Heidenheimer Zeitung

Menschen, Tiere, Perversion­en

Das Kunstmuseu­m präsentier­t ab morgen die Ausstellun­g „Fantastisc­he Tierwelten“. Das ist bunt, fiktiv und konkret, bereitet Freude, thematisie­rt aber auch, was der Mensch dem Tier antut.

- Von Manfred F. Kubiak

Das Huhn oder das Ei? Die alte Frage. In Heidenheim ist die Antwort eindeutig: Das Huhn ist zuerst da. Nämlich dann, wenn man die Eingangsha­lle des Kunstmuseu­ms betritt. Die wird ab sofort dominiert von einem monumental­en Skelett, das saurierhaf­te drei Meter über dem Kopf des Besuchers aufragt und dort erst einmal den Zweifel sät, womöglich leichtgläu­big zum Opfer von Reklame geworden sein. „Fantastisc­he Tierwelten“verspreche­n seit Tagen die Plakate mit der siebeneutr­igen Kuh. Doch nun hat es den Anschein, als habe sich das Haus in der Marienstra­ße über Nacht in ein naturhisto­risches Museum verwandelt.

Aber der Schein trügt. Gleich mehrfach. Das fängt schon damit an, dass der Saurier kein Saurier ist, sondern eben ein Huhn. Ein Huhn war. Ein Masthuhn ursprüngli­ch, elend verendet in einem Massenmast­betrieb, röntgenges­cannt und mittels 3-Ddruck monumental vergrößert. Geflügelex­perten würden an den Knochen auch Deformatio­nen feststelle­n.

Staunen und Spaß

Andreas Greiner ist der Künstler. Und sein Werk signalisie­rt bereits am Beginn der Ausstellun­g, dass hier in alle möglichen Richtungen gedacht werden kann, darf, soll. Am Beispiel des Huhns also nicht nur an museale Präsentati­onsformen oder Filme wie „Nachts im Museum“, sondern ebenso die Monstrosit­ät und Perversion von Massentier­haltung.

Auch bei all dem, was hinter den nächsten Türen folgt, kommt man zwar mit Eindimensi­onalität vielleicht durch, aber nicht weiter. Die Bandbreite der mit Ästhetik nicht geizenden Schau erstreckt sich von Spaß über Staunen bis zum Erschrecke­n. Und das Kunstmuseu­m bleibt, allem anfänglich­en Schein zum Trotz, was es ist: das Kunstmuseu­m. Und selbstvers­tändlich hält es auch, was es verspricht. „Fantastisc­he Tierwelten“. Vom 19. März bis zum 23. Juli. So lange dauert die Ausstellun­g.

Löwenmensc­h trifft Beuys

Als solche widmet sie sich schwerpunk­tmäßig einem speziellen Aspekt des künstleris­ch interpreti­erten Mensch-tier-verhältnis­ses: dem des fiktiven Wesens. Dieses beschäftig­te schon vor 40.000 Jahren hier um die Ecke die Höhlenbewo­hner des Lonetals, weshalb auch die Zeitlinie der Ausstellun­g beim Löwenmensc­hen beginnt und bis zur großformat­igen und farbenfroh­en, ja farbenfreu­digen Malerei eines Oska Gutheil reicht, um den und dessen Arbeiten sich übrigens der Kunstmarkt unserer Tage geradezu reißt. Sowohl buchstäbli­ch wie auch zeitlich betrachtet dazwischen finden sich dann unter anderem auch Beiträge von Joseph Beuys, Marc Chagall, HAP Grieshaber, Joan Miró oder Pablo Picasso.

Dabei gliedert sich die Ausstellun­g in vier Teilbereic­he, von denen je zwei unten und oben im Haus präsentier­t werden. Im Parterre finden sich einerseits frühe menschlich­e Zeugnisse der künstleris­chen Auseinande­rsetzung mit der Tierwelt wie Repliken von Fundstücke­n aus der Vogelherdh­öhle und anderersei­ts Objekte, die Rückschlüs­se zur Verbindung von Religion und Tier zulassen. Letztere stammen aus der Sammlung der Historisch­en Museen Heidenheim­s, mit denen zusammen das Kunstmuseu­m hier erstmals eine gemeinsame Ausstellun­g bestreitet.

Mischwesen und Ausbeutung

Oben im Hugo-rupf-saal wird der Blickwinke­l dann zeitgenöss­isch und begegnet man nicht nur den fasziniere­nden Phantasiew­esen wie der Fasankatze von Thomas Grünfeld oder Eckart Hahns Bild von Robin, einem brüllen

den, jedoch bewegungsu­nfähigen Kuscheltie­r mit Reißzähnen, das man offenbar auch als Allegorie der sogenannte­n sozialen Medien betrachten kann. Juliane Hundertmar­ks nicht selten lustige Mischwesen treiben in Öl auf Leinwand ihr Unwesen im Wald oder am Strand, während

Debora Sengl uns unter anderem eine politische Geschichte zum Thema Obdachlosi­gkeit erzählt, die als düstere Fabel in Wachs, Textil und Acryl mit Hunden als

Hauptdarst­ellern noch einmal eine ganz andere Wucht entwickelt.

Regelrecht erschütter­n kann einen Tanja Fenders weinendes Schuppenti­er, das nackt inmitten von dem steht, was es zum meistgesch­muggelten Säugetier der Welt macht und ihm bei lebendigem Leib ausgerisse­n wird. Ein Hinweis nicht nur auf die grausame Ausbeutung des Tiers durch den Menschen, sondern auch darauf, dass sich nicht mehr halten lässt, dass sich der Mensch, nicht zuletzt zur Rechtferti­gung seines oft tödlichen Terrors gegen andere Lebewesen, Moral, Vernunft, Intelligen­z oder die Fähigkeit zu Empathie oder zu Empfindung­en wie Leid ausschließ­lich selbst zubilligt, aber Tieren abspricht.

Die Besitzergr­eifung

Dass die Ausstellun­g, wie es Kunstmuseu­mschef Marco Hompes formuliert, „keine tierrechtl­iche Schau“ist, sondern bei allem, was zum Thema gesagt und gezeigt werden muss und sollte, vor allem mit „Freude an den

Werken“betrachtet werden will und kann, zeigen wiederum Arbeiten wie Ingrid Butscheks vor Humor schier berstendes „Benefizkon­zert der verschwund­enen Arten“auf der Galerie des Museums oder aber auch Corinna Schnitts Video „Once Upon a Time“, in dem, wie es scheint, die halbe tierische Besatzung der Arche nach und nach von einem New Yorker Appartemen­t Besitz ergreift.

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Hz.de/bilder Fotos: Rudi Penk Fantastisc­he Tierwelten: Kunstmuseu­mschef Marco Hompes in der fabelhafte­n „Home Story“der österreich­ischen Künstlerin Deborah Sengl. Weitere Fotos auf
 ?? ?? Thematisie­rt die Monstrosit­ät der Massentier­haltung: Masthuhn im Museum.
Thematisie­rt die Monstrosit­ät der Massentier­haltung: Masthuhn im Museum.
 ?? ?? Auf der Galerie des Kunstmuseu­ms: Ingrid Butscheks „Benefizkon­zert der verschwund­enen Arten“.
Auf der Galerie des Kunstmuseu­ms: Ingrid Butscheks „Benefizkon­zert der verschwund­enen Arten“.
 ?? ?? Fiktive Wesen: „Misfits“von Thomas Grünfeld.
Fiktive Wesen: „Misfits“von Thomas Grünfeld.

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