Fatale Abhängigkeit
Bundeskanzler Olaf Scholz konnte nicht ahnen, dass ein Ereignis der Weltpolitik auch seine zweite Reise nach China überlagern würde. Vor zwei Jahren hatte er mit einem Coup aufgewartet: Kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine warnten Staatschef Xi Jinping und er gemeinsam Kremlchef Wladimir Putin vor einem Einsatz von Atomwaffen. Nun ist es die Eskalation im Nahen Osten, auf welche die Augen der Welt gerichtet sind. Allerdings hat China dort deutlich weniger Einfluss. Daher rücken diesmal andere Punkte ins Rampenlicht, wenn Scholz durch Wirtschaftsmetropolen im Land reist und am Dienstag in Peking Xi trifft. Und diese Punkte sind durchaus heikel.
Der SPD-MANN, der so gern als Friedenskanzler in die Geschichte eingehen würde, muss sich wieder verstärkt mit unangenehmen Fragen beschäftigen, die auch seine Kanzlerschaft betreffen. Zum einen die wankende deutsche Wirtschaft, die von China unter Druck gesetzt wird. Das Land hat sich in Zukunftstechnologien breitgemacht und wirft durch massive Subventionen konkurrenzlos billige Produkte auf den europäischen Markt. Das betrifft längst nicht mehr nur Solarpanels. Inzwischen flutet das Reich der Mitte auch den Markt mit E-autos. Die Eu-kommission droht bereits mit Zöllen als Gegenmaßnahme. Ein neuer Handelskrieg droht.
Zudem sieht es trotz der offensichtlich gewordenen Lieferketten-probleme derzeit nicht nach dem angestrebten De-risking aus – nach einer geringeren Abhängigkeit vom chinesischen Markt also. Im Gegenteil: Die Direktinvestitionen deutscher Firmen in China sind dem Institut für Wirtschaftsforschung zufolge 2023 von 8,9 auf 10,5 Milliarden Euro gestiegen. Und es werden vermutlich noch mehr werden, wenn man die große Wirtschaftsdelegation im Schlepptau des Kanzlers betrachtet.
Das geschieht, während die Führung der Kommunistischen Partei die chinesische Wirtschaft immer fester in ihr Machtstreben einbaut. Dessen ungeachtet werden trotz aller Warnungen vor Spionage oder Sabotage in die kritische Infrastruktur Deutschlands, etwa ins 5G-netz, unverdrossen Komponenten des chinesischen Weltmarktführers Huawei eingebaut.
Die deutsche Wirtschaft kann nicht ohne China. Sie muss sich trotz aller Widrigkeiten arrangieren.
Das alles hat wenig Ähnlichkeit mit der erst 2023 verabschiedeten Chinastrategie der Bundesregierung, die das Land zwar einerseits als Partner, aber andererseits eben auch als Konkurrenten und Systemrivalen einstuft und daher einen klareren Kurs forderte, auch was Chinas Umgang mit Menschenrechtsverletzungen, die Unterstützung Russlands oder die Drohungen gegen Taiwan angeht.
Die bittere Wahrheit ist: Die deutsche Wirtschaft kann nicht ohne China. Genau genommen, ist die Abhängigkeit noch viel größer als sie es von den Energielieferungen aus Russland war, die nur mit großen Anstrengungen kompensiert werden konnten.
So gesehen ist Scholz‘ Reise ein Eingeständnis, dass Europas stärkste Wirtschaftsmacht sich trotz aller Widrigkeiten mit China arrangieren will. Einen Coup wie seinerzeit wird er diesmal wohl trotzdem nicht mit nach Hause nehmen.