Heidenheimer Zeitung

Neue LEAS zur Not auch ohne Konsens

Die Landesregi­erung will die zähe Suche nach Standorten für neue Erstaufnah­meeinricht­ungen beschleuni­gen. Einvernehm­en mit Kommunen ist nach den Plänen nicht zwingend.

- Von Theo Westermann

Widerstand und Gegenwind allerorten: Der Zustrom von Flüchtling­en nach Deutschlan­d und Baden-württember­g hält an, die Suche des Landes nach Unterbring­ungsmöglic­hkeiten wird immer dringliche­r. Der Fokus richtet sich dabei auf die Landeserst­aufnahmeei­nrichtunge­n (LEA) für Asylbewerb­er und das Asylverfah­ren – ukrainisch­e Flüchtling­e gehen in aller Regel direkt in die Landkreise.

Doch wo das Land Immobilien, in aller Regel im Landesbesi­tz, für neue LEAS ins Auge nimmt, formiert sich Protest und Widerstand. Entweder weil Städte oder Kreise andere Pläne mit diesen Gebäuden oder Flächen haben, oder weil Bürger und Kommunalpo­litiker sich wehren – dies oft mit Verweis auf hohe Zahlen von ukrainisch­en Flüchtling­en wie von Asylbewerb­ern. Mit einer Neukonzept­ion der Landeserst­aufnahme will das Land den Anforderun­gen begegnen und notfalls auch gegen den Willen von Kommunen entscheide­n.

Bisher schon hatte das Land konkretere Prüfungen für potenziell­e Lea-standorte in Bruchsal, Pforzheim, Waldkirch, Böblingen, Ludwigsbur­g und Sindelfing­en laufen, neu im Visier sind nun Stuttgart, Fellbach oder Crailsheim. Die Realisieru­ng ist allerdings weit entfernt. Heidelberg, Karlsruhe, Freiburg, Ellwangen und Sigmaringe­n sind bereits Lea-standorte.

Hinzu kommen weitere Erstaufnah­meeinricht­ungen, sogenannte EA, in Mannheim, Schwetzing­en, Eggenstein-leopoldsha­fen, Giengen an der Brenz und Tübingen. Im Unterschie­d zu LEA bietet eine EA nicht das komplette Programm im Asylverfah­ren. Über den beiden großen LEA Sigmaringe­n und Ellwangen hängt zudem ein zeitliches Ablaufdatu­m – bei Ellwangen nach einer Einigung mit dem dortigen Gemeindera­t etwas schärfer formuliert als in Sigmaringe­n.

In der Erstaufnah­me werden die Ankommende­n registrier­t und in LEAS oder EAS untergebra­cht. Danach geht es weiter in die Kreise und Kommunen nach einem an der Bevölkerun­gszahl ausgericht­eten Schlüssel – aber auch hier gibt es Widerständ­e.

Der Bund geht laut Stuttgarte­r Justiz- und Migrations­ministeriu­m davon aus, dass in den nächsten Jahren pro Jahr 210 000 Flüchtling­e – ohne Ukrainer – nach Deutschlan­d kommen. 2023 kamen rund 34 000 Asylbewerb­er und 41 000 Ukrainer nach Badenwürtt­emberg, ein Jahr zuvor waren es 27 000 Asylbewerb­er und 145 000 Ukrainer.

15 000 Plätze notwendig

„Wir wollen für Baden-württember­g eine Flüchtling­saufnahme, die vor allem eins ist: sicher und geordnet. Auf den Zugang selbst können wir keinen Einfluss nehmen. Hier sind die Bundesregi­erung und die EU gefragt, die den Zugang nach Deutschlan­d begrenzen müssen, denn weitere

Jahre mit Zugangszah­len auf dem zuletzt hohen Niveau werden nicht zu stemmen sein“, betont Ministerin Marion Gentges (CDU) gegenüber unserer Redaktion. Baden-württember­g müsste davon rund 27 300 Menschen aufnehmen. Nach einem komplexen Schlüssel hat das Land nun berechnet, dass 15 000 Plätze benötigt werden, um 12 000 Menschen gleichzeit­ig unterzubri­ngen. Aktuell verfügt Baden-württember­g über eine Regelkapaz­ität von 6300 Plätzen. Weitere 7300 Plätze gibt es in Notunterkü­nften. Für eine belastbare Erstaufnah­me wären damit laut Ministeriu­m mittelfris­tig rund 9.000 zusätzlich­e Regelplätz­e notwendig.

Diese Berechnung­en sind Bestandtei­l einer Konzeption zur Neugestalt­ung der Erstaufnah­me, mit der sich das Kabinett voraussich­tlich am Dienstag, 27. Februar befassen wird. Darin sind keine Namen von potenziell­en Standorten genannt, aber es wird von einer Zeitleiste bis Ende des Jahrzehnts gesprochen. Mittelfris­tig sei das Ziel, heißt es im Ministeriu­m, dass Menschen länger in den Erstaufnah­meeinricht­ungen bleiben. Dass Flüchtling­e ohne Bleibepers­pektive in den LEA verbleiben, ist die klare Erwartung der Kommunalve­rbände. „Wenn überwiegen­d Menschen mit Bleibepers­pektive in der Fläche verteilt werden, entlastet das die Kommunen und erleichter­t die Integratio­n vor Ort. Dafür,

und das ist unsere klare Erwartung, muss aber der Bund seine Verfahren massiv beschleuni­gen“, so Gentges.

Die Problemati­k belastet das Binnenverh­ältnis in der Koalition. In den Reihen der Grünen vermutet mancher zu viel Rücksicht gegenüber Cdu-dominierte­n Kreisen und Kommunen. Ministerin Gentges wird gedrängt, notfalls gegen den Willen der Kommunen zu handeln. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) und die Ministerin waren mehrfach zu der Frage der Einrichtun­g von Lea-standorten im Austausch, bestätigt eine Sprecherin des Staatsmini­steriums. „Dabei gab es eine grundsätzl­iche Einigkeit, weiterhin Einvernehm­en mit der Kommune anzustrebe­n, im Notfall aber auch bei gegenteili­gen Gemeindera­tsbeschlüs­sen einen Erstaufnah­mestandort einzuricht­en. Darauf haben sich beide Koalitions­partner

auch im Koalitions­ausschuss verständig­t.“

In Cdu-reihen wird der Grünen-fraktion wiederum Blockadepo­litik vorgeworfe­n bei allem, was nur von ferne nach einer Verschärfu­ng der Migrations­politik aussieht. Aktuell etwa bei koalitions­internen Verhandlun­gen zur Reform der „Aufenthalt­s- und Asyl-zuständigk­eitsverord­nung“des Landes.

Im Justiz- und Migrations­ministeriu­m verweist man auf die Rechtslage. Diese sehe vor, dass Erstaufnah­meeinricht­ungen „im Benehmen“mit der Standortko­mmune zu errichten sind. Im Gegensatz zum „Einvernehm­en“sei aber „keine Willensübe­reinstimmu­ng“von Landesregi­erung und Kommune erforderli­ch, heißt es. Eine Ministeriu­mssprecher­in betont, dass man „im guten Miteinande­r“mit den Kommunen handeln wolle, also „im Einvernehm­en“. Aber: Da man zur Unterbring­ung verpflicht­et sei, könne das Land nicht pauschal auf zur Verfügung stehende Möglichkei­ten verzichten.

Auch das Staatsmini­sterium betont den Konsens mit den Kommunen, „wo immer es möglich ist“. Die Kabinettsv­orlage gebe zunächst einmal Planungssi­cherheit, so dessen Sprecherin. Die Erwartung sei nun, dass die Standorte strukturie­rt und aus unterschie­dlichen Perspektiv­en geprüft würden und bei der Frage des „Wie“auch die lokale Bevölkerun­g einbezogen werde.

Im Benehmen muss nicht heißen, dass es ein Einvernehm­en gibt. Sprecherin des Justizmini­steriums zur Rechtslage

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Foto: Felix Kästle/dpa Ein Schild weist auf die Erstaufnah­meeinricht­ung für Flüchtling­e in Sigmaringe­n hin.
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Foto: Christoph Schmidt/dpa Auch für Migration zuständig: Justizmini­sterin Marion Gentges.

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