Fitness-studio in der Hosentasche
Der digitale persönliche Trainer ist nur ein paar Klicks entfernt. Fitness-anbieter versprechen individuelle Workouts und intelligente Geräte – alles mithilfe von KI. Das Potenzial ist scheinbar unbegrenzt. Doch nicht jeder Helfer überzeugt.
Chatgpt bekommt die Note 2-3. Chang-hun Chung muss schon etwas streng sein. So richtig überzeugt hat ihn die Künstliche Intelligenz (KI) nicht. Der Bodybuilder und Fitnesstrainer hat sich für ein Youtube-video mehrere Trainingspläne erstellen lassen. Einen allgemeinen, einen für Bodybuilder und einen für eine übergewichtige Person. Sein Fazit: nette Spielerei. Aber: „Begeistert bin ich nicht.“
Der Kölner hat mehr erwartet. Schließlich wird ihm online etwas anderes versprochen. KI dringt in die Sport-szene vor. Das Angebot ist so vielfältig wie in einem Supermarkt. Sportlerinnen und Sportler finden Apps, die ihnen Training und Ernährung vorgeben. Geräte, die sich automatisch ihrer Leistung anpassen. Programme, die Puls und Schlaf überwachen. Das Versprechen: ein Training, das effektiver, ertragreicher und einfach erfolgreicher ist.
Hat Chang-hun Chung also nur etwas falsch gemacht? Oder steht KI im Sporttraining etwa für Katastrophen-investment?
Ki-trainer mit 57 Millionen Daten
In der Berg-am-laim-straße 111 in München würden sie sicher ersteres sagen. Dort hat die Firma „Freeletics“ihren Hauptsitz. Drei Studenten haben sie 2013 gegründet, als Alternative zum Fitnessstudio. Ihre selbst gegebene Mission: ein Fitnesskonzept für das 21. Jahrhundert.
Am Anfang bestand dieses Konzept aus nicht mehr als ein paar Youtube-videos, Facebook-gruppen und dreiseitigen Pdf-trainingsplänen. Inzwischen interpretiert Freeletics das ein bisschen anders. Das Unternehmen hat 78 Mitarbeiter aus 28 Nationen, macht Millionen-umsätze und wirbt unter anderem mit dem Spruch: „Lass deine Reise jetzt beginnen.“
Es ist eine Sportreise über mehrere Wochen. Und die wird begleitet. Die Nutzerinnen und Nutzer der App bekommen einen Ki-coach zur Seite gestellt. Der unterscheidet sich deutlich vom Fitnessplapperer, den der Bodybuilder Changhun Chung ausprobiert hat.
Frühe Experimente
Der Freeletics-coach will alles genau wissen: Größe, Gewicht, beruflicher Alltag, Trainingsgeräte, Vorerfahrung undundund. Auf dieser Basis spuckt er individualisierte Trainingspläne aus. Das macht er schon seit 2017 so. Freeletics hat früh mit KI experimentiert – und hat in dieser Zeit eine Menge Daten angehäuft. „Aktuell lernt und arbeitet unsere KI mit über 57 Millionen Datenpunkten“, schreibt das Unternehmen auf Anfrage.
Dadurch ist der Coach schlau geworden. Er ist so weit, dass er die Pläne an den Alltag der Kundinnen und Kunden anpasst. Dass er die Intensität beliebig verstellen kann. Dass er vom persönlichen Feedback der Sportler lernt. Seine Dienste kosten knapp 100 Euro pro Jahr. „Wir möchten Menschen einen möglichst individualisierten Zugang zu einem fitten und gesunden Lifestyle ermöglichen, auch wenn sie sich keinen persönlichen Trainer leisten können“, schreibt Freeletics.
Die SG Flensburg-handewitt kann sich noch einen leisten. Michael Döring heißt er, und seine offizielle Jobbeschreibung beim Handball-bundesligisten lautet Athletiktrainer. Ein Standardberuf im Profisport. Aber Döring ist ein besonderer Athletiktrainer. Er versucht den Handball-sport mit KI aufzumischen.
Daran arbeitet er seit ein paar Jahren – gemeinsam mit der Uni Paderborn. Sie haben einen Algorithmus entwickelt, der verschiedene Spielszenen simuliert. Dafür fütterten sie die KI mit den Daten von knapp 600 Bundesliga-spielen. „Zurzeit fühlt sich die KI an wie ein Elf- oder Zwölfjähriger“, sagt Döring. „Es ist schon mal lobenswert, hinzuhören, was sie zu sagen hat. Aber wir müssen sie noch cleverer und stabiler machen.“
Döring hat wenig Zweifel, dass das funktionieren wird. Das Innovationstempo sei rasant. So rasant, dass er manchmal ein mulmiges Gefühl bekommt. Döring wird regelmäßig angerufen. Am Apparat: ein Kollege, der ihm die aktuellsten Ki-neuerungen im Sport berichtet. „Es ist schon krass, was da auf uns zukommt“, sagt der Trainer. Der 47-Jährige traut sich gar nicht mehr, eine Prognose für die kommenden Jahre abzugeben. Er hat aber eine Vermutung: „Je mehr das Alltag im Profisport wird, desto stärker wird das auch nach unten durchschlagen.“
Bei Dominic Schwarz ist der Sport der Zukunft schon angekommen. Der Internet-blogger probierte schon vor zwei Jahren ein Fitnessstudio aus, das komplett auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist. Die Geräte passten sich seiner Größe, seiner Leistung und seinem Trainingsziel an. Entwickelt wurden sie im Berliner Bezirk Pankow – von einem Unternehmen, das sich „Egym“nennt.
Die Firma ist das, was man im Wirtschaftsdeutsch einen „Hidden Champion“nennt, einen heimlichen Marktführer also. Egym beliefert Studios mit ihren smarten Trainingsgeräten, setzt jedes Jahr mehrere Hundert Millionen Euro um – und hat auch KI für sich entdeckt.
„Egym Genius“heißt die Software, die im Herbst auf den Markt kommt. Sie verspricht das, was die Fitness-app auch verspricht: personalisierte Trainingspläne, die sich danach richten, welche Geräte
im jeweiligen Fitnessstudio zur Verfügung stehen. Dazu wertet die EGYMKI die Trainingsdaten aus und dokumentiert zeitgleich die Fortschritte. Und das ist nur die erste Version.
Was wird da noch in Zukunft kommen? Freeletics sagt selbstbewusst: „Die Möglichkeiten, die uns KI bietet, sind grenzenlos.“Das liegt auch daran, dass Handy-nutzerinnen und -Nutzer ihre Daten zur Verfügung stellen. Nicht nur beim Sporttraining, sondern auch im Alltag.
Der Tech-gigant Apple bietet mit seiner Fitnessuhr ein Komplettpaket: Puls, Laufstrecke, Kalorienverbrauch – alles wird erfasst. Freeletics integriert diese Datenquellen seit ein paar Monaten. „Damit hat man ein ganzheitliches Fitnesstracking.“
Wir möchten Menschen einen individualisierten Zugang zu einem fitten Lifestyle ermöglichen. Freeletics Fitness-app-anbieter aus München
Kein Ersatz für den Menschen
Hört sich nicht gut an für den Menschen. Jedenfalls nicht für den menschlichen Trainer. Wenn die KI alles über den Sportler weiß und dazu mit Millionen anderer Daten vollgestopft ist – wofür braucht man dann noch einen Coach?
Michael Döring von der SG Flensburg/ Handewitt hört diese Frage oft. Seine Antwort ist immer gleich: Nein, die KI wird Trainer nicht ersetzen. Zum Sport – besonders zum Teamsport – gehöre mehr als nur Pläne zu erstellen oder Taktiken vorzuschlagen. „Der Mensch ist keine Maschine“, sagt er. „Ich glaube, in den Berufen, in denen man viel Eins-zu-einsbetreuung hat, wird immer eine Person dabeibleiben.“
Das sind wohl gute Nachrichten für Chang-hun Chung. Der 33-Jährige arbeitet selbst in der Branche, betreut unter Kampfsportler als Sportpsychologe. Früher ging er auch auf Wettkämpfe. Der Bodybuilder wurde 2016 unter anderem Landesmeister in Nordrhein-westfalen – ganz ohne Ki-hilfe.