Ein Mann entfernt sich von sich selbst
Zum Start in Schwetzingen beeindruckt die Oper „Der Doppelgänger“von Lucia Ronchetti.
„Da capo“, also „Wiederholung“, ist das Motto der diesjährigen Schwetzinger SWR Festspiele. Es passte auch gut zur Opernpremiere zur Eröffnung: Im Rokokotheater wurde „Der Doppelgänger“nach dem gleichnamigen Roman von Fjodor Dostojewski in einer Inszenierung von David Hermann uraufgeführt. Darin geht es um den Beamten Goljadkin.
Der hat sich in Klara verliebt, die Tochter seines Vorgesetzten – also eine aussichtslose Sache. Zudem erlebt er das zaristische Beamtensystem als eines aus Absurdistan: Selbst die Mitarbeiter der Behörde scheinen nicht zu wissen, welche Vorgänge sie auf ihren Schreibtischen bearbeiten. Es gilt gegenüber den hohen Tieren zu buckeln und die Kollegen auszustechen, um voranzukommen. Diese Verhältnisse lassen Goljadkin immer mehr in einen psychotischen Zustand rutschen, bis er seinem eigenen Doppelgänger zu begegnen meint, der all das verkörpert, was er selbst nicht erreichen kann.
Diesen Plot hat die Ingeborgbachmann-preisträgerin Katja Petrowskaja in ein knappes Libretto umgeschmolzen und die vielfach ausgezeichnete Komponistin Lucia Ronchetti in Musik gesetzt. Die scheint geradewegs dem Kopf des Beamten zu entspringen: ein Sammelsurium von musikalischen Erinnerungsfetzen aus russischer Folklore, Opernund Ballettmelodien, freilich fast zur Unkenntlichkeit verfremdet.
Dieses Patchwork wird zusammengehalten durch eine Art durchgängige Geräuschkulisse, die vor allem das Schlagwerk beisteuert: Getrappel der Kutschenpferde, Heulen des Windes, Knallen der Aktenordner. Das Swrsinfonieorchester unter der Leitung von Tito Ceccherini setzt das fulminant um. Einfach besetzte Streicher, Bläser und das Perkussionsensemble
entlassen im Laufe des Abends immer beklemmendere Klänge aus dem Graben.
In der Titelrolle glänzt der Bariton Peter Schöne. Der darf am Anfang noch singen, verfällt aber – je weiter seine Psyche aus der Balance gerät – immer mehr ins Sprechen, ins Falsett, ins Stöhnen und Röcheln. Seine Angebetete Klara gibt Olivia Stahn mal mit betörendem Sopran, mal mit schrillen Ausbrüchen. In verschiedenen Rollen, etwa als Diener, Vorgesetzte und Arzt, sind Robert Maszl, Zvi Emanuel-marial, Christian Tschelebiew und Vladyslav Tlushch zu erleben.
Der Raum wird immer enger
Die komplette Höhe und Breite der von Bettina Meyer entworfenen Bühne nimmt eine Art überdimensionaler grauer Setzkasten ein. Räume, deren Decken, Böden und Seitenwände sich ständig verschieben. Das Büro, in dem die Beamten ihren Dienst verrichten, ist so niedrig, dass sie nur in gebückter Haltung auf Hockern sitzen können. Goljadkin droht fast zerquetscht zu werden.
Sein Doppelgänger aber erhält immer mehr Raum, auch musikalisch: Christian Tschelebiew darf immer ausuferndere Melodielinien singen, während sein originaler Gegenspieler am Ende nur noch unartikulierte Laute von sich gibt.