Heidenheimer Zeitung

Freundin der Schimpanse­n

Mit ihrem empathisch­en Ansatz revolution­ierte Jane Goodall den Blick auf die Menschenaf­fen. Nun wird die Verhaltens­forscherin 90.

- Von Christoph Meyer, dpa

Uh, Uh, Uh, Uhhhh, Uhhhh, Uhhhh“– so ungefähr klingt es, wenn die Primatolog­in Jane Goodall sich in der Ausdrucksw­eise der Schimpanse­n vorstellt. Die für ihre bahnbreche­nden Beobachtun­gen bei den engsten Verwandten des Menschen weltberühm­t gewordene Britin feiert am 3. April ihren 90. Geburtstag.

Goodall, die 1960 als 26-Jährige mit der Erforschun­g einer Gruppe von Schimpanse­n im heutigen Gombe-nationalpa­rk in Tansania begann, revolution­ierte die Sicht auf die Affen, bei denen sie bald schon Wesenszüge und Verhaltens­weisen feststellt­e, die vom Menschen bekannt sind, gute wie schlechte.

„Damals in den frühen 60erjahren glaubten viele Wissenscha­ftler, dass nur Menschen einen Verstand haben“, sagt sie in dem Dokumentar­film „Jane“, in dem viele Aufnahmen aus der frühen Zeit ihrer Forschung zu sehen sind. „Zum Glück war ich nicht an der Universitä­t und wusste diese Dinge nicht“, fügt sie hinzu.

Goodall hatte ihre Position dem britisch-kenianisch­en Anthropolo­gen Louis Leakey zu verdanken. Ihre Familie hatte nicht das Geld, um ihr ein Studium zu finanziere­n. Trotzdem wollte Goodall ihren Kindheitst­raum von einem Leben in Afrika unter wilden Tieren unbedingt wahr machen. Sie hatte sich als Sekretärin und Kellnerin verdingt, bevor sie zu einer ersten Reise nach Afrika aufbrach, bei der sie den Forscher Leakey kennenlern­te.

Leakey, der sich von ihren Kenntnisse­n und ihrer Begeisteru­ng beeindruck­t zeigte, beauftragt­e sie damit, eine Gruppe Schimpanse­n an den Ufern des Tanganijka-sees im Norden des heutigen Tansania zu erforschen. Es war gerade ihre Unvoreinge­nommenheit, in der Leakey eine Stärke sah. Er sandte zwei weitere Frauen aus: Die 1985 in Ruanda ermordete Us-amerikaner­in Dian Fossey, die Gorillas erforschte, und die in Kanada aufgewachs­ene Birute Galdikas, die sich auf Borneo den Orang-utans widmete. Zusammen werden sie manchmal als die „Trimaten“bezeichnet.

Zunächst von ihrer Mutter begleitet, trotzte Goodall monatelang jeder Witterung und allerlei Gefahren wie Giftschlan­gen, um in die Nähe ihrer Forschungs­objekte zu gelangen – zunächst vergeblich. Die Schimpanse­n liefen davon. Doch nach und nach gewöhnten sich die Tiere an den Anblick des „fremden weißen Menschenaf­fen“, wie sie sich selbst gerne nennt. Bald wurde sie Teil ihrer Gemeinscha­ft.

Namen statt Nummern

Die Methode der „teilnehmen­den Beobachtun­g“erwies sich als erfolgreic­her als alles andere, was zuvor versucht worden war. Sie beinhaltet­e jedoch auch das Füttern mit Bananen und eine Interaktio­n mit den Tieren, die zu Kritik führte. Beispielsw­eise galt es als unwissensc­haftlich, den Schimpanse­n Namen statt Nummern zu geben. Goodall ließ sich davon nicht beirren. Ihr bester Freund wurde David Greybeard, ein gutmütiges männliches Tier mit weißem Haar am Kinn, das als erstes wagte, in ihre Nähe zu kommen. Greybeard öffnete ihr die Tür zur Erforschun­g der Gruppe.

Sie beobachtet­e Greybeard, als er mit einem Stöckchen in einem Termitenba­u stocherte und damit die Insekten fing. Er präpariert­e dafür Zweige, indem er die Blätter abstreifte. Als sie Leakey von dieser Beobachtun­g berichtete, telegrafie­rte er zurück: „Jetzt müssen wir entweder den Menschen neu definieren. Werkzeug neu definieren. Oder wir müssen Schimpanse­n als Menschen anerkennen.“Bis dahin galt die Verwendung von Werkzeugen als wichtigste Unterschei­dung zwischen Menschen und Tieren.

Goodall glaubt inzwischen, dass zumindest teilweise die Sprache für die „explosions­artige Entwicklun­g des menschlich­en Intellekts“verantwort­lich ist.

Goodall beobachtet­e auch zärtliches Verhalten, Umarmungen, Berührunge­n und Trauer in Gombe. Eine verheerend­e Polio-epidemie unter den Affen und später tödliche Auseinande­rsetzungen zwischen den Tieren brachten jedoch Ernüchteru­ng in die beinahe paradiesis­ch anmutende Welt. „Ich dachte, sie wären wie wir, aber netter als wir“, sagt Goodall rückblicke­nd und fügt hinzu: „Ich hatte keine Ahnung von der Brutalität, die sie an den Tag legen können.“

Goodall wandte sich dem Artenund Umweltschu­tz zu, als sie erkannte, dass Schimpanse­n-population­en überall schrumpfte­n und ihren Lebensraum zunehmend verloren. Sie setzt sich für eine Reduzierun­g des Fleischkon­sums ein und tourt auch im hohen Alter noch unermüdlic­h um die Welt, um Menschen mit Vorträgen und Begegnunge­n wachzurütt­eln. Mit dem Jane Goodall Institute hat sie ein weltweites Netz aufgebaut, mit dem sie für ein Umdenken wirbt.

Anders als viele junge Umweltakti­visten bleibt Goodall aber optimistis­ch und empathisch. Auf die Frage eines Jugendlich­en, wie man Menschen, die den Klimawande­l abstreiten, überzeugen könne, antwortete sie in ihrem Podcast: „Eine Sache, die ich dir empfehlen würde, nicht zu tun, ist aggressiv zu werden. Sie werden dir nicht zuhören.“

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Foto: Hugo van Lawick/jane Goodall Institut/dpa Jane Goodall als junge Frau mit Schimpanse­n-baby Flint in Tansania.

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