Verschwunden in Belarus
Maria Kolesnikowa war das Gesicht der Proteste gegen Lukaschenko. Seit einem Jahr ist sie verschollen – und nicht nur sie.
2020 war Maria Kolesnikowa das Gesicht der gescheiterten Revolution in Belarus, mit strahlendem Lächeln führte sie in Minsk hunderttausende friedliche Demonstranten an, als Swetlana Tichanowskaja und Veronika Zepkalo, ihre Mitstreiterinnen im Präsidentschaftswahlkampf, Belarus schon verlassen hatten. Und als die Sicherheitsorgane Kolesnikowa gewaltsam in die Ukraine abschieben wollten, vereitelte sie das, indem sie an der Grenze ihren Reisepass zerriss.
Danach wurde die gelernte Flötenspielerin international für ihren Mut gefeiert, die Staatsorgane Alexander Lukaschenkos aber sperrten sie weg. Nach einem Jahr U-haft wurde Kolesnikowa im September 2021 wegen Versuch zur illegalen Machtergreifung zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Im November 2022 kam sie mit einem aufgebrochenen Magengeschwür in ein Krankenhaus, ein Foto mit ihrem Vater zeigt sie nach der Operation am 5. Dezember im Krankenrevier der Gomeler Frauenstrafkolonie. Danach sah ihr Anwalt sie noch mehrfach, zuletzt am 2. Februar 2023. Ihr letzter Brief ist auf den 12. Februar datiert.
Seitdem ist die 41-Jährige verschwunden. Ihre Schwester Tatjana
Chomitsch sagte der Deutschen Welle, es gebe weder Briefnoch Telefonkontakt. Man habe Informationen erhalten, Maria säße in einer Isolationszelle.
Incommunicado nennen Menschenrechtler den völligen Entzug jeder Kommunikationsmöglichkeiten für einen Häftling. Man könnte den spanischen Begriff auch mit „Verschwinden“übersetzen.
Incommunicado werden in Belarus auch andere politische Gefangene
gehalten. Der letzte Brief von Nikolaj Statkewitsch kam laut der Zeitung Nowaja Gaseta am 9. Februar 2023. Der sozialdemokratische Oppositionskandidat bei den Präsidentschaftswahlen 2010 war nach den Protesten von 2020 als angeblicher Anstifter von Massenunruhen zu 14 Jahren Haft verurteilt worden.
Eduard, der Sohn des Bankmanagers und liberalen Kandidaten Viktor Babariko bei den Wahlen 2020, sitzt auch hinter Gittern. Wie sein Vater wurde er 2021 wegen angeblicher Geldwäsche und Korruption zu zehn Jahren Haft verurteilt. Von Viktor Babariko, der 14 Jahre absitzen muss, gibt es seit April 2023 keine Informationen mehr. Damals wurde er mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus in Nowopolozk eingeliefert.
Tatjana Chomitsch möchte jetzt die Un-arbeitsgruppe gegen gewaltsames Verschwindenlassen einschalten, um das Schicksal ihrer Schwester Maria Kolesnikowa aufzuklären.