Heidenheimer Zeitung

„Verheerend­e Wirkung“

Immer noch werden manche Eltern handgreifl­ich, um ihre Kinder zu bestrafen. Ebenso schädlich ist aber psychische Gewalt.

- Von Marc Herwig, dpa

Die Zeiten, als der Lehrer im Klassenzim­mer den Rohrstock schwingen durfte, sind zum Glück längst vorbei. Doch eine gewisse körperlich­e Züchtigung finden erstaunlic­h viele Eltern bis heute sinnvoll. Dabei ist längst belegt, dass Körperstra­fen für die Erziehung nicht hilfreich sind und die Kinder im schlimmste­n Fall für ihr Leben zeichnen. Darauf will der Tag für gewaltfrei­e Erziehung am Dienstag aufmerksam machen. Die Wissenscha­ft nimmt inzwischen noch einen weiteren Bereich in den Fokus: Emotionale Gewalt. Die Schwelle dafür kann im täglichen Erziehungs­trubel oder im Sportverei­n relativ schnell überschrit­ten werden.

Unter Männern ist die Zustimmung zu Körperstra­fen deutlich höher als unter Frauen. Und: Wer als Kind selbst körperlich gezüchtigt wurde, macht das bei seinen Kindern oft ähnlich, wie eine Studie der Uniklinik Ulm ergeben hat (siehe Box). Die Ulmer Wissenscha­ftler sprechen von einem „Teufelskre­is der Gewalt“.

„So eine Strafe führt eigentlich immer in einen Machtkampf, der wenig Lerneffekt und viel Widern- eine verheerend­e Wirkung haben, stand bei einem Kind hervorruft“, sagt Andresen. „Wenn man betont Tobias Hecker, Professor solche Sprüche über Jahre hört, für Klinische Psychologi­e und dann kann das massive Folgen haben, Gewaltfors­chung an der Uni Bielefeld. auch für die Bildungsch­ancen eines Kindes.“

In vielen Fällen läuft Gewalt Anders als bei körperlich­er Gegegenübe­r Kindern aber viel subtiler walt wissen Forschende bislang und ohne Handgreifl­ichkeiten noch relativ wenig über emotionale ab – etwa mit abfälligen Bemerkunge­n Gewalt in Familie oder Schule. oder demotivier­endem Die Sporthochs­chule Köln und Feedback. „Das wird häufig die Uniklinik Ulm haben 2022 den gar nicht als Gewalt wahrgenomm­en“, Vereinsspo­rt unter die Lupe genommen. sagt Hecker. „Aber wenn 4300 Mitglieder­n von man die Folgen anschaut, dann ist Sportverei­nen wurden befragt, 63 das für die psychische Gesundheit Prozent gaben an, psychische Gewalt mindestens genauso schwerwieg­end – vielleicht sogar schwerwieg­ender.“

Meist finde emotionale Gewalt durch fast beiläufige Sätze statt.

„Erwachsene verfügen über unendlich viele Möglichkei­ten, ein

Kind in Angst und Schrecken zu versetzen, ohne es anzurühren“, sagt Sabine Andresen, Präsidenti­n des Deutschen Kinderschu­tzbundes. „Das schaffst Du eh nicht!“, sei so ein Satz. Oder:

„Jetzt stell dich nicht so an!“

Gerade in einer Phase, in der

Kinder Selbstbewu­sstsein entwickeln sollen, könnten solche Sätdze

im Verein erfahren zu haben, die meisten mehrfach. Das sind Sätze wie „Du ziehst das ganze Team runter“oder abfällige Bemerkunge­n über das Gewicht.

„Oft fehlt es den Erwachsene­n an Bewusstsei­n dafür, wie sehr solche Sätze die Kinder entwürdige­n und demotivier­en“, sagt Andresen. In einer internatio­nalen Studie hätten die befragten Kinder gesagt, einmal eine Ohrfeige zu bekommen sei weniger schlimm als in einem Klima emotionale­r Gewalt leben zu müssen.

Die Mahnung zu einer gewaltfrei­en Erziehung heiße aber nicht, dass man den Kindern alles durchgehen lassen müsse. „Kinder brauchen Orientieru­ng. Es ist wichtig, ihnen Grenzen zu setzen und Regeln für das Miteinande­r zu vermitteln“, betont Hecker. „Wenn das Kind solche Regeln nicht einhält, dann darf das Konsequenz­en haben.“

Und wer als Vater oder Mutter einmal aus der Haut fährt, habe deshalb nicht sofort versagt. „Jedes Elternteil wird irgendwann mal ein Kind anschreien“, sagt Hecker. Aber es sei wichtig, sich danach zu reflektier­en.

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