Überwachung mit dem „Batcorder“
Passen Windenergie und der Schutz von Vögeln und Fledermäusen zusammen? Auf einem einzigartigen Testfeld auf der Schwäbischen Alb wird dies erforscht.
Der hohe, langgezogene Ruf über der Kuchalb erschallt wie bestellt. Am Himmel ist der gegabelte Schwanz in der Silhouette des Rotmilans gut zu erkennen; der Vogel beschreibt großzügige Bögen über den Köpfen einer Besuchergruppe. Artgenossin Lucia auf dem Lederhandschuh von Michael Schanze schaut wach, aber nicht übermäßig interessiert auf die Szenerie. „Wir fangen hier die Rotmilane und besendern sie für das Projekt, um zu überwachen, ob das tatsächlich alles so passt mit der Kamera und der Identifizierung“, erklärt der Falkner.
Es ist ein besonderer Tag auf der Hochfläche hier am Albtrauf. Am neu errichteten Testfeld des Zentrums für Sonnenenergieund Wasserstoff-forschung Baden-württemberg (ZSW) beginnt das Naturschutz-forschungsprojekt „WINSENT“, das dazu beitragen soll, Windkraft und Artenschutz miteinander zu vereinbaren. „Wir sind das einzige Testfeld dieser Art weltweit“, betont Fritjof Staiß, geschäftsführendes Vorstandsmitglied beim ZSW. Auf einer Grundfläche von rund 300 mal 200 Metern stehen zwei 100 Meter hohe Windkraftanlagen und, an den Ecken des Feldes, vier ebenso hohe Masten mit Messinstrumenten.
„Baden-württemberg zum Windenergie-land zu machen, ohne dabei den Artenschutz zu vernachlässigen, das kommt aktuell noch einer Quadratur des Kreises gleich“, sagt Maike Schmidt vom ZSW. Die Wirtschaftsingenieurin muss es wissen, denn sie ist gleichzeitig Vorsitzende des Klima-sachverständigenrats, der die Landesregierung berät. Das Testfeld liegt in einem Dichtezentrum des Rotmilans; von Mai bis Juni müssen die Forscher ihre Anlagen abschalten – noch. Denn ihre Arbeit soll dazu beitragen, dass pauschale Betriebsverbote künftig unnötig werden. Unter anderem wird auf der Kuchalb ein eigenes Anti-kollisionssystem entwickelt, das Vögel im Anflug erfassen und identifizieren, dann die Anlagen je nach Bedarf regulieren soll.
Es geht aber keineswegs nur um Rotmilane. Moderne Technik, Künstliche Intelligenz und Prototypen ermöglichen es den Wissenschaftlern, neben Vögeln auch das Verhalten von Fledermäusen und Insekten zu erfassen. Spezialisierte Partnerorganisationen haben dazu die nötigen Verfahren beigesteuert.
„Versachlichung, Versachlichung, Versachlichung“: Für Alfred Herberg vom Bundesamt für Naturschutz sind Fakten eine Grundvoraussetzung für die naturverträgliche Gestaltung der Energiewende. „Weil wir da sehr viele Widerstände haben.“Als zweiten zentralen Aspekt nennt er den Schulterschluss zwischen Politik, Behörden, Verbänden und Forschung. Angesichts der enormen Ausbauziele im Bereich der erneuerbaren Energien müsse man zunehmend auch Flächen mit Zielkonflikten ins Auge nehmen – und diese Konflikte lösen.
Bund und Land fördern das Projekt mit Millionenbeträgen.
Die Testanlage ist für Herberg „die einmalige Gelegenheit zur Durchführung von Naturschutzforschung an Windenergieanlagen“. Auch Sebastian Olschewski vom Landes-umweltministerium rühmt „ganz herausragende Bedingungen“. Schon die Windkraftanlagen sind nämlich bereits besonders: Das ZSW hat beide selbst hergestellt. Die Projektverantwortlichen kennen die Baupläne mit allen Details; die Forscher können die Anlagen je nach Wunsch steuern. Sie können zum Beispiel nun testen, ob Vögel sich bei unterschiedlichen Rotorgeschwindigkeiten anders verhalten.
„Das ist ja etwas, was Hersteller nicht so gerne haben, diese vollständige Offenlegung und das Ausprobieren verschiedener Zustände“, sagt Sylvia Pilarskygrosch. Die Landesvorsitzende
des BUND Baden-württemberg hat die Entstehung des Testfelds unterstützend begleitet. „Die Biodiversitätskrise ist gleichwertig
der Frage des Klimawandels“, sagt sie. „Und deshalb können wir nicht sagen, wir opfern das eine für das andere.“Höchstmöglicher Artenschutz soll mit größtmöglichem Energieertrag kombiniert werden.
Viele Daten erhoben
Erste Ergebnisse gibt es schon. Um einen Vorher-nachher-vergleich zu ermöglichen, haben die Verantwortlichen in den vergangenen Jahren bereits viele Daten auf der Fläche erhoben. „Sie sehen da hinten am Rand der Wiese ein Gestell mit einem Apparat drauf“, sagt Frank Musiol vom Windenergie-team des ZSW. „Es stand auch mal eins dieser Geräte hier an der Straße, und das hat zu häufigen Bremsbewegungen geführt, weil die Autofahrer dachten, sie werden geblitzt. Da kann ich alle beruhigen: Es handelt sich um eine Fledermaus-waldbox.“
Bruntje Lüdtke vom Freiburger Institut für Angewandte Tierökologie erläutert den auf Infraschallwellen getrimmten „Batcorder“im Inneren; Janine Aschwanden von der Schweizerischen Vogelwarte die Radaranlage, die den Luftraum des Testfeldes überwacht. Das ist längst nicht alles. Laser-entfernungsmessgeräte, Wärmebilderfassung, Insektenfotofallen, Mikrofone, Kameras, das Ki-gestützte System „Birdrecorder“und meteorologische Messtechnik ergänzen sich mit
den Beobachtungen von Vogelwarten und der Besenderung von Rotmilanen zu einem ziemlich lückenlosen System.
Dabei kommen nicht zuletzt tierische Helfer zum Einsatz. „Ich habe auch einen Uhu“, verrät Falkner Schanze auf die Frage, wie er einen Rotmilan fängt. „Der ärgert den Rotmilan. Der wird dann versuchen, ihn zu vertreiben, und fliegt dabei in unser Fangnetz.“Die Ergebnisse all dieses Aufwands sind insofern ermutigend, als sie sich systemübergreifend decken. „Es zeigt sich bisher, dass wir gerade in hohen Höhen relativ wenige Insekten haben, das ist eigentlich analog zur Fledermaus-aktivität“, sagt Henrik Reers vom Freiburger Erfassungsunternehmen Oekofor. Die Befunde passen auch zu biologischen Lehrbüchern. Die Instrumente scheinen also zu funktionieren.
Spannend ist, was geschieht, wenn nun die neuen Windkraftanlagen eingefahren werden. Medien wie das Zdf-magazin „Frontal“haben mehrfach über Studien berichtet, wonach Rotmilane Rotoren ausweichen und nur sehr selten durch Kollision sterben. Vogelfreunde wie die Ornithologische Gesellschaft Baden-württemberg sprachen dagegen von einer „erheblichen“Todesursache. „Umso wichtiger ist es eben auch, dieses Konfliktfeld Naturschutz, Artenschutz und Windenergieausbau mit Fakten zu unterfüttern und gute Lösungen zu entwickeln“, sagt Olschewski vom Umweltministerium.
Wir können nicht sagen, wir opfern das eine für das andere. Sylvia Pilarsky-grosch Landesvorsitzende des BUND