Heidenheimer Zeitung

Weißes Grab für viele Urlauber

Die Alpen versinken im Februar 1999 im Schnee. In Galtür und im benachbart­en Valzur kommt es zur Katastroph­e. 38 Menschen sterben in einer gewaltigen Lawine.

- Von Matthias Röder, dpa

Walter Strolz hatte im Februar 1999 gerade seinen Hubschraub­er aufgetankt, als er einen Funkspruch mithörte. Einen Tag nach dem katastroph­alen Lawinenung­lück von Galtür war eine riesige Staublawin­e auch auf den benachbart­en Weiler Valzur niedergega­ngen. „Kannst du noch fliegen?“, wurde der damals 36-jährige Bezirksins­pektor der Polizei gefragt.

Strolz, der die Region im Westen von Tirol als Bergsteige­r und Bergführer bestens kennt, traute sich. Er tastete sich im fahlen Mondlicht nur 50 Meter über dem Boden fliegend in das Unglücksta­l. „Es war nur noch eines der acht Häuser übrig. Davor standen verzweifel­te Eltern und vermissten ihre beiden Söhne in dem Gebäude“, erinnert sich Strolz 25 Jahre später. Kurzentsch­lossen flog Strolz 60 Retter ein, die sich mit Schaufeln zu den im Haus Vermissten durchgrube­n. Beide Kinder, darunter ein Vierjährig­er, wurden lebend geborgen.

Es war die einzige gute Nachricht aus Valzur. Sieben andere Bewohner des Weilers starben. Ihre Häuser waren durch die Wucht der Schneemass­en zerstört und rund 100 Meter weit den Hang herunterge­spült worden. Durch das neuerliche Unglück stieg der Zahl der Menschen, die in Galtür und Valzur umkamen, auf 38.

Am 23. Februar 1999 waren in Galtür 31 Menschen, darunter 21 deutsche Urlauber, gestorben. Insgesamt kamen zwölf Kinder unter den Schneemass­en ums Leben. Die Opfer erstickten im Schnee oder erlitten tödliche Verletzung­en.

„Damals war es extrem, in der Form, dass es nicht mehr aufgehört hat zu schneien“, erinnert sich der damalige Kommunikat­ionsexpert­e des österreich­ischen Bundesheer­s, Thomas Schönherr, in einem Podcast der „Wiener Zeitung“. Bis Mitte Januar 1999 herrschte eher Schneemang­el in den Alpen. Dann setzte – mit nur

kurzzeitig­en Unterbrech­ungen – mehrwöchig­er Dauerschne­efall ein, der die Schneedeck­e rund fünf Meter hoch auftürmte. Ein Meteorolog­e warnte wenige Tage vor dem Unglück im Fernsehen, dass erneut viel Neuschnee drohe, „und zwar genau dort, wo es in den letzten Tagen schon am meisten geschneit hat“.

Tausende von Touristen im Paznauntal saßen in der weißen Falle. Die einzige Zufahrtsst­raße war seit Ende Januar immer wieder gesperrt worden, eine Woche vor der Lawinenkat­astrophe war sie nicht mehr passierbar. Die Gäste in Galtür konnten wegen der gesperrten Pisten nicht mehr Skifahren. Sie wurden bei Laune gehalten. Am Unglücksta­g etwa gab es ein Fassdauben­rennen.

Nur wenige Minuten, nachdem die Teilnehmer und Zuschauer wieder in ihre Quartiere gegangen

waren, donnerte eine gewaltige Lawine vom 2700 Meter hohen Grieskogel 1100 Höhenmeter hinab in den Ort. 120 000 bis 160 000 Tonnen Schnee machten alles nieder. Das waren nach Darstellun­g von Lawinenexp­erten 3000 bis 4000 mit Schnee beladene große Lastwagen, die mit Tempo 300 durch den Ort rasten. Häuser wurden zermalmt, andere Gebäude

schwer beschädigt, Straßen und Wege tief begraben. Eltern verloren ihre Kinder, Kinder wurden zu Waisen und Halbwaisen. „Galtür war deswegen so besonders belastend für alle, weil extrem tragische Schicksale dabei herausgeko­mmen sind“, sagt die Psychologi­n Barbara Juen, die damals die Opfer betreute, im Podcast der „Wiener Zeitung“.

Da aufgrund des Wetters und der Dunkelheit nicht sofort Bergungsma­nnschaften eingefloge­n werden konnten, waren Einheimisc­he und Gäste eine Nacht lang auf sich allein gestellt. Alle versuchten, noch Überlebend­e unter dem bis zu acht Meter hohen Lawinenkeg­el zu finden. Ein Notlazaret­t wurde eingericht­et, in dem die Ärzte unter den Touristen die Verletzten betreuten. 22 Verschütte­te wurden lebend geborgen. Erst 15 Stunden nach der Katastroph­e trafen die ersten Retter ein, denen sich ein Bild bot, das an ein Kriegsgebi­et erinnerte.

Es folgte die größte Luftbrücke in der Geschichte Österreich­s. 42 Hubschraub­er aus Österreich, Deutschlan­d, den USA und Frankreich transporti­erten laut späterer Bundesheer-bilanz 18000 Menschen – aus Galtür und dem ebenfalls eingeschne­iten Ischgl.

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Ein Bild der Verwüstung: Galtür nach dem schweren Lawinenung­lück am 23. Februar 1999.

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