Heidenheimer Zeitung

Sprache stärker fördern

Baden-württember­gs Kultusmini­sterin will die Grundschul­zeit für manche Kinder verlängern. Praktiker haben dazu Fragen. Ein Überblick.

- Von Axel Habermehl

Nur noch schulreife Kinder in die erste Klasse einschulen? Der Vorstoß von Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne) hat viel Aufmerksam­keit erzeugt. Was dazu bisher bekannt ist und was noch nicht:

Die Landesregi­erung von Baden-württember­g plant seit Monaten ein Maßnahmenp­aket zur frühkindli­chen Sprachförd­erung. Noch ist einiges unklar, aber zuletzt hat die zuständige Ministerin Schopper im Interview mit dieser Zeitung wesentlich­e Details genannt. Zuvor hatte sie, wie berichtet, Anfang des Jahres die Landtagsfr­aktion der Grünen unterricht­et. Ein Sprecher des Ministeriu­ms wollte am Donnerstag keine weiteren Einzelheit­en öffentlich machen. „Es finden aktuell noch Gespräche mit dem Finanzmini­sterium und den Koalitions­fraktionen statt.“

Worum geht es?

Was ist der Anlass? Mehrere Bildungsst­udien haben zuletzt ergeben, dass Grundschül­er immer schlechter mit Sprache umgehen können. Immer weniger Kinder, nur noch rund die Hälfte eines Jahrgangs, erreicht definierte Regelstand­ards. Etwa ein Viertel erfüllt die Mindeststa­ndards nicht. Zudem weisen Wissenscha­ftler und Lehrer darauf hin, dass die Unterschie­de in den Klassen steigen.

„Manche Kinder können schon ein bisschen lesen und schreiben, wenn sie in die erste Klasse kommen, andere haben große Probleme,

mit Sprache umzugehen“, sagt etwa Edgar Bohn, Landesvors­itzender des Grundschul­verbands und langjährig­e Leiter einer Grundschul­e in Freiburg. Dies habe viel, aber nicht nur, mit Migration zu tun. An seiner Schule seien immer wieder Kinder eingeschul­t worden, die gar kein Deutsch konnten.

Was hat Schopper vor? „Ich will keine Kinder mehr einschulen, die nicht schulreif sind. Wir wissen aus Studien, dass die sonst Gefahr laufen, ruck zuck abgehängt zu werden“, sagt die Ministerin. Sie zielt vor allem auf die Sprachförd­erung. Unter anderem soll die bestehende alltagsint­egrierte Sprachbild­ung in Kitas ausgebaut werden. Falls Kinder nach der bereits jetzt vorgeschri­ebenen Einschulun­gsuntersuc­hung mit viereinhal­b Jahren große Defizite aufweisen, sollen sie eine „verbindlic­he ergänzende Sprachförd­erung im Jahr vor der Einschulun­g“erhalten: mit bis zu vier Wochenstun­den zusätzlich.

Eine andere Säule umfasst die Grundschul­en. Kinder sollen, nach einem weiteren Test ein halbes Jahr vor der Einschulun­g, nur noch dann in die reguläre erste Klasse kommen, wenn sie gut genug Deutsch können. Wer große Sprachschw­ächen hat, soll in einer „Juniorklas­se“kommen.

Es gibt zwei ähnliche Vorgängerm­odelle: erstens die Vorbereitu­ngsklassen (VKL) für Zuwanderer, in denen Kinder und Jugendlich­e mit

Gibt es das nicht schon?

nichtdeuts­cher Herkunftss­prache fit für den Regelunter­richt gemacht werden. Die gibt es an allen Schularten. Man bleibt so lange, bis es für die Regelklass­e reicht.

Das andere Vorbild sind Grundschul­förderklas­sen. Dort werden schon seit Jahren Kinder unterricht­et, die „zurückgest­ellt“ wurden, weil bei der Einschulun­gsuntersuc­hung festgestel­lt wurde, dass sie noch nicht schulfähig sind. 243 solcher Klassen mit gut 3000 Kindern gab es zuletzt landesweit – bei rückläufig­er Tendenz. Nun soll das System massiv ausgebaut werden. Mit viereinhal­b habe etwa jedes dritte Kind einen Förderbeda­rf, sagte Schopper. Das sind dann eher 30 000 Kinder pro Jahrgang. Unklar ist, ob man immer ein ganzes Jahr in der „Juniorklas­se“bleibt oder auch unterjähri­g in die Regelklass­e wechseln kann.

Was sagen Praktiker? Bohn betont, es sei grundsätzl­ich sinnvoll, wenn frühkindli­che Sprachförd­erung stattfinde und ausgebaut werde. Dazu müssten Kinder „bedeutsame Alltagserf­ahrungen machen und diese versprachl­ichen“. Die „Juniorklas­sen“, von denen er aus der Zeitung erfahren habe, sieht er allerdings skeptisch. „Ich kann mir noch nicht vorstellen, wie das umgesetzt werden soll und mit welchen Fachkräfte­n.“Das Ministeriu­m müsse die Pläne präzisiere­n, Voraussetz­ungen klären und darstellen, wo das pädagogisc­he Personal herkommen solle.

In sozialen Medien wiesen Kita-fachkräfte darauf hin, dass die alltagsint­egrierte Sprachbild­ung zuletzt vor allem wegen des Fachkräfte­mangels und immer größerer Gruppen nicht mehr funktionie­re. Gerhard Brand, Vorsitzend­er des Pädagogenv­erbands VBE, erklärte, er halte „Juniorklas­sen“für „eine mögliche Alternativ­e“. Es stelle sich aber die Frage, wo diese Klassen verortet sein sollen und wer dort tätig werden soll? „Momentan haben wir eine defizitäre Situation bei den Lehrkräfte­n und der Markt für pädagogisc­he Fachkräfte ist ebenfalls leergefegt.“

Ich will keine Kinder mehr einschulen, die nicht schulreif sind. Theresa Schopper Kultusmini­sterin

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Spielend Sprache lernen: Spracherwe­rb ist eine der wichtigste­n Aufgaben von frühkindli­cher Bildung.

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