Zeit spielt für Hamas
Die zähen Verhandlungen um eine Feuerpause im Gazakrieg offenbaren ein grundsätzliches Dilemma: Es gibt keine Variante, die allen drei betroffenen Gruppen – Israel, Hamas und der Zivilbevölkerung im Gazastreifen – gleichermaßen Vorteile bringt. Wir erleben ein Spiel auf Zeit. Die bittere Wahrheit ist: Der Krieg nützt beiden Kriegsparteien. Die radikal-islamische Hamas profitiert von jedem Kriegstag, weil er neue Opfer hervorbringt, mit denen man Israel auch im Westen anprangern kann. Dass ihnen die Zivilisten als Menschen egal sind, haben führende Hamas-vertreter schon zu Beginn des Krieges klargemacht: Deren Versorgung sei Sache der Uno, nicht der Hamas.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu wiederum rückt nicht nur mit jedem Tag des Krieges seinem
Ziel näher, die Hamas zu zerschlagen.
Er weiß auch, dass er aus dem Amt gefegt wird, sobald der Krieg zu Ende ist. Sein Versagen vor dem 7. Oktober und die Korruptionsvorwürfe bieten genug Stoff zur Aufarbeitung.
Ein Waffenstillstand böte zwar den Zivilisten eine Atempause, Israel die Hoffnung auf die Freilassung weiterer Geiseln und gäbe der Hamas eine Möglichkeit zur Erholung. Aber letztlich wäre er nur die Windstille vor der Entscheidungsschlacht – um die letzte Zuflucht der Terroristen: die Stadt Rafah. Kein Wunder, dass Gazas Hamas-chef Jihia al-sinwar auf ein Ende des Krieges pokert, statt einer Feuerpause zuzustimmen: Er will die Tunnel von Rafah erhalten, wo Tausende Kämpfer erneut Angriffe auf Israel planen könnten. Die Terroristen haben keine Eile; die Zeit ist auf ihrer Seite. Zumal sie sehen, dass in westlichen linken und muslimischen Kreisen die Unterstützung für sie wächst.