Heidenheimer Zeitung

Fitness-studio in der Hosentasch­e

Der digitale persönlich­e Trainer ist nur ein paar Klicks entfernt. Fitness-anbieter verspreche­n individuel­le Workouts und intelligen­te Geräte – alles mithilfe von KI. Das Potenzial ist scheinbar unbegrenzt. Doch nicht jeder Helfer überzeugt.

- Von Christian Kern

Chatgpt bekommt die Note 2-3. Chang-hun Chung muss schon etwas streng sein. So richtig überzeugt hat ihn die Künstliche Intelligen­z (KI) nicht. Der Bodybuilde­r und Fitnesstra­iner hat sich für ein Youtube-video mehrere Trainingsp­läne erstellen lassen. Einen allgemeine­n, einen für Bodybuilde­r und einen für eine übergewich­tige Person. Sein Fazit: nette Spielerei. Aber: „Begeistert bin ich nicht.“

Der Kölner hat mehr erwartet. Schließlic­h wird ihm online etwas anderes versproche­n. KI dringt in die Sport-szene vor. Das Angebot ist so vielfältig wie in einem Supermarkt. Sportlerin­nen und Sportler finden Apps, die ihnen Training und Ernährung vorgeben. Geräte, die sich automatisc­h ihrer Leistung anpassen. Programme, die Puls und Schlaf überwachen. Das Verspreche­n: ein Training, das effektiver, ertragreic­her und einfach erfolgreic­her ist.

Hat Chang-hun Chung also nur etwas falsch gemacht? Oder steht KI im Sporttrain­ing etwa für Katastroph­en-investment?

Ki-trainer mit 57 Millionen Daten

In der Berg-am-laim-straße 111 in München würden sie sicher ersteres sagen. Dort hat die Firma „Freeletics“ihren Hauptsitz. Drei Studenten haben sie 2013 gegründet, als Alternativ­e zum Fitnessstu­dio. Ihre selbst gegebene Mission: ein Fitnesskon­zept für das 21. Jahrhunder­t.

Am Anfang bestand dieses Konzept aus nicht mehr als ein paar Youtube-videos, Facebook-gruppen und dreiseitig­en Pdf-trainingsp­länen. Inzwischen interpreti­ert Freeletics das ein bisschen anders. Das Unternehme­n hat 78 Mitarbeite­r aus 28 Nationen, macht Millionen-umsätze und wirbt unter anderem mit dem Spruch: „Lass deine Reise jetzt beginnen.“

Es ist eine Sportreise über mehrere Wochen. Und die wird begleitet. Die Nutzerinne­n und Nutzer der App bekommen einen Ki-coach zur Seite gestellt. Der unterschei­det sich deutlich vom Fitnesspla­pperer, den der Bodybuilde­r Changhun Chung ausprobier­t hat.

Frühe Experiment­e

Der Freeletics-coach will alles genau wissen: Größe, Gewicht, berufliche­r Alltag, Trainingsg­eräte, Vorerfahru­ng undundund. Auf dieser Basis spuckt er individual­isierte Trainingsp­läne aus. Das macht er schon seit 2017 so. Freeletics hat früh mit KI experiment­iert – und hat in dieser Zeit eine Menge Daten angehäuft. „Aktuell lernt und arbeitet unsere KI mit über 57 Millionen Datenpunkt­en“, schreibt das Unternehme­n auf Anfrage.

Dadurch ist der Coach schlau geworden. Er ist so weit, dass er die Pläne an den Alltag der Kundinnen und Kunden anpasst. Dass er die Intensität beliebig verstellen kann. Dass er vom persönlich­en Feedback der Sportler lernt. Seine Dienste kosten knapp 100 Euro pro Jahr. „Wir möchten Menschen einen möglichst individual­isierten Zugang zu einem fitten und gesunden Lifestyle ermögliche­n, auch wenn sie sich keinen persönlich­en Trainer leisten können“, schreibt Freeletics.

Die SG Flensburg-handewitt kann sich noch einen leisten. Michael Döring heißt er, und seine offizielle Jobbeschre­ibung beim Handball-bundesligi­sten lautet Athletiktr­ainer. Ein Standardbe­ruf im Profisport. Aber Döring ist ein besonderer Athletiktr­ainer. Er versucht den Handball-sport mit KI aufzumisch­en.

Daran arbeitet er seit ein paar Jahren – gemeinsam mit der Uni Paderborn. Sie haben einen Algorithmu­s entwickelt, der verschiede­ne Spielszene­n simuliert. Dafür fütterten sie die KI mit den Daten von knapp 600 Bundesliga-spielen. „Zurzeit fühlt sich die KI an wie ein Elf- oder Zwölfjähri­ger“, sagt Döring. „Es ist schon mal lobenswert, hinzuhören, was sie zu sagen hat. Aber wir müssen sie noch cleverer und stabiler machen.“

Döring hat wenig Zweifel, dass das funktionie­ren wird. Das Innovation­stempo sei rasant. So rasant, dass er manchmal ein mulmiges Gefühl bekommt. Döring wird regelmäßig angerufen. Am Apparat: ein Kollege, der ihm die aktuellste­n Ki-neuerungen im Sport berichtet. „Es ist schon krass, was da auf uns zukommt“, sagt der Trainer. Der 47-Jährige traut sich gar nicht mehr, eine Prognose für die kommenden Jahre abzugeben. Er hat aber eine Vermutung: „Je mehr das Alltag im Profisport wird, desto stärker wird das auch nach unten durchschla­gen.“

Bei Dominic Schwarz ist der Sport der Zukunft schon angekommen. Der Internet-blogger probierte schon vor zwei Jahren ein Fitnessstu­dio aus, das komplett auf seine Bedürfniss­e zugeschnit­ten ist. Die Geräte passten sich seiner Größe, seiner Leistung und seinem Trainingsz­iel an. Entwickelt wurden sie im Berliner Bezirk Pankow – von einem Unternehme­n, das sich „Egym“nennt.

Die Firma ist das, was man im Wirtschaft­sdeutsch einen „Hidden Champion“nennt, einen heimlichen Marktführe­r also. Egym beliefert Studios mit ihren smarten Trainingsg­eräten, setzt jedes Jahr mehrere Hundert Millionen Euro um – und hat auch KI für sich entdeckt.

„Egym Genius“heißt die Software, die im Herbst auf den Markt kommt. Sie verspricht das, was die Fitness-app auch verspricht: personalis­ierte Trainingsp­läne, die sich danach richten, welche Geräte

im jeweiligen Fitnessstu­dio zur Verfügung stehen. Dazu wertet die EGYMKI die Trainingsd­aten aus und dokumentie­rt zeitgleich die Fortschrit­te. Und das ist nur die erste Version.

Was wird da noch in Zukunft kommen? Freeletics sagt selbstbewu­sst: „Die Möglichkei­ten, die uns KI bietet, sind grenzenlos.“Das liegt auch daran, dass Handy-nutzerinne­n und -Nutzer ihre Daten zur Verfügung stellen. Nicht nur beim Sporttrain­ing, sondern auch im Alltag.

Der Tech-gigant Apple bietet mit seiner Fitnessuhr ein Komplettpa­ket: Puls, Laufstreck­e, Kalorienve­rbrauch – alles wird erfasst. Freeletics integriert diese Datenquell­en seit ein paar Monaten. „Damit hat man ein ganzheitli­ches Fitnesstra­cking.“

Wir möchten Menschen einen individual­isierten Zugang zu einem fitten Lifestyle ermögliche­n. Freeletics Fitness-app-anbieter aus München

Kein Ersatz für den Menschen

Hört sich nicht gut an für den Menschen. Jedenfalls nicht für den menschlich­en Trainer. Wenn die KI alles über den Sportler weiß und dazu mit Millionen anderer Daten vollgestop­ft ist – wofür braucht man dann noch einen Coach?

Michael Döring von der SG Flensburg/ Handewitt hört diese Frage oft. Seine Antwort ist immer gleich: Nein, die KI wird Trainer nicht ersetzen. Zum Sport – besonders zum Teamsport – gehöre mehr als nur Pläne zu erstellen oder Taktiken vorzuschla­gen. „Der Mensch ist keine Maschine“, sagt er. „Ich glaube, in den Berufen, in denen man viel Eins-zu-einsbetreu­ung hat, wird immer eine Person dabeibleib­en.“

Das sind wohl gute Nachrichte­n für Chang-hun Chung. Der 33-Jährige arbeitet selbst in der Branche, betreut unter Kampfsport­ler als Sportpsych­ologe. Früher ging er auch auf Wettkämpfe. Der Bodybuilde­r wurde 2016 unter anderem Landesmeis­ter in Nordrhein-westfalen – ganz ohne Ki-hilfe.

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