Selig-fröhlicher Tumult
Herbert Grönemeyer beglückt seine Fans in der ausverkauften Stuttgarter Schleyerhalle über nahezu drei Stunden hinweg mit bekannten Hits und neuen Songs. Ein Konzert voller Lebensstrahlen.
Herbert Grönemeyer hat Lieder für die deutsche Pop-ewigkeit geschrieben. Sein jüngstes Album „Das ist los“ist so etwas wie musikalisch gelebte Zeitgeschichte, denn der inzwischen 67-Jährige hat wieder einmal die passenden Worte gefunden. Zu Beginn seiner fast dreistündigen Show in der ausverkauften Stuttgarter Schleyerhalle bewegt er sich ganz locker mit breitem Grinsen auf dem Laufsteg ins Publikum nach vorne, saugt den Jubel in sich auf, fordert noch mehr, zieht seine Herbie-schnute des Frohlockens, bekommt natürlich noch mehr. Die Halle steht Kopf, da ist noch kein Lied gespielt.
Vor Grönemeyer klappt ein Piano aus dem Bühnenboden nach oben, auf dem er mit „Tau“das leise Entree in den Abend singt. Stille kehrt aber nur kurz ein, denn mit dem Titelsong seines neuen Albums ist richtig was los, das Publikum ist Generationengrenzen sprengend voll da, singt sich mit „Sekundenglück“in die 170-Minuten-seligkeit. Der Song „Kopf hoch, tanzen“ist zugleich Ansage, alles bewegt sich. Das angedeutete „Steigerlied“wird genauso mitgesungen wie der Klassiker „Bochum“. Da stimmen vermutlich selbst nervöse Fans des VFB Stuttgart ganz ohne Neid mit Inbrunst ein.
Kunterbunte Buchstaben-suppe
Von Fußballstadion hat die Stimmung sowieso etwas. Immer wieder feuert Grönemeyer die Fans an, juchzt und yippiet, als wäre er der Vormann der Ponderosa. Wie gewohnt verschluckt er Textstellen, bündelt Laute in einer Art kunterbunten Buchstaben-suppe und jodelnden Kopfstimmigkeit. In dieser bisweilen hyperaktiven Lebendigkeit brodelt auch „Männer“hektisch. „Was soll das?“Er macht es, weil er es kann und will,
ihm das Sprudeln wichtiger ist als inhaltliche Konsistenz. Immer raus mit den Emotionen, ungefiltert, ohne Schutzschild. Grönemeyer ist da.
Durchaus auch mit einem guten Schuss Selbstironie. Die Fans ganz hinten in der Halle beruhigt er, denn bei ihm da vorne würde man von seinem Aussehen und besonders von seiner sportlichen Oberschenkelmuskulatur geradezu geblendet. Diese nutzt der unprätentiöse Star im Verlauf, doch im High-speed-konzerterlebnis
werden Balladen wie „Eine Tonne Blei“zum wohltuenden Ruhepol. Und Grönemeyer zeigt wie eh und je auch Haltung. Es sei ein eine „historische humanistische Leistung gewesen“, die Flüchtlinge aufzunehmen und ihnen eine Heimat zu geben. Auch den Klimaaktivisten der letzten Generation stärkt er später den Rücken: „Wir sollten dankbar dafür sein, dass es sie gibt und sie uns aufwecken.“
Hellwach und geradezu aufgewühlt sind die Fans, als er das „Doppelherz“pochen und hüpfen lässt, Musik nur spielt, wenn sie laut ist, und die ganze Halle mit einem Schulterwalzer in leicht wogende Bewegung bringt, bis er vor Glück „innerlich zu quietschen“beginnt. Das Publikum ist mehr als nur ein Teil dieser herzerwärmenden Show. Und wenn „Der Weg“– Grönemeyer vorne am Klavier in einem Lichtermeer – der rührendste Moment des Konzerts ist, dann ist „Kinder an die Macht“eines der freudigsten Ereignisse und „Mensch“ein wohliger Ausnahmezustand mit einem Meer geschwenkter Arme.
Während sich Herbie angstfrei in die nächsten Songs wirft, ziehen seine Techniker bei „Bleibt alles anders“noch einmal alle Register einer perfekten Liveshow im Großformat. Ein „Vielen Dank, Deutschland“rutscht dem Sänger da vor lauter Begeisterung nach 24 Stücken kurz vor 22 Uhr heraus. Die Fans in Stuttgart danken ihm. Und es geht weiter im fröhlichen Tumult, denn zunächst darf „Flugzeuge im Bauch“mit Lust am Vokalfuror über jazzige Gewässer fliegen, dann wird die Halle zu „Zeit, dass sich was dreht“endgültig zum Stadion, und die 13 500 singen sich mit mehrstimmigem Feinsinn ins Herz des Meisters und Chorleiters, der über der gewaltigen Klangfläche improvisiert.
„Das ist das ultimative Glück im Leben. Man steht hier und traut seinen eigenen Ohren und Augen nicht“, lässt Grönemeyer tief blicken und bedankt sich nicht zuletzt bei seiner neunköpfigen Band, die ihn durch diesen Abend solide, meist nahe an den Originalen und ohne große Überraschungen auf Händen trägt. Bei so vielen Lebensstrahlen lässt sich gut singen. Drei Zugabenblöcke, darunter macht es Grönemeyer nicht, und für seine Fans ist er schlicht der Größte.