Kämpfen oder klagen?
Die Suche nach Kandidatinnen und Kandidaten verläuft vielerorts schleppend. Dabei kann auf kommunaler Ebene viel mitgestaltet werden.
Das gesellschaftliche Klima wird rauer – auch in den Kommunen. Angriffe auf Bürgermeisterinnen und Bürgermeister gibt es immer wieder, Gemeinderäte bleiben von Beleidigungen und Frust ungebremster Wutbürger nicht verschont. „Ihr im Gemeinderat nickt alles ab“, heißt es dann. „Was könnt ihr schon bewegen?“Friedhelm Werner, Chef des Bildungswerks für Kommunalpolitik, kennt solche Einwürfe von vielen Versammlungen. Der ehemalige Bürgermeister von Laichingen (Alb-donau-kreis) ist in diesen Wochen viel unterwegs, um für die Kommunalwahlen im Juni zu werben. Er erfährt dabei, dass die Aufstellung von Wahllisten in den Kommunen kein Selbstläufer mehr ist. Das bestätigen auch Vertreter der Parteien.
„Es ist natürlich kein Geheimnis, dass es aufgrund der derzeit aufgeheizten Stimmung eine größere Herausforderung ist, Kandidierende zu finden“, sagt SPD-GEneralsekretär Sascha Binder. Auch bei den Grünen lief die Kandidatenfindung bis zum Jahreswechsel oftmals zäh, räumt Pressesprecherin Theresa King ein. Das änderte sich ihrer Beobachtung nach mit dem Beginn der starken Demokratiebewegung Anfang des Jahres. „Es ist zu spüren, dass die Menschen sich für die Demokratie einbringen möchten“, sagt sie. Die Kandidatengewinnung
habe dadurch nochmals einen Schub bekommen. „Viele sagen: Jetzt reicht es nicht mehr, nur zu demonstrieren, ich muss selbst aktiv werden“, betont auch Binder. Und: „Eine Kandidatur bei der Kommunalwahl auf dem Wahlvorschlag einer demokratischen Partei ist ein Beitrag zur Stärkung unserer Demokratie.“
Doch einfach ist es nicht immer, Menschen für ein kommunales Ehrenamt zu gewinnen. Theresa King sagt, die jüngsten Ereignisse, zunächst in Biberach beim politischen Aschermittwoch der Grünen und dann in Amtszell bei Ravensburg, wo ein Kandidat der Grünen beleidigt und geschlagen wurde, hätten in der Mitgliedschaft Beunruhigung ausgelöst. Aber auch „eine gewisse Jetzterst-recht-haltung“.
Friedhelm Werner warnt davor, den Zwischenfall bei Ravensburg zu verallgemeinern. „Das sind Einzelfälle. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie ein Minuszeichen vor das Engagement setzen.“Gerade auf kommunaler Ebene sei die Möglichkeit der Mitgestaltung groß. „70 bis 80 Prozent der Daseinsvorsorge regeln Kommunen“, sagt Werner: die Ausstattung von Schulen, der öffentliche Nahverkehr, Zuschüsse für Vereine, der Wasserpreis, der Gewerbehebesatz. Gerade in der Kommunalpolitik könne man Selbstwirksamkeit erleben.
Gegen Shitstorms im Netz
„Das kommunale Ehrenamt ist interessanter geworden, aber auch anstrengender“, beobachtet der ehemalige Kommunalpolitiker. Bürger forderten nicht selten mit großer Vehemenz Rechenschaft ein: Warum eine Schulsanierung weiter auf sich warten lässt, der Zuschuss für Vereine gekürzt worden ist und warum kein Weg an einer weiteren Unterbringung von Geflüchteten vorbeiführt. In Bürgerversammlungen müsse man sich nicht selten „heftig erwehren“. Dafür, sagt Werner, „müssten Gemeinderäte sprachfähig werden“. Die Landeszentrale für politische Bildung forciert auch aus diesem Grund Angebote, die sich gegen Hass, Hetze und Gewalt wenden oder gegen Shitstorms in sozialen Medien.
Für ein Mandat bewerben können sich Menschen ab 16 Jahren. Während der ein oder andere Minderjährige die Chance ergreift, registriert Werner eine auffallende Zurückhaltung bei Frauen. „Dabei brauchen wir Frauen in der Kommunalpolitik“. Ihre Erfahrung in der Bildung, der Betreuung, dem SCHUL-ÖPNV, im Umgang mit älteren Menschen, pflegenden Angehörigen oder mit Einkaufmöglichkeiten seien wichtig. Auch führten Frauen in Gremien oft dazu, dass sich die Sitzungskultur positiv verändere. Manchmal auch die Sitzungsdauer.für
viele Frauen ist der Faktor Zeit der Haupthinderungsgrund, ein kommunales Amt zu übernehmen. Mit guter Vorbereitung und stringenter Sitzungsführung könne man Beratungen familienfreundlicher gestalten, glaubt Friedhelm Werner. Am Ende bleibe die Frage: Klagen oder kämpfen? Werner sagt: „Ich will mich mit der Schwäche der Demokratie nicht anfreunden – wir werden deutlicher, wir werden lauter und wir stehen noch fester zusammen.“