Heidenheimer Zeitung

Grüne in der nd Kampfzone

Die Grünen werden von allen Parteien am häufigsten Ziel von Angriffen. Besonders im Osten haben sie einen schweren Stand. Wie wappnen sie sich gegen Attacken?

- Von Dorothee Torebko

Als sie von den Prügel-attacken in Dresden hörte, war Sabrina Wiedicke mulmig. Männer hatten beim Plakatiere­n brutal auf einen Spd-abgeordnet­en eingeschla­gen. Auch ein Grünen-mitglied war Opfer einer Attacke. Erst prügelten sie mit der Faust, dann traten die Angreifer auf den am Boden liegenden Wahlkämpfe­r ein. Wiedicke ist bei den Grünen und Kommunalwa­hlkämpferi­n in Brandenbur­g. Wenige Stunden nach diesen Nachrichte­n soll sie an Haustüren klingeln, Flyer verteilen und für Grüne werben.

Seit Beginn des Kommunal- und Europawahl­kampfs überschlag­en sich die Nachrichte­n von Angriffen auf Politiker und Wahlkampfh­elfer. Die Grünen stehen häufig im Zentrum der Attacken. In Chemnitz entriss ein Mann einem Wahlkämpfe­r eine Leiter, schlug mit dieser auf ein Plakat ein, der Grüne wurde leicht verletzt. In Zwickau schlug ein Mann einem Wahlkämpfe­r das Handy aus der Hand, nahm Plakate mit. In Brandenbur­g bedrängten Demonstran­ten das Auto von Bundestags­vizepräsid­entin Katrin Göring-eckardt und schlugen darauf ein, die Polizei ermittelt wegen Nötigung.

Vertreter aller Parteien werden Opfer von Belästigun­g, Angriffen, Nötigung. Sie werden beschimpft, bespuckt, beleidigt, ihre Wahlkampfb­üros beschmiert und beschädigt. Besonders aber die Grünen hatten zuletzt unter den Attacken zu leiden. Laut Bundesregi­erung gab es im Jahr 2023 1219 Angriffe auf ihre Vertreter oder Einrichtun­gen, 2022 waren es 575. Vor 2022 war die AFD Hauptleidt­ragende, im vergangene­n Jahr wurden sie weit weniger häufig attackiert als Grüne: 478 Mal.

Eines fällt dabei auf: Viele Attacken ereigneten sich zuletzt im Osten. In Brandenbur­g, Sachsen und Thüringen wird in diesem Jahr auf unterschie­dlichen Ebenen gewählt. Zuerst stehen am 9. Juni die Europawahl und parallel Kommunalwa­hlen an, im Herbst entscheide­n die Thüringer, Sachsen und Brandenbur­ger über die Zusammense­tzung der Landtage. In den von vielen sozialen und politische­n Umbrüchen geprägten Regionen haben die Grünen traditione­ll einen schweren Stand. Bei den letzten Bundestags­wahlen erzielten sie im Osten das schlechtes­te Zweitstimm­energebnis aller Parteien. Und das wohlgemerk­t in einer Phase, wo die Zustimmung zu Klimaschut­zmaßnahmen noch groß war. Es war die Zeit vor dem energische­n Eintreten für Waffenlief­erungen an die Ukraine, vor dem Desaster mit dem Heizungsge­setz und vor den Bauernprot­esten. Liegen die Grünen in bundesweit­en Umfragen bei 13 bis 15 Prozent, sind es im Osten sieben bis zehn Prozentpun­kte weniger.

Wie wappnen sich Grüne?

Die Spitzenpol­itiker der Grünen klagen über die aggressive Situation. Doch können sich die Parteichef­in Ricarda Lang, Landwirtsc­haftsminis­ter Cem Özdemir oder Außenminis­terin Annalena Baerbock auf Personensc­hützer des Bundeskrim­inalamtes verlassen. Wer im Kommunalwa­hlkampf antritt, ist allein, schutzlos, hat nur seine Worte. Was erleben Grüne Kommunalpo­litiker im Wahlkampf in ihrer ostdeutsch­en Heimat? Wie wappnen sie sich gegen Angriffe oder ist alles ganz harmlos?

Die Reise beginnt im Berliner Speckgürte­l, im Brandenbur­ger Ort Falkensee. Hier leben viele Zugezogene aus der Hauptstadt, die Grünen stellen die stärkste Fraktion im Kreistag. Sabrina Wiedicke ist heute mit Julia Concu unterwegs. Concu ist Wahlkampf-profi. Die Frau mit dem Kurzhaarsc­hnitt war 2023 Bürgermeis­terkandida­tin und scheiterte knapp. Im Ortverband­sbüro packen sich die Frauen die Taschen voll mit Flyern, grünen Stiften und veganen Gummibärch­en. Am Fenster hängt ein Sticker, auf dem steht: „Hass ist keine Alternativ­e – für Deutschlan­d“. Doch Hass haben die Grünen im Ort in diesem Wahlkampf schon erlebt. Einer Mitstreite­rin wurden Eier vor die Haustür geworfen. Einmal hing an der Scheibe der Zentrale ein Aufkleber, an dem eine Rasierklin­ge angebracht war. Naiv dürfe man nicht in den Wahlkampf gehen, sagt Concu.

Von dieser Ablehnung bekommen die Frauen an diesem verregnete­n Sonntagmor­gen wenig mit. Viele Bürger wünschen ihnen Erfolg. Falkensee ist Heimspiel, von Schlägertr­upps wie in Dresden ist hier nichts zu sehen. Gegen Vorurteile, die sich in den Köpfen verfestigt haben, müssen die Falkenseer­innen trotzdem angehen. Am Gartenzaun entspinnt sich ein Gespräch mit einer älteren Frau

mit sonnengege­rbter Haut. Es geht um Geflüchtet­e. „Die Syrer kriegen alles, wir nichts“, sagt die Frau. „Dafür können aber die Menschen aus Syrien nichts“, entgegnet Concu. „Das sind fast alles junge Männer. Die klauen sowieso“, beharrt die Frau. „Stimmt nicht. Ich arbeite bei der Strafvollz­ugsbehörde. Die wenigsten Straftaten kommen von Geflüchtet­en, die meisten von Clans“, entgegnet Concu und weiter: „Bitte gehen Sie wählen, aber demokratis­ch. Wir wollen keinen Nationalso­zialismus in Deutschlan­d.“Die Frau nickt. „Dat stimmt.“

Der Einsatz für demokratis­che Werte und gegen die AFD hat nicht nur Concu zu den Grünen gebracht. Gerade in der Zeit nach den Enthüllung­en um Deportatio­nsphantasi­en von Afd-mitglieder­n und anderen Rechtsextr­emen haben die Grünen Zulauf erfahren. Seit Beginn des Jahres sind 10.000 neue Mitglieder in die Partei eingetrete­n. Auf die Listen zur Kommunalwa­hl haben sich so viele schreiben lassen wie nie zuvor.

Eine von ihnen ist Coretta Storz. Seit 17 Jahren wohnt die Grüne in Chemnitz, gebürtig stammt sie aus Thüringen. Ihren politische­n Initiation­smoment erleb

te Storz im Spätsommer 2018. Damals wurden drei Asylbewerb­er verdächtig­t, einen Mann bei einem Stadtfest erstochen zu haben. In der Folge marschiert­en mehrere Tausend Neonazis in der Innenstadt auf, zeigten Hitlergrüß­e und schrien Nazi-parolen. Storz war bei einer der Gegendemon­strationen. „Ich habe auf der anderen Seite gestanden. Ich habe die Hitlergrüß­e gesehen und gehört, wie sie brüllten: „Das ist unsere Stadt“, erzählt sie heute. „Da dachte ich bei mir: Nee, das ist nicht eure Stadt.“Sie suchte nach einer Partei, die sie in ihrem Kampf gegen Rechtsextr­eme unterstütz­te. So kam sie zu den Grünen. „Grüne sind eine hörbare Kraft gegen rechten Hass“, sagt sie.

Von diesem bekommt die Chemnitzer­in selbst viel ab. Einmal sei das Büro des Ortsverban­ds mit Kot beschmiert worden. Ein anderes Mal, als sie mit dem Lastenrad im Bundestags­wahlkampf unterwegs war, wurde sie von einer Gruppe bedrängt. Da bekam sie das erste Mal richtig Angst. Ein anderes Mal schlendert­e sie an einem Laden vorbei, wo Sticker mit dem Slogan auslagen: „Jagt die Grünen aus dem Land.“Da ging sie in den Laden und sprach die Verkäuferi­n darauf an. Dass sie die Sticker als bedrohlich empfinde und ob das denn eine gute Art des Umgangs miteinande­r sei. Die Verkäuferi­n reagierte beschämt, nahm die Sticker aus der Auslage. Eine Woche später lagen sie wieder da.

„Die Grünen waren im Osten schon immer eine Angriffsfl­äche“, sagt Matthias Sprekelmey­er. Der Grüne coacht seit über zehn Jahren Wahlkämpfe­r der Partei. In den letzten Jahren habe sich etwas verändert, sagt er. Es gebe eine Verrohung. Die Gewalt habe eine andere Qualität erreicht. Der Osten sei immer schon ein härteres Pflaster gewesen, so pflegen Kreisverbä­nde wie dem in Chemnitz schon seit Jahren einen engen Kontakt zur Polizei. „Wahlkampf ist Marketing“, sagt Sprekelmey­er. Das bedeutet: Es geht am Infostand weniger um Inhaltlich­es, also nicht, warum die Wärmepumpe die beste Lösung ist und möglichst viele Lastenrad fahren sollten. Es geht darum, die Menschen auf die kurz bevorstehe­nden Wahlen aufmerksam zu machen. Es sollte um den Wahltag, die Partei und die Kandidaten gehen. Doch häufig kommt es auch zu inhaltlich­en Diskussion­en. Was dann?

Bitte wählen gehen. Wir wollen keinen Nationalso­zialismus in Deutschlan­d. Julia Concu Falkenseer Wahlkämpfe­rin

Die Grünen waren im Osten schon immer Angriffsfl­äche. Matthias Sprekelmey­er Wahlkampf-trainer

„Ruhig bleiben, deeskalier­en und Grenzen setzen“, sagt der Trainer. Wenn kein produktive­s Gespräch möglich sei, könne man sagen: „Gut, dass Sie über das Thema reden wollen. Ich bin aber hier, um möglichst viele Menschen für die Wahl zu gewinnen“, erklärt Sprekelmey­er. Und weiter: „Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen eine Mail-adresse. Dann meldet sich die Geschäftss­telle mit Informatio­nen zu dem Thema.“Meistens sei das Gespräch dann beendet und man höre von dem Stänkerer nichts mehr. Für wichtig hält Sprekelmey­er aber vor allem eines: „Ich rate den Wahlkämpfe­r immer: Achtet darauf, dass ihr Spaß habt.“

Das wollen der 33-jährige Dominik Chadid und der 36-jährige Martin Wilke an diesem Freitagabe­nd haben. Es ist ihr erster Haustürwah­lkampf. Unterschie­dlicher könnten die beiden nicht sein. Der eine, Chadid, kommt aus dem Westen, genauer aus Ulm, ist wegen der Liebe nach Brandenbur­g gezogen und arbeitet für eine Bundestags­abgeordnet­e. Wilke ist in Frankfurt/oder geboren, hat die Nachwendej­ahre im Osten verbracht und arbeitet als Maschinenb­auer. Chadid sagt, er engagiere sich für die Grünen aus Liebe zu Mensch und Natur, weil er alles zum Schutz der Biodiversi­tät, der Demokratie und des Klimas getan haben will. Wilke verachtet Stillstand, will die Stadt voranbring­en. Die beiden Ehrenamtli­chen ziehen durch Strausberg, eine Stadt rund eine Stunde von Berlin-mitte entfernt. Es ist ein schwül-warmer Tag, ein Gewitter steht kurz bevor, der Schweiß tropft den Rücken herunter. Anders als Concu und Wiedecke klingeln die Männer nicht an Einfamilie­nhäusern, sondern Mietshäuse­rn, in denen es nach nassen Hunden mieft.

Bevor die beiden losstiefel­ten, war ihnen ein wenig mulmig zumute. Was würde sie an den Haustüren erwarten? Einmal, erzählt Wilke, kam ein Mann an einen Wahlkampfs­tand und brüllte: „Ich komme gleich mit einem Baseballsc­hläger vorbei.“Müssten sie ähnliches befürchten, wenn sie klingelten? Es stellt sich heraus: Das müssen sie nicht. Ab und an kommt ein: „Nee, von den Grünen nehme ich nichts“. Viele Mieter sind aber freundlich. Und dann ist da noch ein Erfolgserl­ebnis.

„Ich gehe seit 20 Jahren nicht wählen. Ändert sich eh nichts. Stattdesse­n haben die Cannabis legalisier­t. Was soll das?“, sagt ein mittelalte­r Mann an der Haustür, während seine Kinder um ihn herumwusel­n. Chadid kontert: „Es geht hier nicht um eine Bundestags­wahl, sondern kommunale Wahlen. Wir Grüne setzen uns zum Beispiel für mehr grüne Flächen ein. Sehen Sie, ich habe auch zwei Kinder.“Der Mann zieht die Stirn in Falten. „Und auch für Spielplätz­e?“Chadid bekräftigt: „Bei einer guten Familienpo­litik sind wir die Richtigen.“Der Mann streckt die Hand aus und nimmt die Zettel. „Na, das kann ich mir ja mal angucken“, sagt er und lässt die Tür ins Schloss fallen. Chadid dreht sich zu Wilke um, lächelt und sagt: „Wenn er zur Wahl geht, dann hat sich der Tag schon gelohnt.“

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Fotos: Dorothee Torebko Mit Gummibärch­en, Flyern und Bleistifte­n ziehen die Grünen in den Wahlkampf.
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Sabrina Wiedecke und Julia Concu sind im brandenbur­gischen Falkensee unterwegs (v.l.).
 ?? ?? Dominik Chadid und Martin Wilke machen in Strausberg, eine Bahn-stunde von Berlin entfernt, Wahlkampf (v.l.).
Dominik Chadid und Martin Wilke machen in Strausberg, eine Bahn-stunde von Berlin entfernt, Wahlkampf (v.l.).

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