Absage an die Demokratie?
Die Jubelfeiern in Deutschland nach dem Sieg von Präsident Recep Tayyip Erdogan sorgen weiter für Diskussionen.
Die Nachwirkungen der Präsidentenwahl in der Türkei sind auch in Deutschland spürbar. Fast alle Beobachter bestätigen zwar: Die Stichwahl ist sauber verlaufen. Zumindest, was die Wahlprozedur angeht. Aber fair war die Wahl nicht. Immerhin ist die Presse in der Türkei weitgehend in der Hand von Präsident Recep Tayyip Erdogan und Oppositionspolitiker sitzen im Gefängnis.
Auch deshalb seien die Wahlergebnisse der in Deutschland lebenden Türken von ihren Gesprächspartnern in Izmir sehr kritisch gesehen worden, erzählt Wahlbeobachterin Canan Bayram, Bundestagsabgeordnete der Grünen. Quasi als „Einmischung aus dem Ausland“. Cemile Giousouf von der Bundeszentrale für politische Bildung verweist darauf, dass von den 2,9 Millionen türkischstämmigen Mitbürgern in Deutschland ungefähr 1,5 Millionen wahlberechtigt für die Türkei sind. Die Hälfte hat tatsächlich gewählt. Folglich hätten nur 476 000 ihre Stimme Erdogan gegeben. Das heißt: „70 Prozent der Wahlberechtigten haben Erdogan nicht gewählt“.
Cem Özdemir (Grüne) aber ist über das Wahlverhalten vieler Türken in Deutschland empört. Er hält auch die Autokorsos in deutschen Städten für „eine nicht zu überhörende Absage an unsere pluralistische Demokratie“.
Gelassener Laschet
Da ist Ex-kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) gelassener. Der Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarates hält die Autokorsos für eine Art kulturelle Besonderheit. „Uns Deutschen ist das fremd. Selbst wenn ich Bundeskanzler geworden wäre, wären die Cdu-anhänger nicht mit Deutschlandfahnen durch Berlin gefahren.“Bei der Präsidentschaftswahl sei „nun ein Ergebnis da, das wir zu akzeptieren haben“.
Macit Karaahmetoglu, Bundestagsabgeordneter der SPD, findet es kritikwürdig, wenn Menschen hierzulande jemanden wählen, der in der Türkei „die Menschen gegeneinander aufhetzt“. Karaahmetoglu sieht als Hauptgrund Diskriminierung. „Eu-bürger können bei uns nach sechs Monaten Aufenthalt wählen, türkische Mitbürger oft nach 20 oder 30 Jahren nicht.“
Dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Erdogan zum Wahlsieg gratuliert und ihn nach Deutschland eingeladen hat, begrüßen sowohl Karaahmetoglu als auch Armin Laschet. Das „erste, ganz konkrete Thema“sei die Mitgliedschaft Schwedens in der Nato, die bislang von der Türkei blockiert werde, sagt Laschet. Und nicht zuletzt sei Erdogans Rolle die des Vermittlers zwischen Russland und der Ukraine. „Wenn man sieht, dass sowohl Selenskyi als auch Putin Erdogan gratuliert haben, dann weiß ich nicht, für welches Staatsoberhaupt das sonst noch gelten würde.“Die Türkei sei auf jeden Fall „ein geostrategischer Partner“.