Heidenheimer Zeitung

Kämpfen oder klagen?

Die Suche nach Kandidatin­nen und Kandidaten verläuft vielerorts schleppend. Dabei kann auf kommunaler Ebene viel mitgestalt­et werden.

- Von Elisabeth Zoll

Das gesellscha­ftliche Klima wird rauer – auch in den Kommunen. Angriffe auf Bürgermeis­terinnen und Bürgermeis­ter gibt es immer wieder, Gemeinderä­te bleiben von Beleidigun­gen und Frust ungebremst­er Wutbürger nicht verschont. „Ihr im Gemeindera­t nickt alles ab“, heißt es dann. „Was könnt ihr schon bewegen?“Friedhelm Werner, Chef des Bildungswe­rks für Kommunalpo­litik, kennt solche Einwürfe von vielen Versammlun­gen. Der ehemalige Bürgermeis­ter von Laichingen (Alb-donau-kreis) ist in diesen Wochen viel unterwegs, um für die Kommunalwa­hlen im Juni zu werben. Er erfährt dabei, dass die Aufstellun­g von Wahllisten in den Kommunen kein Selbstläuf­er mehr ist. Das bestätigen auch Vertreter der Parteien.

„Es ist natürlich kein Geheimnis, dass es aufgrund der derzeit aufgeheizt­en Stimmung eine größere Herausford­erung ist, Kandidiere­nde zu finden“, sagt SPD-GEneralsek­retär Sascha Binder. Auch bei den Grünen lief die Kandidaten­findung bis zum Jahreswech­sel oftmals zäh, räumt Pressespre­cherin Theresa King ein. Das änderte sich ihrer Beobachtun­g nach mit dem Beginn der starken Demokratie­bewegung Anfang des Jahres. „Es ist zu spüren, dass die Menschen sich für die Demokratie einbringen möchten“, sagt sie. Die Kandidaten­gewinnung

habe dadurch nochmals einen Schub bekommen. „Viele sagen: Jetzt reicht es nicht mehr, nur zu demonstrie­ren, ich muss selbst aktiv werden“, betont auch Binder. Und: „Eine Kandidatur bei der Kommunalwa­hl auf dem Wahlvorsch­lag einer demokratis­chen Partei ist ein Beitrag zur Stärkung unserer Demokratie.“

Doch einfach ist es nicht immer, Menschen für ein kommunales Ehrenamt zu gewinnen. Theresa King sagt, die jüngsten Ereignisse, zunächst in Biberach beim politische­n Aschermitt­woch der Grünen und dann in Amtszell bei Ravensburg, wo ein Kandidat der Grünen beleidigt und geschlagen wurde, hätten in der Mitgliedsc­haft Beunruhigu­ng ausgelöst. Aber auch „eine gewisse Jetzterst-recht-haltung“.

Friedhelm Werner warnt davor, den Zwischenfa­ll bei Ravensburg zu verallgeme­inern. „Das sind Einzelfäll­e. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie ein Minuszeich­en vor das Engagement setzen.“Gerade auf kommunaler Ebene sei die Möglichkei­t der Mitgestalt­ung groß. „70 bis 80 Prozent der Daseinsvor­sorge regeln Kommunen“, sagt Werner: die Ausstattun­g von Schulen, der öffentlich­e Nahverkehr, Zuschüsse für Vereine, der Wasserprei­s, der Gewerbeheb­esatz. Gerade in der Kommunalpo­litik könne man Selbstwirk­samkeit erleben.

Gegen Shitstorms im Netz

„Das kommunale Ehrenamt ist interessan­ter geworden, aber auch anstrengen­der“, beobachtet der ehemalige Kommunalpo­litiker. Bürger forderten nicht selten mit großer Vehemenz Rechenscha­ft ein: Warum eine Schulsanie­rung weiter auf sich warten lässt, der Zuschuss für Vereine gekürzt worden ist und warum kein Weg an einer weiteren Unterbring­ung von Geflüchtet­en vorbeiführ­t. In Bürgervers­ammlungen müsse man sich nicht selten „heftig erwehren“. Dafür, sagt Werner, „müssten Gemeinderä­te sprachfähi­g werden“. Die Landeszent­rale für politische Bildung forciert auch aus diesem Grund Angebote, die sich gegen Hass, Hetze und Gewalt wenden oder gegen Shitstorms in sozialen Medien.

Für ein Mandat bewerben können sich Menschen ab 16 Jahren. Während der ein oder andere Minderjähr­ige die Chance ergreift, registrier­t Werner eine auffallend­e Zurückhalt­ung bei Frauen. „Dabei brauchen wir Frauen in der Kommunalpo­litik“. Ihre Erfahrung in der Bildung, der Betreuung, dem SCHUL-ÖPNV, im Umgang mit älteren Menschen, pflegenden Angehörige­n oder mit Einkaufmög­lichkeiten seien wichtig. Auch führten Frauen in Gremien oft dazu, dass sich die Sitzungsku­ltur positiv verändere. Manchmal auch die Sitzungsda­uer.für

viele Frauen ist der Faktor Zeit der Haupthinde­rungsgrund, ein kommunales Amt zu übernehmen. Mit guter Vorbereitu­ng und stringente­r Sitzungsfü­hrung könne man Beratungen familienfr­eundlicher gestalten, glaubt Friedhelm Werner. Am Ende bleibe die Frage: Klagen oder kämpfen? Werner sagt: „Ich will mich mit der Schwäche der Demokratie nicht anfreunden – wir werden deutlicher, wir werden lauter und wir stehen noch fester zusammen.“

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