Grüne in der nd Kampfzone
Die Grünen werden von allen Parteien am häufigsten Ziel von Angriffen. Besonders im Osten haben sie einen schweren Stand. Wie wappnen sie sich gegen Attacken?
Als sie von den Prügel-attacken in Dresden hörte, war Sabrina Wiedicke mulmig. Männer hatten beim Plakatieren brutal auf einen Spd-abgeordneten eingeschlagen. Auch ein Grünen-mitglied war Opfer einer Attacke. Erst prügelten sie mit der Faust, dann traten die Angreifer auf den am Boden liegenden Wahlkämpfer ein. Wiedicke ist bei den Grünen und Kommunalwahlkämpferin in Brandenburg. Wenige Stunden nach diesen Nachrichten soll sie an Haustüren klingeln, Flyer verteilen und für Grüne werben.
Seit Beginn des Kommunal- und Europawahlkampfs überschlagen sich die Nachrichten von Angriffen auf Politiker und Wahlkampfhelfer. Die Grünen stehen häufig im Zentrum der Attacken. In Chemnitz entriss ein Mann einem Wahlkämpfer eine Leiter, schlug mit dieser auf ein Plakat ein, der Grüne wurde leicht verletzt. In Zwickau schlug ein Mann einem Wahlkämpfer das Handy aus der Hand, nahm Plakate mit. In Brandenburg bedrängten Demonstranten das Auto von Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-eckardt und schlugen darauf ein, die Polizei ermittelt wegen Nötigung.
Vertreter aller Parteien werden Opfer von Belästigung, Angriffen, Nötigung. Sie werden beschimpft, bespuckt, beleidigt, ihre Wahlkampfbüros beschmiert und beschädigt. Besonders aber die Grünen hatten zuletzt unter den Attacken zu leiden. Laut Bundesregierung gab es im Jahr 2023 1219 Angriffe auf ihre Vertreter oder Einrichtungen, 2022 waren es 575. Vor 2022 war die AFD Hauptleidtragende, im vergangenen Jahr wurden sie weit weniger häufig attackiert als Grüne: 478 Mal.
Eines fällt dabei auf: Viele Attacken ereigneten sich zuletzt im Osten. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen wird in diesem Jahr auf unterschiedlichen Ebenen gewählt. Zuerst stehen am 9. Juni die Europawahl und parallel Kommunalwahlen an, im Herbst entscheiden die Thüringer, Sachsen und Brandenburger über die Zusammensetzung der Landtage. In den von vielen sozialen und politischen Umbrüchen geprägten Regionen haben die Grünen traditionell einen schweren Stand. Bei den letzten Bundestagswahlen erzielten sie im Osten das schlechteste Zweitstimmenergebnis aller Parteien. Und das wohlgemerkt in einer Phase, wo die Zustimmung zu Klimaschutzmaßnahmen noch groß war. Es war die Zeit vor dem energischen Eintreten für Waffenlieferungen an die Ukraine, vor dem Desaster mit dem Heizungsgesetz und vor den Bauernprotesten. Liegen die Grünen in bundesweiten Umfragen bei 13 bis 15 Prozent, sind es im Osten sieben bis zehn Prozentpunkte weniger.
Wie wappnen sich Grüne?
Die Spitzenpolitiker der Grünen klagen über die aggressive Situation. Doch können sich die Parteichefin Ricarda Lang, Landwirtschaftsminister Cem Özdemir oder Außenministerin Annalena Baerbock auf Personenschützer des Bundeskriminalamtes verlassen. Wer im Kommunalwahlkampf antritt, ist allein, schutzlos, hat nur seine Worte. Was erleben Grüne Kommunalpolitiker im Wahlkampf in ihrer ostdeutschen Heimat? Wie wappnen sie sich gegen Angriffe oder ist alles ganz harmlos?
Die Reise beginnt im Berliner Speckgürtel, im Brandenburger Ort Falkensee. Hier leben viele Zugezogene aus der Hauptstadt, die Grünen stellen die stärkste Fraktion im Kreistag. Sabrina Wiedicke ist heute mit Julia Concu unterwegs. Concu ist Wahlkampf-profi. Die Frau mit dem Kurzhaarschnitt war 2023 Bürgermeisterkandidatin und scheiterte knapp. Im Ortverbandsbüro packen sich die Frauen die Taschen voll mit Flyern, grünen Stiften und veganen Gummibärchen. Am Fenster hängt ein Sticker, auf dem steht: „Hass ist keine Alternative – für Deutschland“. Doch Hass haben die Grünen im Ort in diesem Wahlkampf schon erlebt. Einer Mitstreiterin wurden Eier vor die Haustür geworfen. Einmal hing an der Scheibe der Zentrale ein Aufkleber, an dem eine Rasierklinge angebracht war. Naiv dürfe man nicht in den Wahlkampf gehen, sagt Concu.
Von dieser Ablehnung bekommen die Frauen an diesem verregneten Sonntagmorgen wenig mit. Viele Bürger wünschen ihnen Erfolg. Falkensee ist Heimspiel, von Schlägertrupps wie in Dresden ist hier nichts zu sehen. Gegen Vorurteile, die sich in den Köpfen verfestigt haben, müssen die Falkenseerinnen trotzdem angehen. Am Gartenzaun entspinnt sich ein Gespräch mit einer älteren Frau
mit sonnengegerbter Haut. Es geht um Geflüchtete. „Die Syrer kriegen alles, wir nichts“, sagt die Frau. „Dafür können aber die Menschen aus Syrien nichts“, entgegnet Concu. „Das sind fast alles junge Männer. Die klauen sowieso“, beharrt die Frau. „Stimmt nicht. Ich arbeite bei der Strafvollzugsbehörde. Die wenigsten Straftaten kommen von Geflüchteten, die meisten von Clans“, entgegnet Concu und weiter: „Bitte gehen Sie wählen, aber demokratisch. Wir wollen keinen Nationalsozialismus in Deutschland.“Die Frau nickt. „Dat stimmt.“
Der Einsatz für demokratische Werte und gegen die AFD hat nicht nur Concu zu den Grünen gebracht. Gerade in der Zeit nach den Enthüllungen um Deportationsphantasien von Afd-mitgliedern und anderen Rechtsextremen haben die Grünen Zulauf erfahren. Seit Beginn des Jahres sind 10.000 neue Mitglieder in die Partei eingetreten. Auf die Listen zur Kommunalwahl haben sich so viele schreiben lassen wie nie zuvor.
Eine von ihnen ist Coretta Storz. Seit 17 Jahren wohnt die Grüne in Chemnitz, gebürtig stammt sie aus Thüringen. Ihren politischen Initiationsmoment erleb
te Storz im Spätsommer 2018. Damals wurden drei Asylbewerber verdächtigt, einen Mann bei einem Stadtfest erstochen zu haben. In der Folge marschierten mehrere Tausend Neonazis in der Innenstadt auf, zeigten Hitlergrüße und schrien Nazi-parolen. Storz war bei einer der Gegendemonstrationen. „Ich habe auf der anderen Seite gestanden. Ich habe die Hitlergrüße gesehen und gehört, wie sie brüllten: „Das ist unsere Stadt“, erzählt sie heute. „Da dachte ich bei mir: Nee, das ist nicht eure Stadt.“Sie suchte nach einer Partei, die sie in ihrem Kampf gegen Rechtsextreme unterstützte. So kam sie zu den Grünen. „Grüne sind eine hörbare Kraft gegen rechten Hass“, sagt sie.
Von diesem bekommt die Chemnitzerin selbst viel ab. Einmal sei das Büro des Ortsverbands mit Kot beschmiert worden. Ein anderes Mal, als sie mit dem Lastenrad im Bundestagswahlkampf unterwegs war, wurde sie von einer Gruppe bedrängt. Da bekam sie das erste Mal richtig Angst. Ein anderes Mal schlenderte sie an einem Laden vorbei, wo Sticker mit dem Slogan auslagen: „Jagt die Grünen aus dem Land.“Da ging sie in den Laden und sprach die Verkäuferin darauf an. Dass sie die Sticker als bedrohlich empfinde und ob das denn eine gute Art des Umgangs miteinander sei. Die Verkäuferin reagierte beschämt, nahm die Sticker aus der Auslage. Eine Woche später lagen sie wieder da.
„Die Grünen waren im Osten schon immer eine Angriffsfläche“, sagt Matthias Sprekelmeyer. Der Grüne coacht seit über zehn Jahren Wahlkämpfer der Partei. In den letzten Jahren habe sich etwas verändert, sagt er. Es gebe eine Verrohung. Die Gewalt habe eine andere Qualität erreicht. Der Osten sei immer schon ein härteres Pflaster gewesen, so pflegen Kreisverbände wie dem in Chemnitz schon seit Jahren einen engen Kontakt zur Polizei. „Wahlkampf ist Marketing“, sagt Sprekelmeyer. Das bedeutet: Es geht am Infostand weniger um Inhaltliches, also nicht, warum die Wärmepumpe die beste Lösung ist und möglichst viele Lastenrad fahren sollten. Es geht darum, die Menschen auf die kurz bevorstehenden Wahlen aufmerksam zu machen. Es sollte um den Wahltag, die Partei und die Kandidaten gehen. Doch häufig kommt es auch zu inhaltlichen Diskussionen. Was dann?
Bitte wählen gehen. Wir wollen keinen Nationalsozialismus in Deutschland. Julia Concu Falkenseer Wahlkämpferin
Die Grünen waren im Osten schon immer Angriffsfläche. Matthias Sprekelmeyer Wahlkampf-trainer
„Ruhig bleiben, deeskalieren und Grenzen setzen“, sagt der Trainer. Wenn kein produktives Gespräch möglich sei, könne man sagen: „Gut, dass Sie über das Thema reden wollen. Ich bin aber hier, um möglichst viele Menschen für die Wahl zu gewinnen“, erklärt Sprekelmeyer. Und weiter: „Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen eine Mail-adresse. Dann meldet sich die Geschäftsstelle mit Informationen zu dem Thema.“Meistens sei das Gespräch dann beendet und man höre von dem Stänkerer nichts mehr. Für wichtig hält Sprekelmeyer aber vor allem eines: „Ich rate den Wahlkämpfer immer: Achtet darauf, dass ihr Spaß habt.“
Das wollen der 33-jährige Dominik Chadid und der 36-jährige Martin Wilke an diesem Freitagabend haben. Es ist ihr erster Haustürwahlkampf. Unterschiedlicher könnten die beiden nicht sein. Der eine, Chadid, kommt aus dem Westen, genauer aus Ulm, ist wegen der Liebe nach Brandenburg gezogen und arbeitet für eine Bundestagsabgeordnete. Wilke ist in Frankfurt/oder geboren, hat die Nachwendejahre im Osten verbracht und arbeitet als Maschinenbauer. Chadid sagt, er engagiere sich für die Grünen aus Liebe zu Mensch und Natur, weil er alles zum Schutz der Biodiversität, der Demokratie und des Klimas getan haben will. Wilke verachtet Stillstand, will die Stadt voranbringen. Die beiden Ehrenamtlichen ziehen durch Strausberg, eine Stadt rund eine Stunde von Berlin-mitte entfernt. Es ist ein schwül-warmer Tag, ein Gewitter steht kurz bevor, der Schweiß tropft den Rücken herunter. Anders als Concu und Wiedecke klingeln die Männer nicht an Einfamilienhäusern, sondern Mietshäusern, in denen es nach nassen Hunden mieft.
Bevor die beiden losstiefelten, war ihnen ein wenig mulmig zumute. Was würde sie an den Haustüren erwarten? Einmal, erzählt Wilke, kam ein Mann an einen Wahlkampfstand und brüllte: „Ich komme gleich mit einem Baseballschläger vorbei.“Müssten sie ähnliches befürchten, wenn sie klingelten? Es stellt sich heraus: Das müssen sie nicht. Ab und an kommt ein: „Nee, von den Grünen nehme ich nichts“. Viele Mieter sind aber freundlich. Und dann ist da noch ein Erfolgserlebnis.
„Ich gehe seit 20 Jahren nicht wählen. Ändert sich eh nichts. Stattdessen haben die Cannabis legalisiert. Was soll das?“, sagt ein mittelalter Mann an der Haustür, während seine Kinder um ihn herumwuseln. Chadid kontert: „Es geht hier nicht um eine Bundestagswahl, sondern kommunale Wahlen. Wir Grüne setzen uns zum Beispiel für mehr grüne Flächen ein. Sehen Sie, ich habe auch zwei Kinder.“Der Mann zieht die Stirn in Falten. „Und auch für Spielplätze?“Chadid bekräftigt: „Bei einer guten Familienpolitik sind wir die Richtigen.“Der Mann streckt die Hand aus und nimmt die Zettel. „Na, das kann ich mir ja mal angucken“, sagt er und lässt die Tür ins Schloss fallen. Chadid dreht sich zu Wilke um, lächelt und sagt: „Wenn er zur Wahl geht, dann hat sich der Tag schon gelohnt.“