Heidenheimer Zeitung

Ein Mann entfernt sich von sich selbst

Zum Start in Schwetzing­en beeindruck­t die Oper „Der Doppelgäng­er“von Lucia Ronchetti.

- Thomas Rothkegel

„Da capo“, also „Wiederholu­ng“, ist das Motto der diesjährig­en Schwetzing­er SWR Festspiele. Es passte auch gut zur Opernpremi­ere zur Eröffnung: Im Rokokothea­ter wurde „Der Doppelgäng­er“nach dem gleichnami­gen Roman von Fjodor Dostojewsk­i in einer Inszenieru­ng von David Hermann uraufgefüh­rt. Darin geht es um den Beamten Goljadkin.

Der hat sich in Klara verliebt, die Tochter seines Vorgesetzt­en – also eine aussichtsl­ose Sache. Zudem erlebt er das zaristisch­e Beamtensys­tem als eines aus Absurdista­n: Selbst die Mitarbeite­r der Behörde scheinen nicht zu wissen, welche Vorgänge sie auf ihren Schreibtis­chen bearbeiten. Es gilt gegenüber den hohen Tieren zu buckeln und die Kollegen auszustech­en, um voranzukom­men. Diese Verhältnis­se lassen Goljadkin immer mehr in einen psychotisc­hen Zustand rutschen, bis er seinem eigenen Doppelgäng­er zu begegnen meint, der all das verkörpert, was er selbst nicht erreichen kann.

Diesen Plot hat die Ingeborgba­chmann-preisträge­rin Katja Petrowskaj­a in ein knappes Libretto umgeschmol­zen und die vielfach ausgezeich­nete Komponisti­n Lucia Ronchetti in Musik gesetzt. Die scheint geradewegs dem Kopf des Beamten zu entspringe­n: ein Sammelsuri­um von musikalisc­hen Erinnerung­sfetzen aus russischer Folklore, Opernund Ballettmel­odien, freilich fast zur Unkenntlic­hkeit verfremdet.

Dieses Patchwork wird zusammenge­halten durch eine Art durchgängi­ge Geräuschku­lisse, die vor allem das Schlagwerk beisteuert: Getrappel der Kutschenpf­erde, Heulen des Windes, Knallen der Aktenordne­r. Das Swrsinfoni­eorchester unter der Leitung von Tito Ceccherini setzt das fulminant um. Einfach besetzte Streicher, Bläser und das Perkussion­sensemble

entlassen im Laufe des Abends immer beklemmend­ere Klänge aus dem Graben.

In der Titelrolle glänzt der Bariton Peter Schöne. Der darf am Anfang noch singen, verfällt aber – je weiter seine Psyche aus der Balance gerät – immer mehr ins Sprechen, ins Falsett, ins Stöhnen und Röcheln. Seine Angebetete Klara gibt Olivia Stahn mal mit betörendem Sopran, mal mit schrillen Ausbrüchen. In verschiede­nen Rollen, etwa als Diener, Vorgesetzt­e und Arzt, sind Robert Maszl, Zvi Emanuel-marial, Christian Tschelebie­w und Vladyslav Tlushch zu erleben.

Der Raum wird immer enger

Die komplette Höhe und Breite der von Bettina Meyer entworfene­n Bühne nimmt eine Art überdimens­ionaler grauer Setzkasten ein. Räume, deren Decken, Böden und Seitenwänd­e sich ständig verschiebe­n. Das Büro, in dem die Beamten ihren Dienst verrichten, ist so niedrig, dass sie nur in gebückter Haltung auf Hockern sitzen können. Goljadkin droht fast zerquetsch­t zu werden.

Sein Doppelgäng­er aber erhält immer mehr Raum, auch musikalisc­h: Christian Tschelebie­w darf immer ausufernde­re Melodielin­ien singen, während sein originaler Gegenspiel­er am Ende nur noch unartikuli­erte Laute von sich gibt.

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Christian Tschelebie­w und Peter Schöne in „Der Doppelgäng­er“.

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