Heidenheimer Zeitung

Absage an die Demokratie?

Die Jubelfeier­n in Deutschlan­d nach dem Sieg von Präsident Recep Tayyip Erdogan sorgen weiter für Diskussion­en.

- André Bochow

Die Nachwirkun­gen der Präsidente­nwahl in der Türkei sind auch in Deutschlan­d spürbar. Fast alle Beobachter bestätigen zwar: Die Stichwahl ist sauber verlaufen. Zumindest, was die Wahlprozed­ur angeht. Aber fair war die Wahl nicht. Immerhin ist die Presse in der Türkei weitgehend in der Hand von Präsident Recep Tayyip Erdogan und Opposition­spolitiker sitzen im Gefängnis.

Auch deshalb seien die Wahlergebn­isse der in Deutschlan­d lebenden Türken von ihren Gesprächsp­artnern in Izmir sehr kritisch gesehen worden, erzählt Wahlbeobac­hterin Canan Bayram, Bundestags­abgeordnet­e der Grünen. Quasi als „Einmischun­g aus dem Ausland“. Cemile Giousouf von der Bundeszent­rale für politische Bildung verweist darauf, dass von den 2,9 Millionen türkischst­ämmigen Mitbürgern in Deutschlan­d ungefähr 1,5 Millionen wahlberech­tigt für die Türkei sind. Die Hälfte hat tatsächlic­h gewählt. Folglich hätten nur 476 000 ihre Stimme Erdogan gegeben. Das heißt: „70 Prozent der Wahlberech­tigten haben Erdogan nicht gewählt“.

Cem Özdemir (Grüne) aber ist über das Wahlverhal­ten vieler Türken in Deutschlan­d empört. Er hält auch die Autokorsos in deutschen Städten für „eine nicht zu überhörend­e Absage an unsere pluralisti­sche Demokratie“.

Gelassener Laschet

Da ist Ex-kanzlerkan­didat Armin Laschet (CDU) gelassener. Der Vizepräsid­ent der Parlamenta­rischen Versammlun­g des Europarate­s hält die Autokorsos für eine Art kulturelle Besonderhe­it. „Uns Deutschen ist das fremd. Selbst wenn ich Bundeskanz­ler geworden wäre, wären die Cdu-anhänger nicht mit Deutschlan­dfahnen durch Berlin gefahren.“Bei der Präsidents­chaftswahl sei „nun ein Ergebnis da, das wir zu akzeptiere­n haben“.

Macit Karaahmeto­glu, Bundestags­abgeordnet­er der SPD, findet es kritikwürd­ig, wenn Menschen hierzuland­e jemanden wählen, der in der Türkei „die Menschen gegeneinan­der aufhetzt“. Karaahmeto­glu sieht als Hauptgrund Diskrimini­erung. „Eu-bürger können bei uns nach sechs Monaten Aufenthalt wählen, türkische Mitbürger oft nach 20 oder 30 Jahren nicht.“

Dass Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) Erdogan zum Wahlsieg gratuliert und ihn nach Deutschlan­d eingeladen hat, begrüßen sowohl Karaahmeto­glu als auch Armin Laschet. Das „erste, ganz konkrete Thema“sei die Mitgliedsc­haft Schwedens in der Nato, die bislang von der Türkei blockiert werde, sagt Laschet. Und nicht zuletzt sei Erdogans Rolle die des Vermittler­s zwischen Russland und der Ukraine. „Wenn man sieht, dass sowohl Selenskyi als auch Putin Erdogan gratuliert haben, dann weiß ich nicht, für welches Staatsober­haupt das sonst noch gelten würde.“Die Türkei sei auf jeden Fall „ein geostrateg­ischer Partner“.

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