Textil und Acryl mit Hunden als
Hauptdarstellern noch einmal eine ganz andere Wucht entwickelt.
Regelrecht erschüttern kann einen Tanja Fenders weinendes Schuppentier, das nackt inmitten von dem steht, was es zum meistgeschmuggelten Säugetier der Welt macht und ihm bei lebendigem Leib ausgerissen wird. Ein Hinweis nicht nur auf die grausame Ausbeutung des Tiers durch den Menschen, sondern auch darauf, dass sich nicht mehr halten lässt, dass sich der Mensch, nicht zuletzt zur Rechtfertigung seines oft tödlichen Terrors gegen andere Lebewesen, Moral, Vernunft, Intelligenz oder die Fähigkeit zu Empathie oder zu Empfindungen wie Leid ausschließlich selbst zubilligt, aber Tieren abspricht.
Die Besitzergreifung
Dass die Ausstellung, wie es Kunstmuseumschef Marco Hompes formuliert, „keine tierrechtliche Schau“ist, sondern bei allem, was zum Thema gesagt und gezeigt werden muss und sollte, vor allem mit „Freude an den
Werken“betrachtet werden will und kann, zeigen wiederum Arbeiten wie Ingrid Butscheks vor Humor schier berstendes „Benefizkonzert der verschwundenen Arten“auf der Galerie des Museums oder aber auch Corinna Schnitts Video „Once Upon a Time“, in dem, wie es scheint, die halbe tierische Besatzung der Arche nach und nach von einem New Yorker Appartement Besitz ergreift.