Neue LEAS zur Not auch ohne Konsens
Die Landesregierung will die zähe Suche nach Standorten für neue Erstaufnahmeeinrichtungen beschleunigen. Einvernehmen mit Kommunen ist nach den Plänen nicht zwingend.
Widerstand und Gegenwind allerorten: Der Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland und Baden-württemberg hält an, die Suche des Landes nach Unterbringungsmöglichkeiten wird immer dringlicher. Der Fokus richtet sich dabei auf die Landeserstaufnahmeeinrichtungen (LEA) für Asylbewerber und das Asylverfahren – ukrainische Flüchtlinge gehen in aller Regel direkt in die Landkreise.
Doch wo das Land Immobilien, in aller Regel im Landesbesitz, für neue LEAS ins Auge nimmt, formiert sich Protest und Widerstand. Entweder weil Städte oder Kreise andere Pläne mit diesen Gebäuden oder Flächen haben, oder weil Bürger und Kommunalpolitiker sich wehren – dies oft mit Verweis auf hohe Zahlen von ukrainischen Flüchtlingen wie von Asylbewerbern. Mit einer Neukonzeption der Landeserstaufnahme will das Land den Anforderungen begegnen und notfalls auch gegen den Willen von Kommunen entscheiden.
Bisher schon hatte das Land konkretere Prüfungen für potenzielle Lea-standorte in Bruchsal, Pforzheim, Waldkirch, Böblingen, Ludwigsburg und Sindelfingen laufen, neu im Visier sind nun Stuttgart, Fellbach oder Crailsheim. Die Realisierung ist allerdings weit entfernt. Heidelberg, Karlsruhe, Freiburg, Ellwangen und Sigmaringen sind bereits Lea-standorte.
Hinzu kommen weitere Erstaufnahmeeinrichtungen, sogenannte EA, in Mannheim, Schwetzingen, Eggenstein-leopoldshafen, Giengen an der Brenz und Tübingen. Im Unterschied zu LEA bietet eine EA nicht das komplette Programm im Asylverfahren. Über den beiden großen LEA Sigmaringen und Ellwangen hängt zudem ein zeitliches Ablaufdatum – bei Ellwangen nach einer Einigung mit dem dortigen Gemeinderat etwas schärfer formuliert als in Sigmaringen.
In der Erstaufnahme werden die Ankommenden registriert und in LEAS oder EAS untergebracht. Danach geht es weiter in die Kreise und Kommunen nach einem an der Bevölkerungszahl ausgerichteten Schlüssel – aber auch hier gibt es Widerstände.
Der Bund geht laut Stuttgarter Justiz- und Migrationsministerium davon aus, dass in den nächsten Jahren pro Jahr 210 000 Flüchtlinge – ohne Ukrainer – nach Deutschland kommen. 2023 kamen rund 34 000 Asylbewerber und 41 000 Ukrainer nach Badenwürttemberg, ein Jahr zuvor waren es 27 000 Asylbewerber und 145 000 Ukrainer.
15 000 Plätze notwendig
„Wir wollen für Baden-württemberg eine Flüchtlingsaufnahme, die vor allem eins ist: sicher und geordnet. Auf den Zugang selbst können wir keinen Einfluss nehmen. Hier sind die Bundesregierung und die EU gefragt, die den Zugang nach Deutschland begrenzen müssen, denn weitere
Jahre mit Zugangszahlen auf dem zuletzt hohen Niveau werden nicht zu stemmen sein“, betont Ministerin Marion Gentges (CDU) gegenüber unserer Redaktion. Baden-württemberg müsste davon rund 27 300 Menschen aufnehmen. Nach einem komplexen Schlüssel hat das Land nun berechnet, dass 15 000 Plätze benötigt werden, um 12 000 Menschen gleichzeitig unterzubringen. Aktuell verfügt Baden-württemberg über eine Regelkapazität von 6300 Plätzen. Weitere 7300 Plätze gibt es in Notunterkünften. Für eine belastbare Erstaufnahme wären damit laut Ministerium mittelfristig rund 9.000 zusätzliche Regelplätze notwendig.
Diese Berechnungen sind Bestandteil einer Konzeption zur Neugestaltung der Erstaufnahme, mit der sich das Kabinett voraussichtlich am Dienstag, 27. Februar befassen wird. Darin sind keine Namen von potenziellen Standorten genannt, aber es wird von einer Zeitleiste bis Ende des Jahrzehnts gesprochen. Mittelfristig sei das Ziel, heißt es im Ministerium, dass Menschen länger in den Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben. Dass Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive in den LEA verbleiben, ist die klare Erwartung der Kommunalverbände. „Wenn überwiegend Menschen mit Bleibeperspektive in der Fläche verteilt werden, entlastet das die Kommunen und erleichtert die Integration vor Ort. Dafür,
und das ist unsere klare Erwartung, muss aber der Bund seine Verfahren massiv beschleunigen“, so Gentges.
Die Problematik belastet das Binnenverhältnis in der Koalition. In den Reihen der Grünen vermutet mancher zu viel Rücksicht gegenüber Cdu-dominierten Kreisen und Kommunen. Ministerin Gentges wird gedrängt, notfalls gegen den Willen der Kommunen zu handeln. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und die Ministerin waren mehrfach zu der Frage der Einrichtung von Lea-standorten im Austausch, bestätigt eine Sprecherin des Staatsministeriums. „Dabei gab es eine grundsätzliche Einigkeit, weiterhin Einvernehmen mit der Kommune anzustreben, im Notfall aber auch bei gegenteiligen Gemeinderatsbeschlüssen einen Erstaufnahmestandort einzurichten. Darauf haben sich beide Koalitionspartner
auch im Koalitionsausschuss verständigt.“
In Cdu-reihen wird der Grünen-fraktion wiederum Blockadepolitik vorgeworfen bei allem, was nur von ferne nach einer Verschärfung der Migrationspolitik aussieht. Aktuell etwa bei koalitionsinternen Verhandlungen zur Reform der „Aufenthalts- und Asyl-zuständigkeitsverordnung“des Landes.
Im Justiz- und Migrationsministerium verweist man auf die Rechtslage. Diese sehe vor, dass Erstaufnahmeeinrichtungen „im Benehmen“mit der Standortkommune zu errichten sind. Im Gegensatz zum „Einvernehmen“sei aber „keine Willensübereinstimmung“von Landesregierung und Kommune erforderlich, heißt es. Eine Ministeriumssprecherin betont, dass man „im guten Miteinander“mit den Kommunen handeln wolle, also „im Einvernehmen“. Aber: Da man zur Unterbringung verpflichtet sei, könne das Land nicht pauschal auf zur Verfügung stehende Möglichkeiten verzichten.
Auch das Staatsministerium betont den Konsens mit den Kommunen, „wo immer es möglich ist“. Die Kabinettsvorlage gebe zunächst einmal Planungssicherheit, so dessen Sprecherin. Die Erwartung sei nun, dass die Standorte strukturiert und aus unterschiedlichen Perspektiven geprüft würden und bei der Frage des „Wie“auch die lokale Bevölkerung einbezogen werde.
Im Benehmen muss nicht heißen, dass es ein Einvernehmen gibt. Sprecherin des Justizministeriums zur Rechtslage