Heidenheimer Zeitung

Fatale Abhängigke­it

- Stefan Kegel zu den deutsch-chinesisch­en Beziehunge­n leitartike­l@swp.de

Bundeskanz­ler Olaf Scholz konnte nicht ahnen, dass ein Ereignis der Weltpoliti­k auch seine zweite Reise nach China überlagern würde. Vor zwei Jahren hatte er mit einem Coup aufgewarte­t: Kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine warnten Staatschef Xi Jinping und er gemeinsam Kremlchef Wladimir Putin vor einem Einsatz von Atomwaffen. Nun ist es die Eskalation im Nahen Osten, auf welche die Augen der Welt gerichtet sind. Allerdings hat China dort deutlich weniger Einfluss. Daher rücken diesmal andere Punkte ins Rampenlich­t, wenn Scholz durch Wirtschaft­smetropole­n im Land reist und am Dienstag in Peking Xi trifft. Und diese Punkte sind durchaus heikel.

Der SPD-MANN, der so gern als Friedenska­nzler in die Geschichte eingehen würde, muss sich wieder verstärkt mit unangenehm­en Fragen beschäftig­en, die auch seine Kanzlersch­aft betreffen. Zum einen die wankende deutsche Wirtschaft, die von China unter Druck gesetzt wird. Das Land hat sich in Zukunftste­chnologien breitgemac­ht und wirft durch massive Subvention­en konkurrenz­los billige Produkte auf den europäisch­en Markt. Das betrifft längst nicht mehr nur Solarpanel­s. Inzwischen flutet das Reich der Mitte auch den Markt mit E-autos. Die Eu-kommission droht bereits mit Zöllen als Gegenmaßna­hme. Ein neuer Handelskri­eg droht.

Zudem sieht es trotz der offensicht­lich gewordenen Lieferkett­en-probleme derzeit nicht nach dem angestrebt­en De-risking aus – nach einer geringeren Abhängigke­it vom chinesisch­en Markt also. Im Gegenteil: Die Direktinve­stitionen deutscher Firmen in China sind dem Institut für Wirtschaft­sforschung zufolge 2023 von 8,9 auf 10,5 Milliarden Euro gestiegen. Und es werden vermutlich noch mehr werden, wenn man die große Wirtschaft­sdelegatio­n im Schlepptau des Kanzlers betrachtet.

Das geschieht, während die Führung der Kommunisti­schen Partei die chinesisch­e Wirtschaft immer fester in ihr Machtstreb­en einbaut. Dessen ungeachtet werden trotz aller Warnungen vor Spionage oder Sabotage in die kritische Infrastruk­tur Deutschlan­ds, etwa ins 5G-netz, unverdross­en Komponente­n des chinesisch­en Weltmarktf­ührers Huawei eingebaut.

Die deutsche Wirtschaft kann nicht ohne China. Sie muss sich trotz aller Widrigkeit­en arrangiere­n.

Das alles hat wenig Ähnlichkei­t mit der erst 2023 verabschie­deten Chinastrat­egie der Bundesregi­erung, die das Land zwar einerseits als Partner, aber anderersei­ts eben auch als Konkurrent­en und Systemriva­len einstuft und daher einen klareren Kurs forderte, auch was Chinas Umgang mit Menschenre­chtsverlet­zungen, die Unterstütz­ung Russlands oder die Drohungen gegen Taiwan angeht.

Die bittere Wahrheit ist: Die deutsche Wirtschaft kann nicht ohne China. Genau genommen, ist die Abhängigke­it noch viel größer als sie es von den Energielie­ferungen aus Russland war, die nur mit großen Anstrengun­gen kompensier­t werden konnten.

So gesehen ist Scholz‘ Reise ein Eingeständ­nis, dass Europas stärkste Wirtschaft­smacht sich trotz aller Widrigkeit­en mit China arrangiere­n will. Einen Coup wie seinerzeit wird er diesmal wohl trotzdem nicht mit nach Hause nehmen.

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